KI-Technik als zweifelhafter Messias – ein Kommentar
KI wird als Lösung für Probleme angepriesen, die man mit guter Organisation nicht hätte. Wird Zeit für einen neuen Hype, der KI verdrängt, meint Peter Siering.
- Peter Siering
Das Beste an KI ist, dass niemand mehr von Blockchain faselt, sagte ein gelegentlicher c’t-Autor vor einiger Zeit. In mir wächst mittlerweile die Ungeduld, dass endlich ein neuer Hypermessias um die Ecke biegt, damit es bald heißen kann: "Das Beste am Hypermessias ist, dass niemand mehr von KI faselt." Bis dahin dürften wir aber noch allerlei Verfehlungen sehen, mit KI Probleme zu lösen, für die es weit bessere Ansätze geben würde.
Die Krone der KI-Katastrophen trägt für mich gerade Microsofts Recall. Nicht weil es übergriffig mit den Nutzerdaten umgeht, nicht weil Microsoft anfangs nur eine unsichere Implementierung vorgelegt hat, sondern weil die Entwickler damit versuchen, ein rein organisatorisches Problem mit Technik zu lösen. Wer länger in der IT tätig war, kennt das gut: Ein Laden ist schlecht organisiert und die Verantwortlichen hoffen, mit Technikeinsatz das Organisationsproblem zu erschlagen.
Technikaberglauben
Das hat in den vergangenen Jahren viele blutige Nasen gegeben – aber es haben im Wesentlichen diejenigen dafür bezahlen müssen, die dem Technikaberglauben aufgesessen waren. Paradoxerweise hat Microsoft den vorherigen Versuch, Nutzern Orientierung in seinem eigenen Datensalat zu verschaffen, den Aktivitätsverlauf, längst wieder eingestellt: Kein App-Entwickler hat sich dafür interessiert – darauf war das Feature aber angewiesen.
Nun, gut. Dann werfen die Redmonder jetzt eben Technik auf das Problem: Mit KI soll alles besser werden. Recall liest per Screenshot mit, lässt OCR und Bilderkennung über die erzeugten Schnappschüsse laufen. Mal wieder gleicht Technik mangelnde Selbstorganisation aus. Prima, meinen Sie? Eigentlich ja, aber mich stört der Preis: Die neuen Prozessoren verbrauchen Energie, die wir Menschlein vielleicht anders besser verwenden würden.
Recall wird nicht das letzte Beispiel dafür sein, dass KI Probleme ausgleicht, die wir selbst besser lösen könnten, wenn wir uns nicht so blöd anstellen würden. Microsoft, Amazon, Apple, Google & Co. rüsten ihre KI-Rechenzentren dafür schon hoch. Hoffen wir für den Planeten, dass bald der Blockchain-Nachfolger für den Blockchain-Nachfolger um die Ecke biegt und dieses Mal wirkliche Probleme löst.
Ihr könnt die c't auch bei WhatsApp abonnieren: Wir schicken werktäglich Einordnungen zu aktuellen Themen und Einblicke in den Redaktionsalltag.
(ps)