60-Stunden-Woche: Enshittification für Big-Tech-Jobs

12 Stunden am Tag im Google-Büro? Nein, danke, meint Eva-Maria Weiß, Big Tech verliert seinen Glanz – auch als Arbeitgeber.

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Frau vor einem Computer wundert.

(Bild: fizkes/Shutterstock.com)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Google, Facebook, Apple und Co – das ganze Silicon Valley war mal für Technik-interessierte Menschen eine Art Sehnsuchtsort. Da kamen aufregende Produkte her. Da war der Puls der Zeit. Und in Deutschland für eines der großen Tech-Unternehmen zu arbeiten, dürfte für viele Menschen lange ausgesprochen reizvoll gewesen sein. Es war einmal. Jetzt schreiben wir das Jahr 2025, die KI macht uns alle effizienter – und übernimmt alle lästigen Aufgaben für uns, weshalb wir noch viel mehr arbeiten und zurück ins Büro müssen.

Meint zumindest Google-Mitgründer Sergey Brin, der seit Herbst 2024 wieder im Unternehmen mitmischt. Sein internes Memo, in dem er sich über die Vorzüge einer 60-Stunden-Arbeitswoche auslässt und die werktägliche Rückkehr ins Büro fordert – immerhin: an den Wochenenden darf man Zuhause arbeiten –, liest sich wie eine Seite aus dem Silicon-Valley-Playbook von vor 20 Jahren. Doch der Wind hat sich längst gedreht, auch im Valley.

Ein Kommentar von Eva-Maria Weiß
Ein Kommentar von Eva-Maria Weiß

Eva-Maria Weiß hat an der Universität Wien Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Medienpsychologie studiert und arbeitet seither als Journalistin.

Lange glänzte Big Tech als Arbeitgeber mit schicken Büros, guter Lage im Valley, kostenlosem Obstkorb und geteilten Arbeitsplätzen. Das klang verheißungsvoll und modern. Es wuchsen nicht nur die Diversity-Abteilungen, auch das sogenannte Overhiring machte den Arbeitsplatz für viele Menschen ziemlich entspannt. Die großen Tech-Unternehmen haben Fachkräfte geradezu gesammelt. Social Media sind voll mit Videos von Tech-Mitarbeitern, die auf dem Dach sitzen und Smoothies schlürfen – während der Arbeitszeit, versteht sich – und danach ins firmeneigene Gym gehen. Es gab schlicht nicht genug Aufgaben für die Vielzahl an Mitarbeitenden.

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Nun werden auch bei Big Tech tausende Mitarbeiter gefeuert. Die Diversity-Abteilungen werden geschlossen, Woke ist nicht mehr in Mode. Meta schafft Faktenchecker in den USA ab und moderiert weniger. Auch Brin möchte weniger "Nanny-Produkte" und meint damit weniger Leitplanken. Elon Musk steht schon längst dafür, alles auf die Menschheit loszulassen, was möglich ist – vom grenzenlosen Bildgenerator bis zum Telefonsex-Sprachassistenten. Mitarbeiter von X haben die wohl unangenehmste Kündigungsrunde hinter sich.

Was man nun nicht unbedingt als Reaktion hört: Yeah, ich möchte mich richtig hart verausgaben und direkt in den Burn-out schlittern, um Brin, Zuckerberg oder Musk noch reicher zu machen. Wen wundert das? Zum Beispiel Investor Marc Andreessen, der selbst mit Netscape reich geworden ist. Er meint, der alte Vertrag zwischen Politik, Gesellschaft und Tech-Branche wurde aufgekündigt. Dieser Deal lautete: Tech-Bros gründen, machen tolle Produkte, werden dabei reich und bewundert, zahlen ihre Steuern und geben einen Teil ihres Reichtums an die Gesellschaft zurück. Doch inzwischen sehen sich die Valley-Granden und ihre Unternehmen zunehmender Kritik ausgesetzt.

Was Andreessen nicht sagt: Big Tech hält seinen Teil des Deals längst selbst nicht mehr ein. Die Produkte werden zu Ramsch, um den Profit zu maximieren. Cory Doctorow hat dafür den Begriff Enshittification geprägt: Online-Dienste werden immer schlechter, weil sich die Betreiber immer weniger für Nutzer und mehr für Shareholder interessieren.

Auch der Glanz der hippen Headquarter mit nachhaltigem Catering und flexiblem Homeoffice waren Teile dieses Deals. Zum Meta Headquarter in Menlo Park führt eine extra gebaute Fahrradstraße, der Apple Park in Cupertino ist eine Sehenswürdigkeit. Doch jetzt heißt es: 60 Stunden pro Woche im Büro. Das sind 12 Stunden am Tag und dazu noch Arbeit am Wochenende on top. Und im privaten Umfeld muss man sich fragen lassen, für wen man da eigentlich arbeitet. Denn die Gesellschaft profitiert derzeit ganz sicher nicht von Algorithmen, die Extreme bevorzugen.

Das Selbstbild von Big Tech stimmt immer weniger mit der Wahrnehmung der Gesellschaft überein. Brin tut sich keinen Gefallen mit seinem aus der Zeit gefallenen Schreiben. Zuckerberg kann mit dem Jahr der Effizienz zwar vielleicht die Investoren locken, aber ob das auf Dauer gut geht, wage ich zu bezweifeln. Der Frust der Menschen zeigt sich zum Beispiel bei den schlechten Verkaufszahlen von Tesla, er macht beim Jobmarkt nicht Halt. Effizienzsteigerung dank KI in allen Ehren, aber doch nicht mit neuer Sklavenarbeit. Damit erreicht das Valley eine ganz neue Stufe der Enshittification.

(emw)