Für Entwickler, Kreative, Spieler, einfach alle: Was will Windows 11?

Windows 11 ist (fast) da und soll die neue Plattform für alle sein. Doch Ökosysteme sind nicht Microsofts Stärke, findet c’t-Redakteur Jan Mahn.

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Von
  • Jan Mahn
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Ein Livestream, angekündigt für 11 Uhr Ortszeit, ein 11 Minuten langes Video vorab, dann eine geleakte Windows-11-ISO im Umlauf. Microsoft hatte es mit subtilen Hinweisen in den vergangenen Tagen geschafft, sich im Gespräch zu halten und sowohl Windows-Freunde, als auch dessen erbitterte Kritiker hatten wieder ein Gesprächsthema: Windows 11 kommt!

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Ein Kommentar von Jan Mahn

Jan Mahn ist seit 2017 bei der c't. Er beschäftigt sich mit den Tücken von Windows- und Linux-Servern, Docker und dem vernetztem Zuhause.

So viel Hype im Vorfeld, das gab es bei Microsoft schon länger nicht und so drängte sich unweigerlich der Vergleich auf: Das ist ja wie bei Apple. Auch während und nach der Präsentation dachten viele genau das: Milchglasoptik, runde Ecken, zentrierte Elemente in der Taskleiste, das ist ja alles wie bei Apple. Doch die Frage, wer sich bei wem hat inspirieren lassen, ist eigentlich müßig. Natürlich gibt es zwischen macOS, Windows, Gnome und KDE Parallelen, schließlich lösen sie alle eine ähnliche Aufgabe und schließlich gibt es immer einen aktuellen Zeitgeist, der bestimmt, was Nutzer gerade als ästhetisch empfinden. Eins scheint sicher: Das Zeitalter harter Kanten und kachelförmiger Farbflächen ist jetzt vorbei (falls es das je gab). Inspiration haben sich Betriebssystementwickler seit jeher bei anderen geholt und gute Ideen haben es so immer wieder in andere Systeme geschafft.

Viel spannender als das leidige "Aber der hat bei dem abgeguckt und mein System kann das schon seit 2005" ist eine andere Parallele zwischen den Redmondern und den vermeintlichen Design-Pionieren aus Cupertino: Beide wollen mehr anbieten als ein Betriebssystem. Sie wollen ein Ökosystem sein, eine Plattform, die alle Bereiche des Lebens abdeckt. Bei Apple steht diese Vision spätestens seit iPod, iTunes und iPhone im Mittelpunkt. Microsoft nutzte jetzt das Windows-11-Event, um noch einmal klarzustellen, dass man sich in derselben Liga sieht.

Zu Windows 11:

So war der Livestream weniger eine Demonstration neuer Funktionen von Windows 11, als vielmehr eine durchchoreografierte Show rund um eine Kernaussage: Windows 11 ist die Plattform für alle! Für Spieler, Entwickler, Büroarbeiter, Schüler, Admins und Kreative. Die gezeigten Funktionen nur Mittel zum Zweck, um diese Aussage zu untermauern: In der Plattform, früher bekannt als Betriebssystem, werden Filme, Apps und Spiele nicht nur konsumiert, sondern auch produziert. Gerade die Berufskreativen, die schon seit fast 30 Jahren häufiger zum Apple-Gerät greifen, sollen ins Windows-Universum kommen. Da passte es ins Bild, dass im Rahmen der neuen Store-Vorstellung fast als einziger Firmenname der von Adobe fiel. Adobe hat auch bei Apples Keynotes einen Stammplatz und darf immer wieder zeigen, wie gut sich iPads und Macs für kreative Arbeiten eignen. Dass sowohl Microsoft als auch Apple den Software-Riesen Adobe so hofieren, ist auch nicht überraschend – beide haben ein berechtigtes Interesse, Adobe noch ein paar Jahre davon abzuhalten, seinen Code für Linux zu kompilieren.

