"KI? Ich bin lieber Teil davon als abgehängt": Interview mit einem Investor
Stability AI hat eine große Finanzierungsrunde hinter sich, und KI hat Konjunktur. Wir müssen den Umgang mit Technologie neu denken, sagt Investor Nils Seele.
- Silke Hahn
Nils Seele aus Karlsruhe ist Partner bei Private-Equity-Gesellschaft LEA und betreut dort die Start-ups im Deep-Tech-Fonds. Seit über fünf Jahren baut er Technologiefirmen mit auf und betätigt sich als Investor. Insbesondere im europäischen Raum hat er einen guten Überblick über das, was sich in der Tech- und Start-up-Szene tut. Er hat einen Master of Science in Wirtschaftsinformatik, und während seines Studiums beschäftigte er sich mit Machine Learning. Wir haben ihn um eine Einschätzung zur Finanzierungsrunde bei Stability AI und Stable Diffusion gebeten.
heise Developer: Herr Seele, Stability AI hat gerade eine große Finanzierungsrunde hinter sich, ein Unternehmen für kreative KI – wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?
Nils Seele: Es ist fast schon komisch: Lange dachte man, dass KI sich als Erstes in der Verwaltung durchsetzen wird, die kreativen Tätigkeiten aber ausspart. Jetzt macht Stable Diffusion genau das und ist zugänglicher denn je für die breite Masse. Ein Bild mit einer Maus im Weltraum im Picasso-Stil? Einfach eintippen, ausführen lassen – et voilà, die KI liefert es. Da kann es den renommiertesten Kunstkritikern schon passieren, dass sie unwissentlich die KI als den neuen Superstar der Kunstszene handeln.
Masse an Content rollt auf uns zu
Wo wird das hinführen, was meinen Sie?
Wo das hinführen kann? Warum sollte ich nicht demnächst mein Lieblingsbuch nehmen und der KI sagen, dass sie einen Film daraus entwickeln soll. Ein kleiner Prompt hinterher: Der Held soll mein Gesicht haben, und ab damit auf YouTube. Am besten legt sich die Copyright-Industrie schon mal selbst eine "Copyright AI" zu, denn da rollt eine Masse an Content auf uns zu, wobei noch komplett unklar ist, wie wir damit umgehen.
"Nicht versuchen, eine Maschine zu sein"
Stimmt, da stehen gewiss rechtliche Auseinandersetzungen bevor. Aber was Sie sagen, hatte vor Kurzem ein nordirischer Filmmacher ähnlich prognostiziert: Die Zukunft des Kinos und des Filmemachens überhaupt ist ihm zufolge hybrid. Die Vision, dass dann Schauspieler wie Puppen fremde Gesichter aufgesetzt bekommen, steht im Raum. Was bedeutet das für die Branche, vielleicht auch für Ihre?
Diese generativen Modelle werden gerade in die Workflows eingebaut und haben das Potenzial, Industrien nachhaltig zu verändern. Das ist eine Revolution, die die Art und Weise, wie wir mit Technologie umgehen, grundlegend neu denkt. Der Zugang und die Nutzung werden einfacher, die Frage der Handhabung schwieriger. Während die EU sich mit dem AI Act beschäftigt, kommen Modelle wie DALL·E, Stable Diffusion oder Midjourney auf den Markt, die binnen kürzester Zeit Millionen an Nutzern haben. Das heißt, die Modelle sind schon in Anwendung. Aktuell noch als Assistent, wie beispielsweise der Github Co-Pilot oder Copy AI – aber wir zeigen ja der KI, was wir machen.
Von daher ist es nur eine Frage der Zeit, bis die KI auch den Junior Coder und darüber hinaus ersetzen kann. Aktuell würde ich da fast jede White-Collar- oder Schreibtischarbeit reinrechnen, meine Branche nicht ausgenommen. Viel wichtiger werden dann menschliche Eigenschaften und nicht zu versuchen, eine Maschine zu sein. Blue-Collar-Berufe werden die letzten sein, die ersetzt werden. Denn KI in die echte Welt zu bringen – mit Robotern, die generativ arbeiten können – ist weitaus komplexer. Handwerker wird es noch eine ganze Weile geben. Filmemacher auch, nur werden das in Zukunft weitaus mehr aus ihrem Wohnzimmer heraus machen. Die großen Gewinner sind dann die Firmen, die das Tooling und den Zugang bieten.
Können Sie das weiter einordnen?
