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Bitcoin ist zu groß für China

Emily Parker

Kryptowährungen stellen das autoritäre Regime vor dasselbe Dilemma wie zuvor das Internet selbst: Sie sind zu beliebt und die Vorteile zu groß, als dass ein Land ganz darauf verzichten könnte.

Dass Bobby Lee, CEO der ältesten Bitcoin-Börse Chinas, ins Visier der Behörden geraten würde, war nur eine Frage der Zeit. Seine Börse BTCC hatte in einem Graubereich des chinesischen Rechts operiert, war also weder offiziell zugelassen noch explizit verboten. Doch die rapide zunehmende Popularität der dezentralen Digitalwährung machte die Regierung nervös. Im Januar 2017 leitete die chinesische Zentralbank eine Untersuchung gegen BTCC ein. Im September verbot die Regierung zunächst Initial Coin Offerings (ICO), eine beliebte Finanzierungsmethode für Start-ups, bei der sie virtuelle Münzen für die spätere Nutzung ihrer Produkte verkaufen.

Selbst da wähnte sich Lee weiterhin in Sicherheit. Schließlich hatten die Behörden die neue Technologie lange Zeit zurückhaltend freundlich behandelt. Doch noch im selben Monat machten chinesische Behörden klar, dass BTCC und andere inländische Handelsplätze für virtuelle Währungen schließen müssen – für die breite Öffentlichkeit sollte es schwieriger werden, Bitcoins zu kaufen. Lee war nach eigenen Worten nicht geschockt, sondern lediglich enttäuscht: "Ah, jetzt ist die Party zu Ende", habe er gedacht. "Irgendwann musste sie ja aufhören."

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Bitcoin erreichte die Welt ungefähr zur Zeit der großen Finanzkrise 2008. Seitdem hat die Währung enorm an Beliebtheit gewonnen – vor allem bei Spekulanten, die den Wert zwischenzeitlich bis auf 20000 Dollar getrieben haben. Für Regierungen ist das ein Problem: Sollen sie diese neue Art von Währung erlauben, obwohl sie es einfacher macht, Geld relativ anonym zu überweisen, was besonders attraktiv für Geldwäscher und andere Kriminelle ist? Gehört sie verboten, um die volle Kontrolle über die Geldpolitik zu behalten? Oder sollten Staaten sie sogar aktiv unterstützen, wie etwa Japan, das Bitcoin als offizielle Zahlungsmethode anerkannt hat?

Für China ist Bitcoin eine ähnliche Herausforderung wie zuvor das Internet selbst. Anfangs stand die Regierung dem Web misstrauisch gegenüber, weil es bedeutete, einen Teil der Kontrolle über die Bürger abzugeben. Letztlich aber sah die Regierung die größeren Nachteile darin, das Internet ganz auszusperren. Denn dieser Schritt hätte China von der Weltwirtschaft abgeschnitten. Anschließend war das Land überraschend erfolgreich darin, mit einer Armee von Zensoren das Internet zu zähmen und mit seiner "Großen Firewall" Seiten wie Facebook und Twitter zu blockieren. Trotzdem florierten Online-Communitys und E-Commerce weiterhin. China mehrte seinen Ruf, eigent-lich unkontrollierbare Dinge kontrollieren zu können. Nun machte sich die Regierung daran, diese Kontrolle auch beim virtuellen Geld auszuüben, dessen dezentraler Charakter es eigentlich unmöglich machen sollte, dass ein einzelner Staat es abschaltet. Chinas Durchgreifen hat diese grundlegende Überzeugung infrage gestellt und sorgte kurzzeitig für einen Kurseinbruch.

Für Bitcoin sind all das keine guten Nachrichten, sollte man meinen. Trotzdem zeigte sich einige Wochen nach dem Einschreiten der Regierung fast jeder in der chinesischen Kryptowährungs-Community auffallend gelassen. Zum Beispiel Lu Bin, CEO des Blockchain-Start-ups Andui. Ende August 2017 hatte er mit einem ICO innerhalb weniger Stunden mehr als 20 Millionen Dollar eingenommen. Im Monat darauf aber folgte das ICO-Verbot, und er musste das gesamte Geld zurückgeben.

Trotzdem hat er Verständnis für den Schritt – er schütze durchschnittliche Investoren vor Betrug. Auch alle anderen Mitglieder der Community, mit denen ich sprach, unterstützten oder billigten das ICO-Verbot. 90 Prozent der chinesischen ICOs seien Betrug, wurde mir gesagt. Lu rechnet damit, dass sich die Lage wieder entspannen werde – beispielsweise mit einer staatlich betriebenen Börse.

Zeitweise wurden in China mehr Bitcoin-Wallets heruntergeladen als in der gesamten restlichen Welt zusammen. Es ist einfach zu verstehen, warum Bitcoin dort für so viele Menschen attraktiv ist. Im stark regulierten Finanzsystem sind Bitcoins einige der wenigen Investitionsmöglichkeiten. Die Börse in Shanghai kommt seit Jahren kaum voran, und Immobilien sind für die meisten Leute unerschwinglich. Schon Mitte 2013 bewegten chinesische Börsen täglich Bitcoins im Wert von rund 35 Millionen Dollar.

Dieses Spekulationsfieber drohte außer Kontrolle zu geraten. Peking sorgte sich, dass zu viel der Landeswährung Yuan indirekt ins Ausland abfließen könnte. Anfang Januar unternahm die Regierung deshalb den nächsten Angriff auf die Kryptowährung: Nach einem Bericht der chinesischen Tageszeitung "China Daily" wollen die Behörden Bitcoin-Miner zu einem geordneten Ausstieg aus der Erzeugung von Kryptowährungen drängen. Derzeit kommen rund zwei Drittel der weltweiten Mining-Leistung aus China.

