Zahlen, bitte! Telefonkonferenz mit 5100 Teilnehmern – vor über 100 Jahren

Meeting mit 5100 Teilnehmern: Was heutzutage über das Netz für jeden möglich ist, war im Jahr 1916 eine Sensation und logistische Meisterleistung.

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Aufmacherbild Zahlen, bitte!

(Bild: heise online)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Die erste telefonische Großkonferenz, die vom Umfang her an heutige Teams-Calls oder Clubhouse-Sessions erinnert, fand in einer Zeit statt, in der das Telefonat an sich schon eine Pioniertat war.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Der 16. Mai 1916 war ein Höhepunkt im Leben von Theodore Newton Vail. Der Präsident von AT&T eröffnete die größte transkontinentale Telefonkonferenz mit 5100 Teilnehmern. Das American Institute of Electrical Engineers (AIEE, heute IEEE) hatte zu seiner Jahreskonferenz geladen, die diesmal dezentral in ganz Amerika stattfinden sollte.

Im Engineering Societies' Building, der New Yorker Zentrale der AIEE, saßen über 1100 Menschen an den Kopfhörern, bei den Regionalgruppen der Organisation in Philadelphia, Boston, Atlanta, Chicago und San Francisco weitere 4000.

Weil das 6500 Kilometer umfassende Telefonnetz mit seinen Kabeln auf 150.000 Telefonmasten auch durch ihre Städte lief, durften jeweils 40 Männer in Denver und Salt Lake City mithören, aber nicht sprechen -- Frauen waren nicht zur Veranstaltung zugelassen. Was sie zu sagen hatten, wurde als Telegramm über das Telegraphennetz geschickt und vorgelesen, genau wie die Glückwunschadresse von Präsident Woodrow Wilson.

Das Engineering Societies' Building kurz nach seiner Errichtung 1907 von Südwest aus fotografiert.
Es existiert noch heute und befindet sich in 25–33 West 39th Street in the Midtown Manhattan, New York City.

(Bild: American architect and building news)

Über die technische Meisterleistung von damals ist ein informativer Bericht in der Verbandszeitschrift IEEE Spectrum erschienen. Er vergleicht die große Netzschalte mit virtuellen Konferenzen, wie sie heute mit Zoom, Teams oder BigBlueButton durchgeführt werden. Vertreter der Regionalgruppen hielten Reden, die über das Telefonnetz an alle Zuhörer übertragen wurden. Thomas Watson, der als Assistent von Alexander Graham Bell das allererste Telefonat bestritten hatte, schickte Grüße in die Runde, ebenso Theodore Vail. Es gab lokale Ansprachen, die wie heutige Breakout-Sessions funktionierten. Die zusätzlich verschickten Telegramme werden mit der Chat-Funktion von Zoom verglichen.

Der ökonomische und technische Aspekt, der Triumph des AT&T-Präsenten Theodore Newton Vail ist dabei etwas zu kurz dargestellt worden. Vail hatte von 1878 bis 1887 bereits bei der Bell Telephone Company gearbeitet und wurde als Präsident vom Aufsichtsrat gefeuert. 20 Jahre später wurde Vail im Alter von 64 Jahren wieder Präsident des Unternehmens, das nunmehr AT&T hieß, weil Bell inzwischen den Telegraphie-Konkurrenten Western Union gekauft hatte.

Zu diesem Zeitpunkt gab es Hunderte von unabhängigen Telefon-Anbietern. Mit seinem besten Freund, dem Bankier J.P. Morgan, begann Vail nach und nach – mitunter unter Decknamen – diese regional operierenden Telefon-Unternehmen aufzukaufen, aber auch die im Telegraphengeschäft operierenden Anbieter.

Theodore Newton Vail, um 1918 herum. Er führte die Telegraphen- und Telephonnetze verschiedener US-Anbieter zusammen, um ein Bundesstaatenübergreifendes nationales Telefonnetz bereitstellen zu können.

(Bild: Bain - Library of Congress)

Da er sich über ein Verbot hinwegsetzte und beide Systeme für beide Kommunikationsformen nutzten, musste Western Union schon 1913 wieder verkauft werden. Insgesamt war Vail aber damit erfolgreich, aus einem unzusammenhängenden Netz ein einheitliches Telefonnetz zu formen. "Das Telefon darf vor keiner Grenze Halt machen, sei sie nationaler, geographischer oder rassistischer Art", erklärte er 1911 im Tätigkeitsbericht der AT&T (PDF).

