Kommentar: Assange und die Pressefreiheit – Journalisten in der Zwickmühle
Die Verhaftung Assanges wird zum Dammbruch der Pressefreiheit hochstilisiert. Doch egal wie die Saga weitergeht, für den Journalismus sieht es nicht gut aus.
Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende? Als Julian Assange am Donnerstag nach sieben Jahren aus der Botschaft Equadors geschafft wurde, war ich einerseits überrascht, andererseits erleichtert. Endlich hat diese Posse ein Ende. Wir Journalisten sollten uns allerdings überlegen, ob Solidaritätsadressen angebracht sind.
Welche Prinzipien?
Organisationen wie "Reporter ohne Grenzen" zeigen sich besorgt und stellen sich an die Seite von Assange. "Großbritannien muss gegenüber den USA zu seinen Prinzipien stehen und sicherstellen, dass Assange für seinen Beitrag zu journalistischer Berichterstattung entsprechend britischem und EU-Recht geschützt wird", sagt ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.
Und da liegt das Problem. Wenn man der Anklage des US-Justizministeriums glauben kann, hat Assange die Grenzen journalistischer Berichterstattung überschritten, indem er Chelsea Manning versprach, ein Passwort zu knacken und ihr damit zu helfen, Zugriff zu viel mehr Dokumenten zu bekommen, als sie ohnehin schon an Wikileaks geschickt hatte. Als Beleg zitiert die Anklage Chat-Protokolle.
Dieses Detail erscheint trivial – wie sonst stellt man sich den erfolgreichen Angriff auf die überbordende Geheimbürokratie der USA vor, die jedes von allen wissen, aber nichts von sich preisgeben will? Aber dieser Vorwurf ist vermutlich der, der juristisch jede Frage nach der Pressefreiheit beiseite wischen wird.
Ich bin Journalist, Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert mir Pressefreiheit. Dazu gehört auch der Informantenschutz. Das heißt: Ich kann zum Beispiel Dokumente annehmen, die aus nicht-legaler Quelle stammen. Ich kann auch drüber schreiben, solange ich sorgfältig arbeite und beispielsweise die Dokumente soweit wie möglich verifiziere. Und ich muss dem Staat nicht dabei helfen, meine Quelle zu finden.
Rote Linie für Journalisten
Dieser Quellenschutz hat aber Grenzen. Wenn ich als Journalist beispielsweise die Abgaswerte von Volkswagen-Autos in Erfahrung bringen will, darf ich mich natürlich nicht in die internen Volkswagen-Server hacken, um die Dokumente zu bekommen. Ich darf auch keine aktive Hilfe leisten, wenn jemand anders diese Dokumente hackt, um sie mir zu übermitteln.
Diese rote Linie gehört zur Pressefreiheit und sie ist nicht wegzudenken. Journalisten, die diese roten Linien überschritten haben, gab es in der Vergangenheit leider genug. So wurde die britische Presselandschaft kurz vor Assanges Flucht in die Londoner Botschaft von einem veritablen Skandal erschüttert: Das zum Murdoch-Konzern gehörende Blatt News of the World hatte im großen Stil Prominente und Mitglieder der Königsfamilie, Schauspieler, aber auch Verbrechensopfer und Angehörige gefallener Soldaten abgehört, indem es Privatdetektive systematisch Telefon-Mailboxen hacken ließ. Es kam zu Prozessen, das Boulevardblatt wurde eingestellt.
Nichts zu gewinnen
Für Journalisten ist die Affäre um Assange eine Zwickmühle, in der sie nicht gewinnen können. Solidarisieren sie sich vorbehaltlos mit Assange, dann stellen sie die Arbeitsweise der Presse unter Generalverdacht. Diktatoren und Autokraten werden Journalisten reflexhaft unterstellen, dass Journalisten nur mit illegalen Methoden und aus politischen Motiven an unbequeme Informationen gelangen konnten.
Distanzieren sie sich hingegen von Assange, liefern sie den gleichen Leuten ebenfalls wieder Munition, da das Leaken selbst mit Wikileaks symbolisch auf der Anklagebank sitzt – auch dank der Inszenierungskunst Assanges. Soll man still daneben sitzen, wenn ein Präsident, der in immer schrilleren Tönen die Presse als Volksfeinde verunglimpft, die Veröffentlichung wahrer Informationen aburteilen lässt?
Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende? Wenn es so weitergeht, ist uns allenfalls der Schrecken gewiss. (olb)