Zurück in die Zukunft

Seite 2: Einzeln und hoch vernetzt

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Deren Basismodul passt in ein 19-Zoll-Rack, in dem Musiker normalerweise ihr Equipment transportieren: Vier Integrierer, vier Komperatoren, acht Summierer und vier Multiplizierer stecken in der Kiste, die in dieser Ausstattung etwa 4000 Euro kostet. "Damit kommen wir gerade mal so mit plus/minus null raus", sagt Ulmann. Den kleinen Gewinn stecken die Analog-Pioniere in die Weiterentwicklung ihrer Computer.

An eine Massenfertigung ist ohnehin nicht zu denken. Der Kundenkreis ist klein, die Arbeit mit Analogrechnern erfordert engen Kontakt und viel Betreuung durch den Hersteller. Und perfekt sind die Systeme auch noch nicht. Ausgerechnet bei der Vorführung bei einem interessierten Kunden sei ihm aufgefallen, dass einer der Integrierer nicht funktionierte, erzählt Ulmann. "Wir haben uns das zu Hause angesehen und festgestellt, dass es ein Designfehler war – früher oder später wären auch die anderen Integrierer kaputtgegangen." Also schrieb Ulmann seine Kunden an, ließ sich die betroffenen Platinen schicken und tauschte die Bauteile aus. "Drei Tage später hatten die wieder ihre funktionierenden Rechner."

Drei größere Systeme mit mehreren Basismodulen hat Analog Paradigm bisher verkauft: eines an "einen Privatmann in Bremen", eines an die École polytechnique in Paris und eines an das Institute für Medizinische Systembiologie an der Universität Ulm. Dort simulieren Hans Kestler und seine Mitarbeiter Modelle von Signalübertragungspfaden in Zellen mithilfe der Analogrechner – um biologische Informationsverarbeitung besser zu verstehen und so Ansatzpunkte für neue Medikamente zu finden. Solche Pfade müsse man sich als komplexe, nichtlineare Netzwerke vorstellen, erklärt Kestler. Netzwerke, die mit Systemen von gekoppelten Differenzialgleichungen beschrieben werden können und die "überraschend stabil gegen Störungen sind".

Greife man nur "einzelne, hoch vernetzte" Komponenten an, um einen molekularen Signalweg zu blockieren, dessen Funktion gestört ist, kann das zwar "in der Zellkultur funktionieren, aber beim Patienten nützt es nichts", sagt Kestler. Er setzt daher darauf, die komplexe Dynamik solcher Signalwege zu verstehen, um sie gezielt verändern zu können. "Aber das ist alles noch sehr experimentell und sehr exotisch", sagt Kestler. Um die Suche nach den Parametern, die diese Dynamiken beschreiben, weiter zu beschleunigen, entwickeln Ulmann und seine Mitarbeiter gerade ein zusätzliches Modul, das digitale Signale direkt als Parameter in den Analogrechner einspeisen kann.

Neben dem Rechner von Ulmann lässt Kestler noch einen zweiten analogen Computer laufen. Der "hybride" Chip stammt von Yannis Tsividis von der Columbia University. Er befindet sich auf einem kleinen Board, das per USB mit einem digitalen Rechner verbunden wird. Das Programmieren läuft über eine grafische Programmierschnittstelle, die allerdings noch sehr "low level" ist, sagt Tsividis.

Auch Tsividis' Rechner kann Differenzialgleichungen lösen – "mit einem Energiebedarf, der mindestens eine Größenordnung kleiner ist als bei digitalen Rechnern und eine Größenordnung schneller". Um "fair gegenüber dem digitalen Computer" zu sein, dürfe man aber nur "Äpfel mit Äpfeln vergleichen", sagt Tsividis. "Die Genauigkeit unseres Systems ist begrenzt." Tatsächlich arbeitet der Analogteil seines Chips nur mit acht Bit Genauigkeit. Verglichen mit den 64 Bit, die bei digitalen Computern Standard sind, erscheint das auf den ersten Blick ungenau, allerdings ist für die konkrete Anwendung immer die Frage, auf wie viele Nachkommastellen genau das Ergebnis tatsächlich sein muss. Deshalb ist Tsividis fest davon überzeugt, dass die analogen Rechner nicht nur eine glorreiche Vergangenheit, sondern auch eine spannende Zukunft haben. "Die meisten Kollegen, mit denen ich gesprochen habe, sind angenehm überrascht, würde ich sagen", sagt er.

"Natürlich gibt es viele Fragen, aber wir haben gezeigt, dass es funktioniert. Nun ist es unsere Aufgabe, diese Art von Computer zugänglich zu machen, damit interessierte Wissenschaftler sich selbst ein Bild machen können." Die größere Benutzerfreundlichkeit erkauft Tsividis jedoch mit einem Nachteil: Die hochintegrierten Bauteile seiner Chips und Tausende programmierbarer Schalter machen es erforderlich, dass vor jeder Berechnung eine automatische Kalibrierung laufen muss, um Schwankungen in den physikalischen Parametern der Bauteile auszugleichen. Die Kalibrierung frisst den Geschwindigkeitsvorteil der analogen Rechner zum Teil wieder auf.

Dennoch wird an solchen hybriden Systemen wohl kein Weg vorbeiführen. "Auf Dauer ist das mit dem Verkabeln nicht das Wahre", sagt auch Ulmann. Denn die junge Generation von Informatikern könne mit elektronischen Schaltungen in der Regel überhaupt nichts anfangen. "Die leben in einem digitalen Zahlenraum aus Nullen und Einsen." Auch ihm schwebt ein hybrider Rechner vor, dessen digitaler Teil die gewünschten analogen Rechenmodule zusammenschaltet. Anders als Tsividis' hochintegrierter Chip soll dieser Rechner aber komplette Blöcke analoger Bauteile verkoppeln und deshalb nur ein paar Hundert programmierbare Schalter enthalten.

Auf dem Weg zum Ausgang passieren wir noch einmal die stummen, ramponierten Zeugen der Vergangenheit, die er in mühsamer, teils jahrelanger Kleinarbeit repariert hat – Röhre für Röhre, Platine für Platine. "Als Nächstes müssen wir erst mal herausfinden, wie die optimale Größe für die analogen Blöcke ist", sagt Ulmann. Angesichts der wieder laufenden Computer besteht kein Zweifel daran, dass er das nötige Durchhaltevermögen hat, um auch diese Aufgabe zu meistern.

(wst)