Ich bin geheilt!
Ich bin geheilt!
Spielen war schon immer mein Leben. Als Zehnjähriger jagte ich klotzige Aliens durchs Weltall, schoss auf Monster in dunklen Kellergewölben und reiste nächtelang durch die verwunschenen Wälder von Sosaria. Je wohler ich mich in der Welt jenseits des Bildschirms fühlte, desto weniger interessierten mich Schule, Freunde oder Familie. Das Gejammer meiner Mutter ging mir nur noch auf die Nerven. Warum sollte ich mich krumm arbeiten, wenn ich doch im Spiel einfach nur der Held sein konnte. Wer in der Highscore-Liste ganz oben steht, braucht keine Freunde - dachte ich.
Doch die neue "Ludovico 3D"-Therapie von Dr. Brodsky heilte mich von meinem Laster. Und das war ’ne richtige Horrorschau. Sie zerrten mich in einen dunklen Raum vor einen riesigen Bildschirm und setzten mir eine dieser dicken Sonnenbrillen auf, mit denen alles so flimmert wie auf Papas alten Röhrenmonitoren. Und tatsächlich schien auch der Bildschirm wieder so tief zu werden wie damals, obwohl er doch flach war. Alles wirkte plötzlich so dreidimensional - echter als echt.
Und dann spielte ich. Oh, meine BrĂĽder, ich durfte in den schnellsten Rennautos ĂĽber bunte Achterbahnen dĂĽsen. Im grellen Stakkato flogen die Farbmuster an meinen Augen vorbei. Wusch, peng, bumm feuerte ich Raketen ab und tauchte in ein Meer aus Explosionen. Alles schien zum Greifen nah - einfach endgeil.
Doch je schneller ich über die Bahnen glitt und mit Lichtgeschwindigkeit durch die Kurven schaukelte, desto schlechter wurde mir. Erst zuckte nur mein rechtes Auge, dann ein leichter Stich auf der Stirn und ich musste aufstoßen. Zwei Runden später war mir speiübel. Vor meinen Augen flimmerte es und mein Schädel drohte zu platzen. "Aufhören, aufhören, aufhören!" heulte ich. "Stellt es ab, ihr graznigen Bastarde, ich halt’s nicht mehr aus!" Doch Dr. Brodsky hörte nicht auf und zwang mich weiterzuspielen - alles nur zu meinem Besten.
Zwei Wochen lang wiederholte er diese Tortur, Tag fĂĽr Tag mehrere Stunden. Dann wurde ich entlassen und durfte wieder normal spielen, ohne Flimmerbrille und 3D und den ganzen ScheiĂź. Doch auch heute wird mir immer noch ĂĽbel, wenn ich nur ein Videospiel von Weitem sehe. Auf den Highscore-Listen stehen inzwischen die Namen anderer - ich hingegen lebe wieder in der echten 3D-Welt. (hag)