Zahlen, bitte! Sojus 11 – 23 Tage im Weltraum zwischen Triumph und Tragödie
Die Raumkapsel Sojus 11 dockte erstmals erfolgreich an eine Raumstation und war über 23 Tage im All. Der Preis war hoch: Die Insassen starben bei der Rückkehr.
Sojus 11 war mit großen Erwartungen gestartet: Geplant war nicht weniger als der erste erfolgreiche Besuch einer Raumstation, durch das Andocken an Saljut 1 und dann ein Rekordaufenthalt von über 20 Tagen. Das Andockmanöver gelang, und mit über 23 Tagen wurde ein neuer Rekord für einen Daueraufenthalt im All gesetzt. Zusammen kamen Pionierleistungen, die die Kosmonauten an Bord völlig unerwartet mit dem Leben bezahlen mussten. Nach der Landung konnten die drei Insassen von Sojus 11 nur noch tot geborgen werden.
Im Jahr 1971 geriet die bemannte sowjetische Raumfahrt ins Hintertreffen. Der Vorsprung gegenüber den US-Amerikanern war längst aufgebraucht: Der Erstflug eines Menschen durch Juri Gagarin war bereits 10 Jahre her. Und während die Amerikaner eine erfolgreiche Mondlandung nach der anderen durchführten, geriet das damals streng geheime Mondprogramm der Sowjets ins Stocken, weil die Trägerrakete N1 nur Fehlstarts produzierte und die Konstrukteure nach dem Tod vom Entwicklerlegende Sergej Koroljow 1966 die Probleme nicht in den Griff bekamen, was 1974 zum Aus führte.
Russischer Vorsprung in der Entwicklung einer Raumstation
In einem anderen Feld war die russische Raumfahrt wiederum voraus: Die US-Air Force plante ab 1963 ein Programm namens MOL (Manned Orbiting Laboratory), welches Spionagestationen in den Orbit bringen sollte und die Russen reagierten darauf mit dem Almaz-Programm. Während das MOL-Programm wegen der teuren Apollo-Mondlandungen und des Vietnamkriegs 1969 ohne Ergebnis gestrichen wurde, bot sich den Sowjets die Möglichkeit wieder Pionierarbeit zu leisten und sie entwickelten weiter. Daraus wurde das Saljut-Programm, in dem zivile Raumstationen und zur Tarnung militärische Spionagestationen zusammengefasst wurden.
Am 19. April 1971, und damit zwei Jahre vor der US-amerikanischen Raumstation Skylab, startete Saljut 1 mit einer Proton-K-Rakete als erste Raumstation überhaupt in die Erdumlaufbahn. An Bord der rund 19 Tonnen schweren Station waren Teleskope, ein Spektrometer, ein Elektrophotometer, ein UV-Messinstrument, sowie ein geheimes Radiometer.
Eigentlich sollte bereits die am 23. April 1971 gestartete Crew der Sojus 10 die Raumstation in Betrieb nehmen, allerdings scheiterte das Andockmanöver: Zwar konnte die erfahrene Crew an die Station andocken, aber weder eine elektronische, noch denn eine sichere, druckdichte Verbindung zwischen Raumschiff und Station herstellen. Somit musste die Mission abgebrochen werden und die Crew zur Erde zurückkehren.
Gescheitertes Andockmanöver
Die Entwickler vermuteten als Problem einen verbogenen Kopplungsadapter. Vermuten ließ es sich nur, da vorm Wiedereintritt die Kopplungsvorrichtung abgesprengt wird. Somit wurde der Sojus-11-Crew die Aufgabe zuteil Saljut 1 in Betrieb zu nehmen. Eigentlich waren Valeri Kubasov, Alexei Leonov und Pjotr Kolodin für die Mission vorgesehen. Bei Kolodin wurde allerdings vier Tage vor dem Start in Röntgenaufnahmen ein Schatten auf der Lunge festgestellt. Weil eine Tuberkulose nicht ausgeschlossen werden konnte, bekam die Ersatzcrew sicherheitshalber den Vorzug.
Somit starteten am 6. Juni 1971 um 6:55 Ortszeit mit Georgy Dobrovolsky, Vladislav Volkov und Viktor Patsayev eine recht unerfahrene Crew in die Aufgabe, da nur Volkov bereits Weltraumerfahrungen hatte. Dennoch gelangen die Verfolgungs- und Andockmanöver auf Anhieb und Sojus 11 dockte einen Tag später an, sodass um 9:45 zum ersten Mal eine Kosmonautencrew eine Raumstation betrat.
Es gelang ihnen sie zu aktivieren und Experimente durchzuführen. Dabei gab es einige Schwierigkeiten. Einmal funktionierte die Lebenserhaltung nicht richtig. Am 16. Juni verschmorte die Kabelisolierung eines Experimentes und Rauch zog auf. Die Crew hatte zudem Schwierigkeiten, das der Bodencrew zu melden, da sie aufgrund der Geheimhaltung Codewörter für bestimmte Situationen vereinbart hatten, der zuständige Funker auf der Erde aber nicht darüber informiert war und verwundert nachfragte. Nach einigem Hin und Her wurde das beschädigte Experiment abgeklemmt, und die Lüftung saugte den Rauch ab und sie konnten weiterarbeiten.