Mit ihren Maßnahmen hat die Regierung es Neulingen nun schwerer gemacht, auf dem Bitcoin-Markt mitzumischen – schwieriger, aber eben nicht unmöglich. Bereits jetzt lässt sich der Bann umgehen. Manche Nutzer tauschen Bitcoins direkt untereinander aus, online oder offline. Außerdem lassen sich Digitalwährungen weiterhin über die verschlüsselte Nachrichten-App Telegram handeln. Sie ist in China zwar gesperrt, lässt sich aber über ein Virtual Private Network (VPN) nutzen, das die Große Firewall umgeht. Wer bereits digitale Münzen besitzt, kann an einer ausländischen Börse damit handeln. Selbst auf WeChat, der in China enorm beliebten, aber strikt überwachten Nachrichten-App, gab es einige Bitcoin-Geschäfte. Gerüchteweise will die Regierung solche Schlupflöcher nun aber auch ins Visier nehmen.

Das Wort "Bitcoin" mag in China fast zum Tabu geworden sein, bei "Blockchain" aber sieht es anders aus. Han Feng aus Peking ist Mitgründer der Elastos Foundation, die den ambitionierten Plan verfolgt, ein ganz neues Internet auf der Basis von Blockchain-Technologie aufzubauen. Im vergangenen Herbst wollte er an der Tsinghua University eine Vorlesung halten, die per Webcast in die ganze Welt übertragen werden sollte. Monatelang bereitete er sich darauf vor, selbst die Kamerastative waren schon installiert. Dann warb die Universität auf WeChat für die Veranstaltung und bezeichnete sie als "erste Bitcoin-Vorlesung an der Tsinghua University".

Han ärgerte sich über diesen Mangel an politischer Sensibilität. Warum in einer so heiklen Zeit das Wort "Bitcoin" benutzen? Natürlich wurde die Online-Vorlesung abgesagt. Han aber konnte das nicht stoppen: Statt vor aller Welt hielt er die Vorlesung vor Ort auf dem Campus der Universität. Sie stand unter dem politisch korrekteren Titel "Die intelligente Volkswirtschaft und Blockchain".

Auch chinesische Behörden sehen eine große Zukunft für die Blockchain – sie wird sogar im neuesten Fünfjahresplan der Kommunistischen Partei erwähnt. Immerhin ermöglicht die Technologie ein fälschungssicheres Register für Zahlungen und viele andere Transaktionen, ganz ohne Intermediäre. Nur möchte das Land Blockchains eben lieber ohne Bitcoin haben. "Die Zentralregierung will Blockchains nutzen, um die Vertrauenswürdigkeit von öffentlichen und administrativen Daten sicherzustellen, aber sie will nicht, dass die Bürger ihr eigenes Geld drucken können", sagt Ben Koo, Technik-Professor an der Tsinghua University.

Möglicherweise hofft China, Bitcoin mit seiner eigenen Digitalwährung ersetzen zu können. Sie ist zumindest in der Entwicklung, offenbar um Finanztransaktionen billiger, sicherer und leichter verfolgbar zu machen. Bitcoin-Anhänger wie Bobby Lee aber sagen, eine staatliche Version wäre ein "völlig anderes Tier". "Das wird eine kontrollierte, zentralisierte Währung, die zufälligerweise digital ist und mit Verschlüsselungstechnologie arbeitet", erklärt er. Wenn für die neue Währung dieselbe Geldpolitik, dieselben Zinsen, dieselben Beschränkungen, dieselben Grenzen und dieselben Regeln gelten wie für die traditionelle, so Lee, "dann kann man sie mit etwas vollkommen Freiem wie Bitcoin gar nicht vergleichen".

Doch anders als beim Internet sei es jetzt schon viel zu spät, China vom Rest der Welt zu isolieren. "Man kann Bitcoin in China nicht verbieten", sagt der Vizepräsident der geschlossenen Börse BTCC. "Solange es nur ein einziges Kabel gibt, das von China nach außen führt, wird Bitcoin überleben." Tatsächlich ist ein großer Teil des Bitcoin-Handels nach den chinesischen Verboten nach Japan und Südkorea abgewandert. "Blockchain ist eine globale Technologie", sagt Elastos-Mitgründer Han. "Unterschiedliche Funktionen können in unterschiedlichen Ländern angesiedelt sein. Zum Handeln geht man in Länder mit freundlichen Gesetzen wie Japan. Sucht man viele Kunden, geht man nach China. Und wenn man eine Technologie-Community braucht, geht man in die USA."

Der Kurs spiegelt diese Einschätzung wider: Er erholte sich nach dem Verbot in China nicht nur, sondern erreichte immer neue Rekordstände. Möglicherweise haben die chinesischen Behörden sogar selbst dazu beigetragen: "Als China begonnen hat, Bitcoin zu regulieren, war das ein Zeichen dafür, dass es diese Währung sehr ernst nimmt", sagt Yan Chen, CEO von NBL, einem Dienstleister für die Speicherung von Wallets. "Der Markt sieht, dass Regierungen Angst vor Bitcoin haben, also muss es wirklich mächtig sein."

Zumindest vorläufig also hat Bitcoin das Versprechen gehalten, von einer einzelnen Regierung nicht gestoppt werden zu können, nicht einmal von einer so mächtigen wie der Chinas. Oder wie es Lee formuliert: "Jedes Mal, wenn man versucht, Bitcoin zu schlagen, und es stirbt trotzdem nicht, wird es noch stärker."

(bsc [5])


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