Kommentar: Atomkraftwerke – und wir haben DOCH ein Stromproblem

Atomkraftwerke können nichts zur Linderung der Gaskrise beitragen, weil sie "nur" Strom produzieren, heißt es oft. Das ist kurzsichtig.

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(Bild: jaroslava V/Shutterstock)

Lesezeit: 3 Min.

"Wir haben aktuell ein Gasproblem, kein Stromproblem", sagt Robert Habeck gerne. Damit bringt er zum Ausdruck, dass er offenbar kein Problem darin sieht, dass nun wieder vermehrt Kohlekraftwerke ans Netz gehen sollen. Oder dass Kraftwerke Gas verstromen, das uns im Winter wahrscheinlich fehlen wird. Beides mag im Moment schwer zu vermeiden sein. Aber ein Problem ist es doch.

In dem Maße, in dem Atomkraftwerke die Gasverstromung senken, tragen sie auch dazu bei, den Gasmangel zu dämpfen. Zudem lässt sich mit Strom auch Wärme produzieren. Die Trennung von Strom und Wärme ist eine ziemlich willkürliche.

Ein Kommentar von Gregor Honsel

Gregor Honsel ist seit 2006 TR-Redakteur. Er glaubt, dass viele komplexe Probleme einfache, leichtverständliche, aber falsche Lösungen haben.

Es stimmt zwar, dass die verbliebenen drei Atomkraftwerke nur gut sechs Prozent des deutschen Stroms erzeugen. Und dass Atomkraftwerke die Gaskraftwerke nicht eins zu eins ersetzen können: Letztere liefern oft auch Wärme und/oder Regelenergie, wozu AKWs nicht in der Lage sind. Und dass die maroden französischen Atommeiler die Energiekrise im Moment noch zusätzlich verschärfen.

Trotzdem könnten AKWs in Deutschland zumindest den Kohlestrom eindämmen. Das würde, wenn schon nicht der Versorgungssicherheit, so doch wenigstens dem Klima dienen. (Dass die Emissionen der Kohlekraftwerke langfristig durch den Emissionshandel gedeckelt seien, ist auch nur so ein halbgares Argument: Die Zeit spielt auch eine Rolle – je später eine CO₂-Senkung kommt, desto schlechter für das Klima.)

Manfred Fischedick, Wissenschaftlicher Geschäftsführer der Wuppertal Instituts, hat ein weiteres Argument vorgebracht: "Die Erwartungshaltung an alle EU-Mitgliedsstaaten ist ein hohes Maß an Solidarität in der Versorgungskrise", sagte er gegenüber dem SMC. "Dies umfasst die Bereitschaft, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, den Erdgasverbrauch zu reduzieren. So wie die Niederlanden klären müssen, inwieweit eine Steigerung der Erdgasförderung in Groningen sicherheitstechnisch möglich ist, gilt dies auch für einen möglichen Streckbetrieb der deutschen Kernkraftwerke."

Damit ist nicht gesagt, dass der Weiterbetrieb von Atomkraftwerken wirklich sinnvoll wäre. Diese Frage hängt vor allem vom Verhältnis von Aufwand und Ertrag ab. Eine Verlängerung der Laufzeiten könnte Studien zufolge 1 bis 1,2 Prozent des Erdgasverbrauchs senken. Das kann man viel oder wenig finden, aber es ist deutlich mehr als nichts. Andererseits ist der Aufwand offenbar immens. Sollte sich allerdings zeigen, dass ein AKW doch mit vertretbaren Aufwand weiterproduzieren könnte, kann "Brauchen wir eh nicht" kein Gegenargument sein. Wir benötigen jede Kilowattstunde, ob als Strom oder Wärme.

(grh)