Kommentar: Behandelt Luft wie Wasser!

Niemand würde ohne Wasseraufbereitung leben wollen. Warum legen wir bei Gebäudeluft weniger Wert auf gesunde Qualität?

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(Bild: Shyntartanya / Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Kann sich noch jemand vorstellen, wie es wäre, ohne sauberes Trinkwasser, Wasseraufbereitung und die Überwachung der Wasserqualität zu leben? In einer Zeit also, als sich Krankheitserreger wie Cholerabakterien oder Shigellen, die die Ruhr auslösen, munter über verunreinigte Wasserquellen ausbreiten konnten und immer wieder für tödliche Ausbrüche sorgten? Wohl kaum. Konsequente Schutzmaßnahmen haben dafür gesorgt, dass wir uns zumindest in der westlichen Welt über Cholera und Co. keine Sorgen mehr machen müssen. Mehr noch, wir halten das für normal und erwarten sogar, dass das so ist.

Das gilt jedoch nicht für die Luft, die wir atmen. Dabei gibt es unzählige Krankheitserreger, die über die Luft übertragen werden – wie SARS-CoV-2. Während wir in den dritten Pandemiewinter gehen, lautet die Losung: Wir müssen mit Corona leben lernen. Möglichst ohne Masken, ohne Quarantäne und andere Einschränkungen. Und immer noch ohne konsequenten Einsatz von Luftfiltern und anderen Aufbereitungsmaßnahmen in Gebäuden.

Nun ist es sogar völlig verständlich, dass wir zur sogenannten Normalität zurückwollen. Doch die Vor-Corona-Welt existiert nicht mehr. SARS-CoV-2 bleibt und breitet sich wie einst die Cholera über Wasser vor allem in geschlossenen Räumen über ausgeatmete Aerosole in der Raumluft aus. Weil man die nicht sieht, ist es leicht, die Gefahr zu verdrängen. Dabei müsste man nur an die Ausbreitung von Zigarettenrauch denken, und schon hat man das richtige Bild vor Augen.

Ein Kommentar von Veronika Szentpétery-Kessler

Veronika Szentpétery-Kessler ist Biologin und Redakteurin bei MIT Technology Review. Sie schreibt über Themen aus dem Bereich Medizin, Biologie, Biotech und Chemie.

Es wäre also nicht nur konsequent, sondern eigentlich zwingend, auch bei der Raumluft darüber nachzudenken, welche Qualität wir hinzunehmen bereit sind. Wir lüften bereits, um Schimmel zu vermeiden. Wir schreiben Kohlenmonoxid-Sensoren vor und haben Grenzwerte für luftgängige Chemikalien wie Formaldehyd eingeführt.

Inzwischen fordern immer mehr Wissenschaftler, Raumluftqualität genauso ernst zu nehmen wie Wasserqualität: Das Schweizerische Zentrum für Arbeits- und Umweltgesundheit (SCOEH) hat bereits im Sommer in einem White Paper "kurz-, mittel- und langfristige Schritte" für Raumlufthygiene vorgeschlagen. Es empfiehlt mechanische Belüftungssysteme, CO2-Sensoren, damit man weiß, wann man lüften sollte, und die Installation von Filtersystemen oder Luftdesinfektionssystemen. Es wäre sinnvoll, vieles davon beim Bau neuer Gebäude gleich mitzuplanen.

Durch das Reduzieren der Ansteckungsfälle in Innenräumen ließe sich eine ganze Menge mehr Normalität erreichen als mit "weiter wie zuvor". Es würde weniger Covid-19-bedingte Übersterblichkeit bedeuten und weniger Long-Covid-Fälle. Auch weniger Todesfälle, etwa durch Schlag- und Herzanfälle bei Jüngeren, die zwar wahrscheinlich auf Folgeschäden von Corona beruhen, sich aber nicht unmittelbar damit korrelieren lassen. Auch lange Arbeitsausfälle, die Betriebe und Schulklassen lahmlegen, ließen sich eindämmen.

Natürlich ist das alles auch eine Geldfrage, ja. Aber das war der Ausbau von Kanalisation und Wasseraufbereitungsanlagen auch.

Dieser Text stammt aus: MIT Technology Review 8/2022

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(jle)