Ein Aspekt der Erfolgsgeschichte von Vails AT&T lag in der eigenen Forschungsabteilung Western Electric. Nachdem die ursprünglichen Bell-Patente ausgelaufen waren, mit denen die Bell Telephone Company gemästet worden war, kauften diese Abteilung Patente wie das über die Audionröhre von Lee DeForest und entwickelte auf dieser Grundlage eigene Verbesserungen, die von allen angeschlossenen "Sub-Netzen" verpflichtend eingeführt werden mussten.

Das bekannteste Beispiel ist die von Harold DeForest Arnold bei der Forschungsabteilung entwickelte Triode Typ A, mit der es als Signalverstärker 1914 gelang, die ersten transkontinentalen Telefongespräche zwischen der Ostküste und der Westküste durchzuführen. Offiziell wurde diese Verbindung auf Betreiben von Vail erst mit der Eröffnung der Panama Pacific Exposition in San Francisco am 25. Januar 1915 unter der Werbung "AT&T connects the world" vorgestellt.

Bei der Veranstaltung wurden die berühmten Worte des allerersten Telefongespräches von Alexander Graham Bell in New York höchstpersönlich gesprochen: "Mr. Watson, come here. I want you." In San Francisco antwortet Thomas Watson "It will take me five days to get there now!" Insgesamt waren bei der AIEE-Konferenz vom Mai 1916 über 5000 der von Harold D. Arnold weiterentwickelten Trioden als Switches im Einsatz, um die Dämpfung im Telefonnetz zu minimieren.

Zahlen, bitte! Telefonkonforerenz 1916

Teilnehmer: 5100
1100 in der New Yorker Zentrale, weitere 4000 in anderen Standorten

Teilnehmende Städte: 6 (plus zwei passive Teilnehmer)
New York, Philadelphia, Boston, Atlanta, Chicago, San Francisco zudem Denver und Salt Lake City

Genutztes Telefonnetz:
20 Bundestaaten, 6500 Kilometer mit über 150.000 Telefonmasten und über 5.000 Switches

Von seinem Landsitz aus verfolgte Theodore Vail die Tagung mit drei Telefonleitungen. Er gratulierte den telefonisch Anwesenden für ihre Leistungen und forderte sie auf, sich mit dem drohenden Kriegseintritt der USA zu beschäftigen. Wenige Wochen später sollte US-Präsident Wilson am 3.Juni 1916 ein Gesetz erlassen, mit dem das National Research Council entstand. Im Krieg arbeitete Arnold bei der Behörde am Problem, die deutschen U-Boote akustisch zu erkennen.

Die an der Konferenz teilnehmenden Fachleute waren recht angetan von der Qualität der verstärkten Sprachübermittlung. Ohne Kenntnis der Konferenz schwärmte gleichzeitig der Science Fiction Autor Hugo Gernsback davon, dass die Menschen über das Telefon bald per "Tele-Music" Konzertaufführungen mithören können. Die Qualität stellte jedoch Harold Arnold, mittlerweile erster Leiter der berühmten Bell Laboratories nicht zufrieden. Er ließ Stereo-Aufnahmesysteme entwickeln, aber auch die ersten elektronischen Hörgeräte. Die erste nach seinen Maßstäben genügende HiFi-Übertragung eines Konzertes über das Telefon gelang im April 1933 mit einem Konzert von Leopold Stokowski und dem Philadelphia Orchestra, wenige Monate vor Arnolds Tod.

Die Telefonkonferenz der AIEE mit 5100 Personen in verschiedenen US-Städten war die Bestätigung der Idee von Theodore Newton Vail, ein umfassendes einheitliches Telefonnetz zu errichten.

1919 trat er als Präsident zurück, kurze Zeit später starb er im Alter von 74 Jahren. Als Vail am 18.April 1920 starb, wurde das gesamte US-amerikanische Telefonnetz für eine Minute abgeschaltet. Zwischen 11:00 und 11:01 Ostküstenzeit verstummten laut zeitgenössischer Quelle etwa 12.000.000 Telefone und 24.000.000 Meilen Telefondraht.

(mawi)