Im Kino: "Die Fotografin" – packendes Porträt einer Kriegsfotografin

Die Filmbiografie von Lee Miller zeigt eine Frau, die mit ihren ästhetisch-dokumentarischen Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg zu einer Ikone der Fotografie wurde.

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Die Schauspielerin Kate Winslet spielt in "Die Fotografin" die amerikanische Kriegsfotografin Lee Miller.

(Bild: Kimberly French, Sky UK Ltd)

Lesezeit: 7 Min.

Eine französische Trümmerstadt im Zweiten Weltkrieg, die Gebäude und Häuserfronten sind zerstört, überall Schutt und Asche, es hagelt Kugeln und Granaten und mittendrin: Lee Miller (gespielt von Kate Winslet), die sich in letzter Minute in Sicherheit bringen und gerade noch ein Bild schießen kann, bevor die Szene völlig in Staub versinkt und ein G.I. sie wegzerrt.

Es ist die Eingangsszene des Films "Die Fotografin" und sie legt dabei zunächst eine falsche Fährte. Zwar ist das Biopic über die amerikanische Fotografin Lee Miller nicht arm an Handlung und Action, das Filmplakat lässt es sogar wie einen Actionfilm aussehen, aber danach geht es erst einmal langsamer und ruhiger zu: Überblendung nach Südfrankreich in den späten 1930er Jahren, um dem Zuschauer zwei Aspekte näherzubringen: Lee Millers Bohemien-Leben vor dem Zweiten Weltkrieg zwischen Paris, der Côte d’Azur und ihren Künstlerfreunden, wie dem Fotografen Man Ray (Sean Duggan), der Journalistin Solange D'Ayen (Marion Cotillard) oder dem Dichter Paul Elour (Vincent Colombe). Zudem wird so Lee Millers späterer Ehemann vorgestellt, der Maler Roland Penrose (Alexander Skarsgård), der sich auch der Freundesgruppe an der Côte d’Azur anschließt.

Den erzählerischen Rahmen des Films bildet eine Interviewsituation zwischen der 70-jährigen Lee Miller, die sichtlich in die Jahre gekommen ist, und ihrem Sohn Antony Miller. Das Interview über den Weltkrieg und die Bilder ist fiktiv, denn der Sohn Antony hat die Fotos und Negative erst nach dem Tod seiner Mutter 1977 auf dem Dachboden des Hauses gefunden. Dieser Fund, bestehend aus circa 60.000 Negativen, Abzügen sowie zahlreichen Manuskripten, bildet sowohl den Ausgangspunkt für das posthume öffentliche Interesse an Lee Miller und ihrem fotografischen Werk als auch die narrative Ausgangssituation und Schlussszene des Films.

Mit "Die Fotografin" – im US-Original trägt der Film den simplen Titel "Lee" – hat Regisseurin Ellen Kuras die bemerkenswerte Lebensgeschichte einer Frau verfilmt, die nicht nur hinter, sondern auch vor der Kamera eine Ikone war. Denn Lee Miller begann ihre Karriere als gefeiertes Fotomodell in den 1920er Jahren, und wurde erst zur Muse und dann zur Assistentin von Man Ray, einem der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts. Doch ihr Drang, selbst kreative Kontrolle zu übernehmen, führte sie hinter die Kamera. Unzufrieden mit ihrer Rolle, nur Objekt der Fotografie zu sein, wurde sie zu Beginn der 1930er Jahre selbst Fotografin und ihre Bilder erlangten rasch Anerkennung. Es war jedoch der Zweite Weltkrieg und ihre Arbeit als Fotoreporterin das Geschehen zu dokumentieren. Als eine von wenigen weiblichen Kriegsfotografen war sie für die amerikanische "Vogue" in Europa unterwegs und hielt die Schrecken des Krieges fest, was Millers Werk endgültig prägte.

Bis an die Front führt auch der Film sein Publikum und nach knapp einer Stunde ist die Anfangsszene wiederzusehen. Nun ist der Zuschauer mitten im Geschehen des Krieges. Egal ob Feldlazarett, Gefangenenlager oder Offiziersunterkünfte, Lee Miller ist als Kriegsreporterin Teil des Krieges. Mit dabei ist einerseits ihr amerikanischer Fotografen- und Kriegsreporterkollege David E. Scherman (Andy Samberg) und andererseits ihre Rolleiflex, die doppeläugige Mittelformatkamera aus deutscher Produktion. Mit dieser hat Miller einen Großteil ihrer Bilder aufgenommen und der Film zeigt das auch sehr schön.

