Interview: "Apollo hat unseren Blick auf das Sonnensystem massiv verändert"

Im Interview spricht der deutsche Planetenforscher Ralf Jaumann über die Mondforschung und die Bedeutung von Apollo 11.

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Interview: "Apollo hat unseren Blick auf das Sonnensystem massiv verändert"

Buzz Aldrin auf dem Mond

(Bild: NASA)

Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Alexander Pawlak
Inhaltsverzeichnis

Am 16. Juli 1969 war es soweit: Apollo 11 brach zur ersten Mondlandung auf - und am 20. Juli landete die Mondfähre Eagle mit Neil Armstrong und Buzz Aldrin auf dem Mond, während Michael Collins in der Apollo-Kapsel den Mond umkreiste. Am 21. Juli setzte dann Neil Armstrong als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond. In einem Schwerpunkt zur Mondlandung beleuchtet heise online die Ereignisse rund um die Apollo-Missionen.

Am 21. Juli 1969 betrat Neil Armstrong als erster Mensch den Mond. Mit Apollo 11 hatten die USA die Sowjetunion in der Raumfahrt überflügelt. Doch das Ende des Wettrennens im Weltraum markiert gleichzeitig eine neue Ära der Erforschung des Mondes und des Sonnensystems.

Dieses Interview wurde zuerst abgedruckt im Physik Journal 7, 2019.

"Ein großer Schritt für die Menschheit": 50 Jahre Mondlandung

Welche Erinnerung haben Sie an die erste Mondlandung?

Ralf Jaumann (RJ): Damals war ich 15 und auf einem Internat. Die Live-Übertragung durften wir nicht sehen. Doch unser Direktor hat die Bedeutung des Ereignisses erkannt und gab uns schulfrei, damit wir am nächsten Morgen die Wiederholung sehen konnten.

Ralf Jaumann, Leiter des Instituts für Planetenforschung beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)

(Bild: DLR, CC-BY 3.0)

Hat das Ihre akademische Laufbahn beeinflusst?

(RJ): Für mich war vorher schon klar, dass ich etwas Naturwissenschaftliches machen wollte. Die Mondlandung passte zwar gut dazu, war aber letztlich nicht ausschlaggebend dafür, dass ich in der Planetenforschung gelandet bin.

Wie ergab sich das?

(RJ): Nach meinem Geologiestudium sah es jobmäßig nicht so gut aus. Da ich mich nicht mit dem Gedanken anfreunden konnte, mein Leben auf einer Bohrinsel zu verbringen oder nach Metallen zu schürfen, habe ich eine Promotionsstelle gesucht. Die gab mir die Gelegenheit, mich mit dem Mond zu beschäftigen und ihn ausgiebig von Hawaii aus mit dem Teleskop zu beobachten.

Die erste Mondlandung (15 Bilder)

Der Start

Am 16. Juli 1969 hatte eine Saturn V die drei Astronauten in Richtung Mond geschossen.
(Bild: NASA)

Was haben Sie genau erforscht?

(RJ): Es ging um die spektroskopische Beobachtung des Mondes. Zwar gab es dank Apollo Gesteinsproben. Doch wie schaut es zwischen den Landestellen aus? Mithilfe der Spektroskopie im nahen und mittleren Infrarot kann man die mineralogische Zusammensetzung der Mondoberfläche von der Erde aus untersuchen und diese Daten mit den Gesteinsproben abgleichen. Auf diese Weise konnte ich ermitteln, wie sich die Zusammensetzung über größere Areale verändert.

Hat das Apollo-Programm die Planetenforschung geprägt?

(RJ): Auf jeden Fall. Fast alles, was wir über das Sonnensystem wissen, basiert letztlich auf dem Mond. Nicht zuletzt auch über die Methoden, die für seine Erforschung entwickelt wurden. So haben wir gelernt, dass man anhand der Anzahl der Einschlagskrater pro Fläche auf das Alter der Oberfläche schließen kann. Mit der radioaktiven Datierung der Mondproben ließ sich das eichen. Diese Methode lässt sich auf die anderen Gesteinsplaneten übertragen. Der Mond hat somit die Basis für die Zeitskala im ganzen Sonnensystem geliefert. Vor Apollo war vieles über Zusammensetzung und Geologie des Mondes unklar. Bei den Einschlagskratern hat man damals noch über eine vulkanische Entstehung diskutiert. Auf dem Mond haben wir gelernt, dass großräumig geologische Strukturen auch sehr schnell entstehen können.

