Die Woche: Polierte Kristallkugeln

Der Jahresanfang ist immer auch die Zeit für Spekulationen, was das neue Jahr bringen mag. Unser Wochenrückblick fasst zusammen, welche Trends in der Open-Source-Welt für 2007 vorhergesagt werden.

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Der Jahresanfang ist immer auch die Zeit für Spekulationen, was das neue Jahr bringen mag – kein Wunder, passieren doch zwischen Weihnachten und Neujahr selten wichtige Dinge, die eines Kommentars oder einer näheren Untersuchung bedürfen. Und so schauen Journalisten, Analysten und alle, die sich sonst berufen fühlen, in ihre Kristallkugeln und orakeln, was das Zeug hält; auch in Sachen Open Source.

Auf der sicheren Seite halten sich dabei all die, die bestehende Trends fortschreiben: Bis 2011 sollen beispielsweise laut der Forschungsabteilung von BusinessWeek fast die Hälfte aller Firmen Linux einsetzen, zunehmend auch in unternehmenskritischen Bereichen. Über die konkreten Zahlen kann man streiten, über die Tendenz nicht: Linux wächst seit Jahren mit zweistelligen Zuwachsraten, Open Source ist in vielen Unternehmen akzeptiert, wird in immer mehr Einsatzgebieten zur ernsthaften Herausforderung der etablierten Anbieter, und es ist nichts erkennbar, was diese Entwicklung stoppen könnte – oder etwa doch? Lassen wir die Bedenkenträger zu Wort kommen.

Angesichts der Patentvereinbarungen im Rahmen der Kooperation zwischen Microsoft und Novell ist die alte Befürchtung wieder hochgekocht, Microsoft könnte versuchen, mit der juristischen Keule gegen Open Source vorzugehen. Markige Sprüche von Steve Ballmer, dass Linux MS-Patente verletze, haben die Wogen nicht eben geglättet.

Eine gewisse Verunsicherung im Markt könnte das Schreckgespenst Patente wohl auslösen. Und die Konzentration der Linuxanbieter-Initiative Open Source Development Labs (OSDL) – einst gegründet, um Open Source durch die Förderung der technischen Entwicklung unternehmensreif zu machen – auf juristische Fragen rund um Lizenzierung und Patente zeigt, dass das Linux-Lager gewappnet sein will. Ernsthaften Ärger rund um Patente erwartet allerdings niemand; man ist sich weitgehend einig: Wenn es überhaupt zu Patentstreitereien um Open Source kommt, ist das ein Problem der Anbieter – nicht der Anwender. Und da stehen Schwergewichte wie IBM mit einem gut gefüllten Patentportfolio bereit.

Dann sind da noch die Diskussionen um die neue GPL Version 3, die dieses Jahr hoffentlich fertig wird. Vom Linux-Kernel bis zu Suns Java und der MySQL-Datenbank wächst die Liste der Open-Source-Projekte, die zumindest vorerst bei der alten GPL bleiben wollen. Wobei mit Ausnahme von Linux-Erfinder Linus Torvalds, der in Fundamentalopposition zur GPL3 getreten ist, die Botschaft eher lautet: "Erst mal abwarten". Die Schwarzseher, die aus der verfrühten Debatte um eine noch nicht fertige Lizenz eine drohende Spaltung der Open-Source-Welt ableiten wollen, erscheinen da ein wenig voreilig.

A propos voreilig: Eine Prophezeiung, an die wir uns in den letzten Jahren schon gewöhnt haben, glänzt 2007 durch auffällige Abwesenheit: dass dieses Jahr das Jahr des Linux-Desktops werden wird. Ich weiß nicht mehr, wann erstmals der unmittelbar bevorstehende Durchbruch von Linux auf dem Desktop behauptet wurde, Tatsache ist: Der Desktop, ob zu Hause oder im Unternehmen, gehört nach wie vor Microsoft. Dass Vista mit seinen DRM-Mechanismen die Anwender reihenweise zu Linux treiben wird, wie es beispielsweise IDC glaubt, bezweifle ich ebenfalls: Die meisten werden fluchen, auf Microsoft schimpfen – und die Kröte letztlich schlucken. Glaubt man Gartner, hat überhaupt nur eine Unix-Variante eine Chance auf dem Desktop: Mac OS X. Wobei in Sachen Unternehmensdesktop auch Gartner skeptisch bleibt: Apple positioniere sich zu sehr im Endkundengeschäft, um auf dem Unternehmens-Desktop zu reüssieren, meinen die Marktforscher.

"Unbreakable" soll Oracles Linux sein.

