Edit Policy: Brockhaus-Deal – digitale Bildung vs. Lebensrealität in Deutschland

Seite 3: Kompetenzen statt Wissen

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Schließlich stellt sich auch die Frage, welchen Zweck eine Online-Enzyklopädie in der Schulbildung genau erfüllt. Geht es in erster Linie darum, bloßes Wissen zu vermitteln, oder ist es nicht viel wichtiger, wie es in der Pressemitteilung des Bildungsministeriums NRW heißt, „effizienten und verantwortungsvollen Umgang mit Informationen, Daten und Medien“ zu lehren? Weder die berufliche Laufbahn noch die aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben lässt sich allein auf Grundlage des Wissens bestreiten, das Kinder und Jugendliche in der Schule erwerben. Lebenslanges Lernen nimmt in unserer Gesellschaft eine immer wichtigere Rolle ein, deshalb ist eine der bedeutsamsten Aufgaben der Schule, die Befähigung zum selbständigen Recherchieren und Lernen zu vermitteln.

Eine Enzyklopädie ist dabei immer nur der Ausgangspunkt einer Recherche. Kein Schulreferat wird gelingen, das komplett aus Informationen aus einer Enzyklopädie besteht. Die Verwendung von Nachschlagewerken in der Schulbildung dient also vor allem der Vermittlung von Kompetenzen, nicht von Fachwissen. Schüler:innen werden durch die Arbeit mit Nachschlagewerken befähigt, sich selbst Wissen anzueignen und Informationen kritisch zu hinterfragen. Da ist es eher von Nachteil, ihnen Informationen aus einer Enzyklopädie als objektive Wahrheit zu präsentieren, denn natürlich passieren auch hier Fehler – egal, ob es um den Brockhaus oder die Wikipedia geht. Wichtig ist hingegen, dass die Nachschlagewerke mit umfassenden Quellenangaben versehen sind, die ihrerseits frei online verfügbar sind. Spätestens in diesem Punkt hat die Wikipedia gegenüber dem Brockhaus einen meilenweiten Vorsprung.

Wenn der Wert der Enzyklopädien in der Bildung primär in der Befähigung zum selbständigen Recherchieren liegt, warum will das Land NRW dann die Schüler:innen an die Verwendung eines Nachschlagewerks gewöhnen, das ihnen nach Ende ihrer Schullaufbahn nicht mehr zugänglich sein wird? Leonhard Dobusch schlägt als Alternative zu dem Brockhaus-Deal Weiterbildungen zum „Richtig Recherchieren mit Wikipedia, YouTube & Co“ vor. Das mag für einige Bildungsbürger:innen wie ein Affront klingen, die in den Zugangshürden von Brockhaus und Co. ein Qualitätsmerkmal sehen. Der Vorschlag hat aber durchaus Hand und Fuß. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Schüler:innen die so erworbenen Fähigkeiten auch außerhalb der Schule anwenden und trainieren, ist wesentlich höher, wenn sie zur Lebensrealität der Zielgruppe passen.

Die Texte der Kolumne "Edit Policy" stehen unter der Lizenz CC BY 4.0.

(tiw)