StabilityAI oder Jasper zum Beispiel sind Firmen, die solche Modelle nutzbar machen. Sie sind das neue Photoshop der Figma (Anm. Red.: kollaborative Software zum Erstellen von Prototypen im UX und UI Design). Mit dem einfachsten User Interface, das es gibt: Text und Sprache. Investoren sehen das und investieren riesige Finanzierungssummen – Stability AI oder Jasper erhielten jeweils über 100 Millionen US-Dollar.
Verantwortung als Investor bei Schlüsseltechnologie
Ich höre einen kritischen Unterton – ist das ein Problem?
Im Gegenteil. Am Ende bringt uns Produktivitätsgewinn voran, und KI ist einer dieser hundertfachen Produktivitätsschübe. Das ist eine absolute Schlüsseltechnologie für unsere Gesellschaft, wie Energie oder Biotechnologie. Wenn Europa hierin souverän werden will, darf es nicht nur die besten KI-Gesetze produzieren, sondern muss ein Angebot für Unternehmen haben, die "AGI Made in Europe" entwickeln.
Moment, da muss ich einhaken. AGI, also Artificial General Intelligence, ist ja noch nicht da und existiert derweil nur in der Theorie. Der Weg dahin birgt Risiken... Damit setzen Sie sich als Investor vermutlich auch auseinander?
Natürlich ist das eine Frage der genauen Definition von AGI, aber stimmt, da sind wir noch nicht. Zum Glück, sonst hätten wir das Rennen verloren. Das beschäftigt mich nicht nur als Investor, sondern auch als Europäer sehr. Die Kehrseite wäre, dass wir Unternehmen AGI entwickeln lassen, die europäische Interessen nicht an erste Stelle setzen – wir werden uns dann im Zweifel kulturell unterordnen müssen. Da finde ich die Aussicht auf Vielfalt und eine europäische KI, die mit unterschiedlichen Kulturen und unseren Werten umgehen kann, eine wünschenswertere Zukunft.
Eine klare Position – haben Sie ein Beispiel vor Augen?
In meinen Augen ist Aleph Alpha als europäisches Unternehmen eines der wenigen, die technisch auf Weltniveau mitspielen. Dort sieht man sich allerdings im Ringen um die besten Talente mit Unternehmen konfrontiert, die über schier unendliche Ressourcen zu verfügen scheinen. Da fehlt es uns in Europa schon noch an monetären Mitteln, um mitzuhalten. Das wird sich aber hoffentlich bald ändern.
Sie sprechen von einem Heidelberger Start-up, das an KI forscht und Anwendungen umsetzt. In welcher Beziehung stehen Sie zu dem Unternehmen?
Ich bin Board Member bei Aleph Alpha – wie auch bei weiteren Unternehmen, wie Smart Steel, Sevdesk, Flip oder Workwise.
Europäische Souveränität: "Karten sind noch nicht gelegt"
Was hat Sie zu dieser Investition bewegt?
Als Investor glaube ich vor allem an Gründer. Ohne sie gibt es keine Unternehmen, keine Investoren, niemandem, der den Status quo herausfordert und Dinge umsetzt. Somit hat mich vor allem Jonas Andrulis dazu bewegt – einer der Gründer von Aleph Alpha, der früher in leitender Funktion in der KI-Forschung bei Apple gearbeitet hat. Ich teile ganz stark seine Ansicht, dass die Karten noch nicht gelegt sind und wir in Europa erstmal alle Grundlagen haben. Das sind vor allem Talente – die Aufgabe ist es, sie hinter dem großen Thema zu vereinen und AGI aus Europa zu entwickeln. Viel Zeit bleibt aber nicht, und es steht viel auf dem Spiel.
Was meinen Sie damit – was genau steht auf dem Spiel, aus Ihrer Sicht?
Überspitzt gesagt: die europäische Souveränität zum einen, unsere Kultur und Werte zum anderen. Überdramatisieren hilft aber auch nicht. Dafür entstehen viel zu großartige Sachen mit KI. Insgeheim ist mein Traum ja, Filmemacher zu sein. Von daher freue ich mich, in Zukunft den nächsten Blockbuster aus meinem Zimmer heraus zu entwickeln.
Ausgangspunkt unseres Gesprächs war Stability AI. Würden Sie hier ebenfalls investieren, und wenn ja, wieso? Was würden Sie anderen Investoren raten?
Das ist eine fantastische Firma und ich würde sofort investieren – Nutzer bin ich ja. Wirklich raten kann ich da aber niemandem etwas. Da muss jeder für sich seine Hypothesen formulieren. Meine lautet: AGI wird immer mehr Bereiche durchdringen und die Möglichkeiten sind aufregend. Ich bin lieber Teil davon und technologisch souverän als abgehängt.
Danke für die Einschätzung.
Das Gespräch führte Silke Hahn, Redakteurin bei heise Developer.
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(sih)