Auf welche Weise?

(RJ): Nehmen Sie zum Beispiel den Einschlagskrater Tycho auf der südlichen Mondhemisphäre. Der hat einen Durchmesser von 90 Kilometer und in der Mitte einen 3000 Meter hohen Berg. So hoch sind auch die Kraterränder, die damit ein Gebirge bilden, das größer als die Alpen ist. Tycho ist aber nur in wenigen Minuten entstanden und nicht in hundert Millionen Jahren wie die Gebirge auf der Erde. Und hier auf der Erde zerstören Plattentektonik und Verwitterung die Einschlagskrater. Vor 1970 kannte man davon vielleicht vier oder fünf, danach mehrere Hundert, weil man nun wusste, wonach man suchen musste.

Der Mond bildet also ein unberührtes Spiegelbild der Frühzeit der Erde.

(RJ): Wir können in verschiedenen Gegenden auf dem Mond bis zu 4,5 Milliarden Jahre zurückschauen. Apollo hat unseren Blick auf das Sonnensystem massiv verändert, besonders in Bezug auf zwei Aspekte: Erstens sind Kollisionen oder Einschläge von Asteroiden der Normalfall im Sonnensystem. Zweitens finden Prozesse der Differentiation bei der Entstehung von Planeten statt. Materie stürzt in sich zusammen, wird heißer und schmilzt auf. Anschließend bilden sich Kruste, Mantel und der Kern mit den schweren Elementen. All diese Dinge, die man teilweise vorher vermutet hat, sind auf dem Mond wunderbar bestätigt worden.

Erst kürzlich wurden noch unberührte Mondproben für die Forschung freigegeben. Ist ihr Potenzial nicht allmählich ausgeschöpft?

(RJ): Längst noch nicht. Man muss bedenken, dass wir es hier mit über 380 Kilogramm zu tun haben. Zum Vergleich: Bei den Plänen der NASA, Proben vom Mars zurückzubringen, träumt man von maximal zwei Kilogramm. Die Mondproben sind also ein gewaltiger Schatz, bei dem man heute ganz andere Sachen feststellen kann als vor fünfzig Jahren.

Zum Beispiel?

(RJ): Lange war man davon ausgegangen, dass es auf dem Mond kein Wasser gibt. Doch vor einigen Jahren fand sich in Mondproben das Mineral Zirkon und darin Wasser in ganz kleinen Mengen. Das ist der viel besseren Analytik zu verdanken. Auch die Isotopenchemie ist bedeutend besser als damals, sodass es auch bei bereits untersuchten Proben noch viel Neues zu entdecken gibt.

Was lässt sich aus den Proben sonst noch herauslesen?

(RJ): Zunächst einmal Randbedingungen für die Modelle zur Mondentstehung. Die Dichte des Mondes entspricht etwa der des Erdmantels. Das heißt, er muss weniger Eisen als die Erde enthalten, wo es sich vor allem im Kern befindet. Die mineralogische und geochemische Zusammensetzung des Mondes entspricht grob derjenigen von Erdmantel- und Erdkruste. Eine der größten Überraschungen der Apollo-Proben war, dass ihre Sauerstoffisotopenverhältnisse ähnlich wie auf der Erde sind. Daraus hat man geschlossen, dass das Material des Mondes in irgendeiner Form von der Erde stammen muss.

Das heißt, Erde und Mond sind gemeinsam entstanden?

(RJ): Früher ging man davon aus, dass sich der Mond von der Erde abgespalten hat. George Darwin, der Sohn von Charles Darwin, vermutete, dass der Mond aus dem Bereich der Erde stammt, wo sich heute der Pazifik befindet. Doch diese Entstehungstheorie lässt sich einfach nicht mit den heutigen Drehimpulsen und Rotationsraten von Erde und Mond in Einklang bringen. Ähnliche Probleme ergeben sich bei der Idee, dass Erde und Mond als eine Art Doppelplanet aus der Urwolke entstanden sind.

Wie kann man dieses Problem lösen?