Doch Marktanteile in der Kreativbranche hin oder her, Microsoft ist nicht Apple. Und in einem entscheidenden Bereich humpelt Redmond meilenweit hinterher: beim Ökosystem. Apple hat es geschafft, dass sich Softwareentwickler, die für macOS, iOS, tvOS und die anderen Systeme entwickeln wollen, schlicht alles gefallen lassen. Um überhaupt im Store veröffentlichen zu dürfen, zahlen sie bereitwillig eine Jahresabgabe, sie akzeptieren zähneknirschend, dass Apple gern bei In-App-Käufen mitverdienen will und machen auch Umstiege bei Programmiersprache und Prozessorarchitektur mit. Apple hat die Idee des geschlossenen Ökosystems perfektioniert und kann genießen, wie andere für sie Geld verdienen.

Von dieser Macht ist Microsoft weit entfernt. Gescheitert ist die Idee aus Windows-8-Zeiten, den Entwicklern und Anwendern UWP-Apps schmackhaft zu machen – an dieser Sackgasse scheiterten nebenbei die Versuche auf dem Mobiltelefonmarkt. Gescheitert ist auch der alte Windows-Store – der so unattraktiv war, dass es Jahre dauerte (bis zum Erscheinen von Windows S, das nur Store-Apps ausführen durfte), bis Microsoft selbst dort seine Office-Anwendungen hochlud. Auf der Entwicklerkonferenz Build im Jahr 2018 schaffte es die versammelte Microsoft-Führungsetage in einer zweistündigen Keynote, die Begriffe "Store", "App" und "UWP" konsequent zu meiden.

Diese Fehler hat Microsoft jetzt eingesehen und steuert um. Das Motto des neuen Stores lautet: Macht doch alle, was ihr wollt. Hauptsache, ihr nehmt uns irgendwie ernst. UWP, Electron, klassische Desktopanwendung, alles egal, Hauptsache Inhalte für den Store. Und damit dort gleich zu Beginn etwas los ist, legt Microsoft noch ein Windows Subsystem for Android (WSA) obendrauf und führt künftig direkt Android-Apps aus dem Amazon-Store aus – nimm das, Google, wird man sich gedacht haben.

Soweit es der Präsentation zu entnehmen war, will Microsoft nicht einmal zwangsläufig an Apps verdienen – wer eigene Abrechnungssysteme nutzt, soll das tun. Keine Provisionen, keine Gängeleien bei In-App-Käufen. Es ist offensichtlich, dass Microsoft in Sachen Ökosystem mit dem Rücken zur Wand steht und die Entscheidungen nicht aus einer Position der Stärke getroffen hat. In den ersten Jahren werden sie zwangsläufig Geld drauflegen, um den Store mit Leben zu füllen. Sicher in der Hoffnung, irgendwann so relevant zu sein, dass man ein Stück vom Kuchen verlangen kann. Am Ende des Tages muss Microsoft mit Windows auch wieder Geld verdienen – mit einem Gratis-Upgrade von Windows 10 auf 11 wird das sonst schwierig.

Ob dieser Plan aufgeht? Der neue Store beseitigt sicher die größten Hürden seines Vorgängers und könnte aus Nutzer- und Entwicklersicht bestenfalls eine attraktive Quelle für Software und Softwareupdates werden. Schlimmstenfalls verkommt er angesichts der großen Lockerheit und Microsofts Wunsch, möglichst viele Apps anzubieten, zur Müllhalde voll minderwertiger Schrott- oder gar Betrugs-Apps. Von Qualitätskontrolle und Sicherheitsüberprüfungen war bisher nicht die Rede. Bis der Store zur sprudelnden Geldquelle wird und Windows damit zur ultimativen Plattform für alle Lebenslagen, ist es ganz sicher noch etwas hin – vielleicht mit Windows 12 oder 13.

(jam)