Eigenleben von Saljut 1
Zudem berichtete die Crew darüber, dass die Station leicht zu vibrieren anfing, wenn sie auf dem Laufband ihre Fitness trainierten. Insgesamt verbrachten sie so 22 Tage 10 Stunden und 39 Minuten in der Raumstation. Das war nicht nur das erste Mal, dass eine Besatzung eine Raumstation betrat, sondern auch der Rekord für einen Langzeitaufenthalt im All (Zum Vergleich: Apollo 17, die letzte und längste aller Apollo-Missionen brachte es auf eine Gesamtdauer von etwas über 12 Tagen).
Heute vor 50 Jahren, am 29. Juni um 18:28 dockte Sojus 11 von Saljut 1 ab und begann mit dem Rückflug zur Erde.Einer der letzten, bewegenden Funkdialoge:Crew: "Wir haben Sehnsucht nach der Erde." Bodenstation: "Wir warten auf euch."
Zu früh geöffnetes Ventil als tödliche Falle
Bis zur Trennung von Orbitalmodul und Rückkehrmodul um 22:47 verlief alles nach Plan. Durch die Absprengung löste sich ein Druckausgleichsventil viel zu früh. Eigentlich war es für die Luftzufuhr vorgesehen, wenn die Kapsel sich in Bodennähe befindet, nun aber entwich in 168 Kilometer Höhe die lebensnotwendige Luft ins All. Um 22:49 war eigentlich geplant, dass die Crew die erfolgreiche Trennung vom Orbitalmodul via Funk melden sollte. Vermutlich suchte die Crew im Todeskampf verzweifelt nach dem Leck und hatten dazu die Funkgeräte abgeschaltet, wenn sie nicht schon bewusstlos waren. Ein Hinweis auf eine mögliche Rettungsaktion gaben die geöffneten Gurte von Dobrowolskis Sitz. Möglicherweise hatte er das ausströmende Gas gehört und sich um Schließung bemüht.
Die Landung erfolgte komplett automatisiert, sodass die Besatzung bereits rund 25 Minuten tot war, als die Kapsel um 23:16 in der kasachischen Steppe aufsetzte. Die planmäßig unmittelbar eintreffenden Bergungskräfte leiteten sofort entsetzt Wiederbelebungsmaßnahmen ein, aber natürlich vergeblich. Georgi Dobrowolski, Wladislaw Wolkow und Wiktor Pazajew bezahlten ihre Pioniertaten mit dem Leben. Sie sind bis heute die einzigen Menschen, die ihr Leben im Weltraum ließen.
Am 3. Juli wurden sie in einem großen Staatsbegräbnis auf dem Roten Platz in Moskau geehrt und die Urnen später an Nekropole an der Kremlmauer beigesetzt. Ein Sargträger war der US-amerikanische Apollo-Astronaut Tom Staffort, der auch beim amerikanischen Teil des Apollo-Sojus-Projekt das Kommando hatte. Das deutet darauf hin, dass die informellen Kanäle zwischen den Raumfahrtnationen doch enger waren, als man glauben konnte. Der deutschstämmige NASA-Manager Jesco von Puttkamer meinte einmal, dass man in solchen Fällen stets ein großes Interesse hatte, zu erfahren, was genau passiert sei, und ob einem selbst so ein Fehler genauso passieren könne.
Wenig Konsequenzen für Apollo-Programm
Für das Apollo-Programm hatte das Unglück kaum Konsequenzen, da die Astronauten eine Raumschiffsatmosphäre aus reinem Sauerstoff atmen – bei 0,34 Atmosphären. Die sowjetischen Kapseln stellten dagegen ein Stickstoff-Sauerstoff-Gemisch mit minimalem Überdruck bereit. Bei einem Ähnlichen Notfall würden die Sicherheitssysteme für etwa eine Viertelstunde Sauerstoff liefern, außerdem führten die US-amerikanischen Besatzungen Raumanzüge mit, die aus Platzgründen in den Sojus-Kapseln nicht vorgesehen waren.
Als Konsequenz daraus stand die bemannte sowjetische Raumfahrt für zwei Jahre still. Das Design der Sojus-Kapseln, und die Missionsprofile wurde überarbeitet. Das hatte zur Folge, dass von nun an die Insassen Raumanzüge während kritischer Manöver wie Starts und Landungen zu tragen hatten, was die Besatzung auf zwei Personen dezimierte. Erst mit den Mitte der 1970er entwickelten Sojus-T-Raumschiffen konnte die Anzahl der Kosmonauten wieder auf drei erhöht werden.
Raumfahrt bleibt stets ein Risiko
Letzlich ist das Sojus-Programm bis heute aktiv. Insgesamt wurden 170 Sojus-Raumschiffe ins All geschickt. Und bis auf Sojus 1 und eben Sojus 11 kamen die Starts ohne getötete Kosmonauten aus. Dennoch sollte die Erinnerung zu Demut reichen: Schließlich waren damals bei der Sojus-11-Tragödie wie auch bei den verheerenden Space-Shuttle-Unglücken Zeitdruck und Routine die Ursachen, gepaart mit Ignoranz, die zu den furchtbaren Ereignissen führten.
Auch wenn bemannte Raumfahrt heute Alltag ist, muss man immer im Hinterkopf behalten, dass es potenziell tödlich bleibt und jeder kleine Defekt katastrophale Folgen haben kann. Die Menschen, die sich an die Spitze einer Rakete begeben, deren Gewicht zu über zwei Dritteln aus hochexplosivem Treibstoff besteht, setzen jedesmal für die Neugier der Menschheit unmittelbar ihr Leben aufs Spiel.
(mawi)