Apple und RCS: Der Verlierer sitzt nicht in Cupertino

Apple ist bei RCS eingeknickt, frohlocken einige. Doch die Überwindung könnte sich für Apple auszahlen und andere hart treffen, meint Malte Kirchner.

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(Bild: mki / heise online)

Lesezeit: 4 Min.

Auf den ersten Blick wirkt es wie eine Niederlage. "Kauf Deiner Mutter ein iPhone", spöttelte Apple-Chef Tim Cook noch im Spätsommer 2022, als in einer Fragestunde ein iPhone-Nutzer beklagte, dass er seine Mutter aus Apples Nachrichten-App nur per SMS erreichen könne. Und jetzt, Mitte November, plötzlich die Kehrtwende: #GetTheMessage, ätzte Google gegen Apple in diversen Werbespots und Pressemitteilungen und verlangte schon seit Jahren die Einführung von RCS für Apple-Geräte – in Mountain View klatscht man sich bestimmt in die Hände, dass der ewige Rivale vermeintlich eingeknickt ist.

Ein Kommentar von Malte Kirchner

Malte Kirchner ist seit 2022 Redakteur bei heise online. Neben der Technik selbst beschäftigt ihn die Frage, wie diese die Gesellschaft verändert. Sein besonderes Augenmerk gilt Neuigkeiten aus dem Hause Apple. Daneben befasst er sich mit Entwicklung und Podcasten.

Doch Vorsicht: Apples Schachzug, die Rich Communication Services im Jahr 2024 in der Nachrichten-App einzuführen, ist schlauer und besonnener, als es auf den ersten Blick aussieht. Zweifellos ist die Entscheidung stark von dem wachsenden Druck der Europäischen Union beeinflusst worden, die künftig Interoperabilität erwartet und den mächtigen Gatekeepern aus den USA auf dem europäischen Kontinent mit dem Digital Markets Act und dem Digital Services Act harte Daumenschrauben anlegt. Aber in Cupertino hätte man sich auch noch eine Weile in die Beleidigte-Leberwurst-Ecke verziehen und erstmal den Rechtsweg beschreiten können.

Die jetzige Entscheidung ist eher eine schlechte Nachricht für Meta, wo man sich künftig einem mächtigen neuen plattformübergreifenden und sowohl bei Android als auch iOS ins System integrierten Messenger gegenübersieht. Für Apple hingegen könnte es auf eine Win-win-Situation hinauslaufen.

Zum einen gewinnt Apple nämlich, weil es iMessage außerhalb der USA ohnehin schwer hatte, sich gegen die mächtige Konkurrenz von Meta zu behaupten. Deutschland ist statistisch WhatsApp-Land – eine vernünftige Messenger-Anbindung zu Android ist also sehr wohl auch im Interesse Apples, wenn die systemintegrierte Messages-App in der Nutzergunst hierzulande steigen soll. Nur eine Beinahe-Koalition von Apple und Google kann Metas Macht und anderen Messengern, die plattformübergreifend funktionieren, wirkungsvoll etwas entgegensetzen. Und auch die Mobilfunknetzbetreiber haben dadurch, dass RCS ein Mobilfunkstandard ist, das erste Mal seit langem eine echte Chance, beim Messaging wieder eine größere Rolle zu spielen.

Und je mehr Menschen Geschmack finden an der Nachrichten-App, desto mehr profitiert auch iMessage. Denn Apple öffnet nicht etwa seinen eigenen Messengerdienst, sondern ergänzt RCS in einer Weise, wie es auch SMS und MMS in die Nachrichten-App integriert hat. Wer von Apple-Gerät zu Apple-Gerät kommuniziert, bleibt weiterhin im iMessage-Dienst. Diese Abkoppelung erlaubt es Apple, seinen Messenger nach Belieben weiter auszubauen – und sich Google und die Android-Welt trotzdem weiter ein Stückchen vom Leib zu halten. Doch damit wird Google besser leben können, als nach seinen etlichen glücklosen Messenger-Versuchen in diesem Bereich bedeutungslos zu bleiben. Und Apples RCS-Kurs passt zu dem bereits eingeschlagenen pragmatischen Öffnungskurs der letzten Jahre, etwa durch Mitwirken am Smart-Home-Standard Matter oder an der Passwort-Alternative Passkey.

Der größte Gewinner sind aber die Europäische Union und die Nutzer. Von einigen – besonders in Übersee – verlacht, hat die Europäische Union mit ihren neuen Digitalgesetzen Pflöcke einschlagen, die schon jetzt global zu Verbesserungen für Nutzer führen. Wer den Europäern Überheblichkeit vorwarf und etwa im Vorenthalten des Social-Media-Dienstes Threads böse Vorzeichen für den Kontinent sah, urteilte vorschnell. Statt wie in der Vergangenheit beim Browser wirkungslos im Nachhinein gegen Monopolsituationen vorzugehen, ist die EU endlich vor die Lage gekommen, wie es Katastrophenschützer formulieren – also dem Ereignis einen Schritt voraus. Diese Botschaft ist schon jetzt – auch ohne RCS – bei vielen angekommen.

(mki)