Zahlen, bitte! – Versehentlich per Atomtest außer Dienst gestellt: Der Telstar 1
In den 1960ern loteten die Atommächte die Folgen von Atomtests aus. Ein US-Test mit 1,45 Megatonnen setzte unfreiwillig mehrere teure Satelliten außer Gefecht.
Vor 62 Jahren lösten die USA bei der Operation "Starfish Prime" in der Höhe von 400 Kilometern über dem Pazifik bei einem Kernwaffentest mit einer Bombe von 1,45 Megatonnen über die Gammastrahlung den bis dahin stärksten nuklearen elektromagnetischen Impuls (NEMP) aus. Die Telefonnetze zahlreicher Hawaii-Inseln brachen zusammen, auch die Richtfunk-Strecken zwischen den Inseln wurden beschädigt, die Straßenbeleuchtung fiel aus und zahlreiche Elektrogeräte gaben ihren Geist auf.
Im damals noch wenig besiedelten Weltraum fielen insgesamt sieben Satelliten durch die von der freigesetzten Röntgenstrahlung ausgehende Ionisation der Magnetosphäre aus, unter ihnen der erste zivile Kommunikationssatellit Telstar. Der Impuls war so stark, dass die von der Trägerrakete und den sechs Begleitraketen abgesetzten Messgeräte zerstört wurden. Ein weiterer, noch stärkerer Test mit einer Detonation in einer Höhe von 1000 Kilometern wurde nach internationaler Kritik abgesagt.
Wildwest-Tests der Atommächte
Das Jahr 1962 war nicht nur das Jahr der Kubakrise, sondern auch kernwaffentechnisch ein Rekordjahr. Die USA zündeten insgesamt 92 nukleare Sprengköpfe, ehe 1963 der "Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser" von den USA, der Sowjetunion und Großbritannien unterzeichnet wurde. Die Operation Starfish Prime war damit eine von vielen Test, bei denen die Militärs einfach mal eine Bombe warfen und schauten, was dann so passiert.
Auf einer Mittelstreckenrakete vom Typ Thor wurde ein Sprengkopf namens MK-2 montiert, eine Weiterentwicklung der Bomben, die vom Los Alamos Scientific Laboratory für die Langstreckenbomber B-52 produziert wurden. Die am 9. Juli 1962 von der Insel Johnston gestartete Rakete erreichte eine Höhe von 965 Kilometern, ehe im Sinkflug der Wiedereintrittskörper abgetrennt und dann der Nuklearsprengkopf auf 400 Kilometern Höhe gezündet wurde, 576 Meter vom avisierten "Zielpunkt" entfernt. Die Explosion konnte von den Hawaii-Inseln aus gesehen werden, besonders gut von der nächsten Insel Oahu, 1288 Kilometer von Johnston entfernt, wo die Straßenbeleuchtung ausfiel.
Sieben Minuten lang konnte man nach der Explosion Polarlichter sehen. Eine Filmaufnahme der Explosion wurde Jahrzehnte später in einem Militärarchiv entdeckt -- zusammen mit dem Vorschlag des Wissenschaftlers James Van Allen, den von ihm kurz zuvor entdeckten Van-Allen-Gürtel für nukleare Experimente zu nutzen.
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Strahlungsschäden startender Satelliten
Nicht sichtbar war der elektromagnetische Puls (electromagnetic pulse, kurz EMP), dem Haushaltsgeräte auf den Hawaii-Inseln zum Opfer fielen. Auch die emittierte Röntgenstrahlung sorgte für Ungemach. Der am 10. Juli ins All geschossene Satellit Telstar funktionierte deshalb nur vier Monate lang, wurde aber dank eines britischen Popsongs viel bekannter als der britische Satellit Ariel 1, den es ebenfalls erwischte: Die Energieversorgung durch die Solarzellen wurde zu zwei Dritteln beschädigt und das Daten aufzeichnende Tonbandgerät fiel aus.
Nach 1962 wanderten die Erkenntnisse über elektromagnetische Impulse aus dem Kalten Krieg zunächst einmal in die Science Fiction, wo sie als "Strahlenkanonen" auftauchten. Ab etwa 1978 beschäftigte sich die (militärische) Forschung mit EMP-Systemen und dabei vor allem mit der Frage, wie Rechenzentren und Radaranlagen vor EMP-Attacken geschützt werden können. Der eine oder die andere wird sich noch an den Film "Im Angesicht des Todes" von 1985 erinnern, wo James Bond einen im Westen erfundenen Mikrochip, der gegen EMP-Attacken unempfindlich ist, aus den Fängen des KGB befreien muss (ganz klar, das im Osten so etwas nicht entwickelt wurde).
Weder bestätigt noch widerlegt ist die Meldung, dass die USA und/oder Großbritannien im zweiten Irakkrieg EMP-Waffen eingesetzt haben, um die Kommunikation des Saddam-Regimes zu stören. Mit dieser Ungewissheit kann man festhalten, dass zumindest die Forschung weiterhin Erfolge erzielt. EMP-Systeme werden etwa zur Abwehr von Drohnen oder gegen als Waffe genutzten Fahrzeugen entwickelt.
EMP als Achillesferse moderner Kommunikation
Bekannt ist jedenfalls, dass sich später der damalige US-Präsident Trump einmal für militärischen EMP- und HMP-Waffen (High Powered Microwave) interessierte, als ihm die Zusammenfassung eines Forschungsberichtes der US-amerikanischen Electromagnetic Defense Task Force (eng, PDF) präsentiert wurde. Im neuen, halbkalten Krieg angelangt, ist die mehrfach aufgetauchte Frage, ob Russlands Präsident Putin sich für den Einsatz einer solchen Waffe entscheiden könnte. Dazu gibt es abwiegelnde, aber auch nachdenkliche Stimmen. In der heutigen durchdigitalisierten Welt würde jedenfalls ein solcher NEMP von Russland, wie anno 1962 im Pazifik ausgelöst, fatale Folgen haben, so ein befragter Experte, der anonym bleiben möchte: "Europa würde stante pede zurück ins Jahr 1890 katapultiert."
(mawi)