Zusammen mit ihrem Reporterkollegen David E. Sherman (gespielt von Andy Samberg) hat Lee Miller (gespielt von Kate Winslet) einen Großteil ihrer Fotoreportagen während des Zweiten Weltkriegs unternommen.

(Bild: Kimberly French, Sky UK Ltd)

In verschiedenen Szenen erfährt der Zuschauer, wie und in welchem Kontext einige ihrer berühmtesten Fotos entstanden sind: Von der Aufnahme zweier Frauen im von Bomben heimgesuchten London 1942 über das Foto einer toten jungen Frau, die sich zusammen mit anderen Nazis das Leben genommen hat, bis hin zu ihrem berühmtesten Bild: Lee Miller in Hitlers Badewanne – mit dem Porträt des Führers auf dem Wannenrand und ihren schmutzigen Stiefeln davor. Das ikonische Foto entstand in Hitlers von den Amerikanern besetzter Wohnung in der Münchner Prinzregentenstraße. Die Aufnahme ist zwar inszeniert, zeigt aber sehr schön Millers fotografisches und vor allem mediales Gespür für die Macht der Bilder − vor allem ihrer eigenen Bilder. Streng genommen stammt das Bild nicht von ihr, sondern von ihrem Kollegen David E. Schermann, der es für Miller aufgenommen hat.

Weitere historische Szenen und schockierende Bilder aus den befreiten Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald folgen. Hier lässt der Film seine Hauptdarstellerin nicht nur in die Züge und Leichenkammern der Konzentrationslager blicken, sondern auch in die menschlichen Abgründe des Holocaust, die Lee Miller ihr Leben lang bis zu ihrem Tod beschäftigen werden. Gerade das Zustandekommen dieser Bilder, die dem Zuschauer erst im Abspann im Original gezeigt und zugemutet werden, zeugt von Millers Entschlossenheit, auch unter extremen Bedingungen die Wahrheit festzuhalten.

Der authentischen Bildsprache des Films gelingt es sehr gut, die Stimmung der 1930er und 1940er Jahre einzufangen und dem Zuschauer näherzubringen. Die filmische Ästhetik scheint sich in gewisser Weise an Millers ikonischen Schwarzweißbildern zu orientieren und setzt Licht und Schatten meisterhaft ein, um auch die beklemmende Atmosphäre des Krieges einzufangen. So spürt der Betrachter förmlich den Druck und die Verantwortung, die Miller bei ihrer Arbeit empfunden haben muss.

Dies wird gerade durch die beeindruckende schauspielerische Leistung der Hauptdarstellerin Kate Winslet transportiert. Ihr gelingt es, die vielschichtigen Charakterseiten der Lee Miller, von der euphorischen Künstlerin vor dem Krieg über die kritische bis manische Kriegsreporterin bis hin zur gezeichneten alten Dame, glaubwürdig auf die Leinwand zu bringen. Winslet spielt Miller als eine Frau, die stets voll in ihrer Arbeit aufgeht und dabei immer versucht, das Menschliche nicht aus den Augen zu verlieren. Sie zeigt sich Millers innere Zerrissenheit zwischen dem Schock der Kriegsgräuel und ihrer beruflichen Hingabe sehr eindrucksvoll.

Es scheint jedoch das Dilemma eines Biopics zu sein, sich einerseits auf das Persönliche zu konzentrieren und andererseits die Geschichte nicht aus den Augen zu verlieren. Denn an einigen Stellen neigt der Film dazu, sich zu sehr auf Millers emotionale und romantische Beziehungen zu konzentrieren und dabei die Geschichte ihres fotografischen Schaffens aus den Augen zu verlieren. Eine ausgewogenere Darstellung hätte ihrer fotografischen Arbeit noch mehr Gewicht verliehen und würde den Film gerade für Fotoenthusiasten noch interessanter machen.

Alles in allem ist „Die Fotografin: Lee Miller“ ein visuell beeindruckender Film, der die Geschichte einer außergewöhnlichen Frau und Fotografin erzählt, die sowohl in der Kunst- als auch in der Kriegsfotografie bleibende Spuren hinterlassen hat. Die schauspielerische Leistung von Kate Winslet und die visuelle Umsetzung von Millers Fotografien machen den Film zu einem sehenswerten Erlebnis und zu einer klaren Empfehlung für alle, die sich für Fotografie und Geschichte interessieren.

(vat)