Interessant sind die Prognosen zu Oracles großer Linux-Offensive: Da wird nicht viel draus, sind sich die meisten Analysten keine drei Monate nach dem Start einig. Ob man Oracle das nötige Linux-Know-how zum Lösen kniffliger Linux-Probleme abspricht, daran zweifelt, dass der Datenbankspezialist wirklich besseren Linux-Support leisten kann als Red Hat, oder lediglich auf die Trägheit der Kunden setzt, die den Anbieter nicht ohne Not wechseln werden: Zwingende Gründe für einen Erfolg von Oracles Unbreakable Linux scheint es einfach nicht zu geben.

Aber dass es weitere Umbrüche im Open-Source-Markt geben wird, davon kann man getrost ausgehen. Zu groß ist die Versuchung für die "alte Welt", sich mit dem einen oder anderen Open-Source-Startup in die neue Welt einzukaufen; und zu groß ist die Versuchung der Open-Source-Anbieter von Red Hat über Novell bis Sun, das eigene Portfolio abzurunden. Der Kauf von JBoss durch Red Hat dürfte da nur der Anfang gewesen sein. Eine Vielzahl junger Open-Source-Unternehmen vom Kaliber Alfresco (Content Management), Compiere (ERP), Qlusters (Systemmanagement), XenSource (Virtualisierung) oder Zimbra (Groupware), die Basistechnologien oder Unternehmensanwendungen anbieten, sind potenzielle Kandidaten.

Veränderungen werden vor allem im Bereich Datenbanken erwartet – kein Wunder, haben sich doch mittlerweile mehrere Open-Source-Datenbanken wie Ingres, MaxDB, MySQL und PostgreSQL so weit als unternehmenstauglich etabliert, dass sie am Geschäft der Anbieter proprietärer Datenbanken wie IBM, Microsoft und Oracle kratzen. Oracle beispielsweise hat schon vor einem Jahr über einen Kauf von MySQL nachgedacht.

Auch Sun, mit OpenSolaris und jüngst der Freigabe von Java unter GPL zunehmend auf Open-Source-Kurs, könnte sich stärker engagieren; Spekulationen in Hinblick auf die Übernahme des Linux-Distributors Ubuntu hat es bereits gegeben. Red Hat könnte seinen Open-Source-Stack erweitern wollen, aber womöglich auch gezwungen sein, selbst unter die Fittiche eines Größeren zu schlüpfen – vielleicht, um einer unfreundlichen Übernahme durch den Ex-Partner zu entgehen? Novell, so heißt es, habe schon einen größeren Betrag für Akquisitionen zur Seite gelegt. Vielleicht will das Unternehmen seine Open-Source-Angebote über Linux hinaus ausdehnen? Oder sich durch den Zukauf von Know-how in vermuteten Wachstumsfeldern wie Virtualisierung besser positionieren? Konkrete Prognosen abzugeben traut sich kaum jemand; aber dass dieses Jahr einiges passieren wird, da ist man sich allgemein einig.

Sicher werden weitere Open-Source-Firmen auf dem Markt auftauchen, die Konkurrenz wird zunehmen, und Open Source dürfte immer interessanter für Investoren werden – wobei die Frage nach funktionierenden Business-Modellen für Open Source noch nicht abschließend beantwortet ist. Dennoch dürfte so mancher proprietäre Softwarehersteller unter dem Druck boomender freier Software zumindest teilweise ins Open-Source-Lager wechseln – Vmware, beispielsweise, wird in diesem Zusammenhang als potenzieller Kandidat genannt.

Wobei wir beim aktuellen Megatrend angekommen sind: Virtualisierung. Hier existiert mit Xen eine technisch konkurrenzfähige Open-Source-Alternative zu Vmware und Co., die von Red Hat, Novell und IBM gleichermaßen unterstützt wird. Zudem zeichnen sich mit KVM (Kernel-based Virtual Machine for Linux), dem Mini-Hypervisor lhype und der generischen Hypervisor-Schnittstelle paravirt_ops neue Entwicklungen in Sachen Linux-Virtualisierung ab.

Aber genau hier liegt das Problem: Die Technik ist noch im Fluss, das Spektrum der Software reicht von verwendbar bis experimentell. An Managementtools, Best Practices und der nötigen Infrastruktur rund um die Virtualisierung wird in Firmen wie IBM, Novell, Virtual Iron und XenSource gerade erst gearbeitet. Technisch wir sicher eine Menge passieren, aber bis ausgereifte Lösungen zur Verfügung stehen und Open-Source-Virtualisierung Mainstream wird, dürfte noch einige Zeit ins Land gehen. Immerhin existieren mit OpenVZ und Linux-VServer zwei Lösungen (wenn auch mit begrenztem Anspruch), die bei vielen Webhostern bereits im Einsatz sind. (odi) (odi)