(RJ): In den Siebzigerjahren haben amerikanische Wissenschaftler einen der ersten Supercomputer in Los Alamos genutzt, um zu simulieren, was passiert, wenn die Erde von einem marsgroßen Körper, Theia genannt, getroffen wird. Dabei hat sich gezeigt, dass aus der durch den Einschlag entstandenen Glutwolke Material verdampfte, das aber noch schwer genug war, um nicht der Erdgravitation zu entkommen. Daher bildete sich aus dieser Materie ein Ring um die Erde, der anschließend zum Mond kondensierte. Die Tatsache, dass der Mond viel weniger Eisen enthält als die Erde, ließ sich dadurch erklären, dass Theia die Erde nur streifend getroffen hat.

Lässt sich das endgültig belegen?

(RJ): Noch nicht, aber diese Theorie erklärt als einzige die heutigen dynamischen Verhältnisse und die große Ähnlichkeit des Mondes mit der Erde. Die Ungereimtheiten, etwa Isotopenverhältnisse, die nicht so gut übereinstimmen, lassen sich gewissermaßen auf die Zusammensetzung des kollidierenden Körpers schieben.

Sind nun neue Mondmissionen nötig?

(RJ): Die Apollo-Proben stammen ausschließlich von der Vorderseite aus einem Streifen um den Äquator. Wir hätten daher gerne Proben von der Rückseite und am besten noch aus dem Mondinneren, speziell dem Mantel. Allerdings können wir nicht einfach zum Mond fliegen und dort ein Loch bohren. Die Mondkruste ist auf der Vorderseite etwa 40 bis 60 Kilometer dick, auf der Rückseite sogar 100 Kilometer. In der Nähe des Südpols befindet sich aber ein riesiges Einschlagsbecken mit rund 2000 Kilometer Durchmesser. Dort ist der Mond von einem großen Objekt so tief getroffen worden, dass Material aus dem Mantel aufgestiegen sein könnte. Daher würde man von dort gerne Proben holen. Die Schwierigkeit besteht allerdings darin, dass sich das Südpol-Aitken genannte Becken auf der Mondrückseite befindet.

Wie könnte das gelingen?

(RJ): Die chinesische Mission Chang‘e-4 ist immerhin schon dort gelandet und hat einen Rover abgesetzt. Die Robotik ist mittlerweile so weit, dass sie dort auch Proben nehmen und zur Erde schicken kann. Ich bin sicher, dass China das versuchen wird.

Was hat sich in den letzten zehn Jahren bei der Erkundung des Mondes getan?

(RJ): Die NASA-Mission Lunar Reconnaissance-Orbiter hat seit 2009 fast den ganzen Mond dreidimensional kartiert, wobei die Topographie in unserem Institut in Kooperation mit den amerikanischen Kollegen gerechnet wurde. Die Kartierung des Mondes ist mittlerweile besser als die des Mars, manchmal sogar besser als für einige Gebiete auf der Erde. Zusammen mit dem Lunar Reconnaissance-Orbiter wurde außerdem die Sonde LCROSS gestartet, um ihre Raketenstufe in einen permanenten Schattenbereich am Südpol abzuwerfen.

Wozu?

(RJ): Ziel war es, die Auswurfwolke zu analysieren. Dabei ist es gelungen, Wasser und volatile Gase wie Ammoniak, CO2 und sogar einfache organische Verbindungen nachzuweisen. Diese liegen in tiefen Einschlagskratern am Südpol, wo permanenter Schatten ist, in gefrorener Form vor. Das Wasser stammt vermutlich hauptsächlich von Kometeneinschlägen. Die indische Mondsonde Chandrayaan 1 hat aber auch Wasser außerhalb der Pole gefunden. Es hat sich gezeigt, dass auf dem Mond spontan Wasser entstehen kann, und zwar über Protonen aus dem Sonnenwind und dem Sauerstoff in Mondgesteinen. Ein Teil dieser Wassermoleküle könnte zu den Polen migrieren und sich in den Schattenregionen sammeln.

Falls es zu einer bemannten Mission käme, wie wichtig wäre der wissenschaftliche Aspekt?

(RJ): Sehr wichtig. Man darf nicht vergessen, dass auch das Apollo-Programm eine sehr große wissenschaftliche Bedeutung bekommen hat. Zuerst mag es um das Wettrennen mit der Sowjetunion gegangen sein, aber die USA haben das wissenschaftliche Potenzial sofort erkannt. Auch wenn die Apollo-Astronauten fast ausschließlich Testpiloten waren, mussten sie geologische Kurse besuchen und lernen, wie man Feldarbeit betreibt, insbesondere in Einschlagskratern auf der Erde. Zukünftige Mondexpeditionen werden sicherlich maßgeblich von Wissenschaftlern durchgeführt.

Heutige Astronauten sind da ganz anders aufgestellt.

(RJ): Alexander Gerst ist Geophysiker und Matthias Maurer Materialwissenschaftler. Eine bemannte Mission auf der Rückseite wäre allerdings beliebig schwierig. Ein Problem dabei ist, dass auf dem Mond zwei Wochen Tag herrscht und dann zwei Wochen Nacht. Astronauten können dort also nur maximal 14 Tage arbeiten. Roboter lassen sich für die extrem kalte Mondnacht in Hibernation versetzen und später wieder aufwecken.

Ist der Mond eigentlich heute noch aktiv?

(RJ): Es gibt immer noch Mondbeben. Das ließ sich mit den Seismometern feststellen, welche die Apollo-Astronauten auf dem Mond installiert haben. Die Beben sind teilweise durch Meteoriteneinschläge verursacht, stammen aber auch aus der Mantel-Kern-Grenze. Über diesen Bereich wissen wir allerdings noch viel zu wenig, da es bislang seismische Messungen nur auf der Vorderseite gab. Wenn man aber etwas über den Kern erfahren möchte, muss man von beiden Seiten messen. Daher ist für die Geophysiker eines der vorrangigen Ziele, seismische Stationen auf der Vorder- und der Rückseite des Mondes aufzubauen.

Gibt es neue Erkenntnisse über die Wechselwirkungen zwischen Erde und Mond?

(RJ): In den letzten Jahren ist die Frage, welche Bedeutung der Mond für die Erde hat, immer mehr in den Fokus gerückt. Entscheidend ist, dass die Erde ohne den Mond viel schneller rotieren würde. Dies hätte immense Auswirkungen auf das Leben bzw. seine Entwicklung, weil auch die Atmosphäre viel dynamischer wäre. Manche Forscher gehen davon aus, dass selbst die Plattentektonik durch den Mond getriggert sein könnte. Dieser hebt ja nicht nur Wasser, sondern bewegt auch die Erdkruste um etwa zehn Meter auf und ab. Ohne Plattentektonik würden die Wärmeverteilung und Dynamik im Erdinneren anders aussehen. Eventuell gäbe es dann gar kein Erdmagnetfeld, das für das Leben absolut notwendig ist, weil es die Partikelstrahlung von der Sonne abhält. Ohne die CO2-Freisetzung durch die Plattentektonik wäre die Erde deutlich kälter geblieben, und die globale Jahresdurchschnittstemperatur läge unter null Grad.

Der Mond ist also lebenswichtig?

(RJ): Auch für die Entstehung des Lebens. In ihrer Frühzeit rotierte die Erde schneller, und daher war der Mond näher bei der Erde und die Gezeiten fielen stärker aus. Heute schwappt das Wasser in den Gezeiten etwa zehn bis zwanzig Kilometer hin und her, früher müssen das hunderte von Kilometern gewesen sein. Das könnte das Gestein viel stärker verwittern und das Wasser effektiver mit Nährstoffen anreichern und so Idealvoraussetzungen für die Entstehung von Leben schaffen. Der Mond stabilisiert auch die Rotationsachse der Erde, die ansonsten zwischen Sonne und Jupiter hin und hergezogen würde und wie beim Mars umkippen könnte. Dann würden abwechselnd die Pole oder der Äquator ausfrieren. Das komplexe Zusammenwirken von Erde und Mond sorgt sehr wahrscheinlich dafür, dass die Erde so ein perfektes Raumschiff geworden ist.

Alexander Pawlak. "Apollo hat unseren Blick auf das Sonnensystem massiv verändert.“ Physik Journal. 2019. 7. 26 ff. Copyright Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reproduced with permission.
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(mho)