Gaspreisbremse statt Gasumlage? Energieversorgung muss ganz neu gedacht werden!

Die Vorschläge zur Eindämmung der galoppierenden Energiepreise doktern nur an den Symptomen herum. Es gilt aber, Ursachen zu bekämpfen, meint Wolfgang Stieler.

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(Bild: Fernando Avendano/Shutterstock.com)

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Inhaltsverzeichnis

Die Gasumlage kommt nicht – aber der Gaspreisdeckel. Dazu wird es – vielleicht – eine Übergewinnsteuer geben, die – wahrscheinlich – von Hilfen für Unternehmen flankiert wird, damit die auch bei Energie-Spitzenpreisen – annähernd – konkurrenzfähig bleiben.

Auch ohne den gehäuften Gebrauch von Wiesel-Worten haben Sie wahrscheinlich längst gemerkt, dass die Verunsicherung im Energiesektor groß ist. Nicht nur bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern, die sich fragen, wie sie künftig die Heizungs- und Stromrechnung bezahlen sollen, sondern auch bei den Experten.

Wie ein System, das auf der einen Seite für exorbitante Gewinne und auf der anderen Seite für Firmenpleiten und individuelle Energie-Armut sorgt, kurzfristig zu reparieren sei, weiß aber eigentlich keiner so genau. Es gibt eine Menge Vorschläge, aber all diese Ideen haben – wie Medikamente – Risiken und Nebenwirkungen, die durch weitere Medikamente bekämpft werden müssen, die wiederum Nebenwirkungen haben…

Ein Kommentar von Wolfgang Stieler

Nach dem Studium der Physik wechselte Wolfgang Stieler 1998 zum Journalismus. Bis 2005 arbeitete er bei der c't, um dann als Redakteur der Technology Review zu wirken. Dort betreut er ein breites Themenspektrum von Künstlicher Intelligenz und Robotik über Netzpolitik bis zu Fragen der künftigen Energieversorgung.

Stromfresser finden, Energie sparen

Welche Menge an elektrischer Energie ein Gerät pro Jahr tatsächlich verbraucht, hängt weniger von der angegebenen Maximalleistung ab, sondern vor allem davon, wie man es benutzt und wie lange es läuft. Deshalb lassen sich Stromkosten oft ohne Hilfsmittel nur schwer einschätzen, ein Fernseher oder ein Kühlschrank laufen nicht rund um die Uhr mit Vollast, ein PC ohnehin nicht. Auch in der Spitze sehr stromhungrige Geräte lassen sich bis zu einem gewissen Grad meist trotzdem sparsam betreiben.

Selbst ein Gaming-PC belastet die Stromrechnung nur wenig, wenn man ihn wenige Stunden pro Woche einschaltet. Umgekehrt bringt es eine Menge, wenn man fünf unnötige (Standby-)Verbraucher abschaltet, von denen jeder bloß 5 Watt schluckt – vor allem langfristig: 25 Watt Dauerbetrieb über ein Jahr kosten satte 88 Euro.

Das Hinterhältige am Standby ist, dass zwischen Nichtbenutzung und dem tatsächlichen Aus-Zustand viele Abstufungen liegen können. Obwohl etwa der Standby-Verbrauch durch diverse Vorgaben klar gedeckelt ist, wollen in einer vernetzten Welt immer mehr Geräte dauerhaft online sein und dürfen dabei auch mehr Energie aufnehmen. Obwohl inzwischen fast jeder Fernseher und jede Streamingbox vernetzte PCs sind, sollen sie möglichst nicht lange hochfahren und bleiben daher in einem Schnellstartmodus, der einige Elemente dauerhaft in Bereitschaft hält.

Das heimische WLAN oder digitale Assistenten in Form von Lautsprechern und Displays bleiben im Hintergrund ohnehin aktiv und warten auf ihr Stichwort. Obwohl viele Annehmlichkeiten höchstens wenige Stunden am Tag oder in der Woche bewusst genutzt werden, nuckelt der Gerätepark permanent an der Stromleitung. Eine erhebliche Verschwendung über das Jahr gerechnet. Im Vergleich zu industriellen Maßstäben erscheinen die Einsparmöglichkeiten für den Einzelnen hier zwar irrelevant, Geld kostet jede Kilowattstunde dennoch.

Den tatsächlichen Energiebedarf eines Gerätes selbst zu ermitteln ist relativ einfach, ausreichend genaue Messgeräte gibt es ab 10 Euro. Sind die Übeltäter erst einmal gefunden, gilt es zu überlegen, wie man am besten Energie sparen kann. Wir zeigen, wie Sie dabei methodisch vorgehen und welche Maßnahmen sich wirklich lohnen.

Ich kann mir nicht helfen, aber für mich wirkt das wie der verzweifelte Versuch, ein kaputtes, offensichtlich dysfunktionales System zu reparieren, indem man immer neue Umleitungen, Hilfsmodule und Ergänzungen dranschraubt. Das scheint zwar ein Grundmuster menschlichen Denkens zu sein – sagt zumindest der Verhaltenspsychologe Leidy Klotz – führt aber oft nicht zum gewünschten Ergebnis. Stattdessen, argumentiert Klotz, ist es viel schlauer, darüber nachzudenken, was man weglassen kann.

Versuchen wir diese Prinzip auf den Energiemarkt anzuwenden. Was ist besonders kaputt am Energiemarkt? Richtig, der Markt-Anteil. Die Idee, man könne mit Hilfe von ein paar cleveren Marktmechanismen den Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie wegeskamotieren. Sicher, das schien für eine sich etablierende Grüne Partei und die älter werdenden Ökos in den 80er und 90er Jahren eine gute Idee – endlich musste man sich nicht mehr an der "feindlichen" Industrie abarbeiten, sondern konnte scheinbar "gemeinsame Ziele" verfolgen. Aber leider sind die unterschiedlichen Interessen von Kunden und Erzeugern, Öffentlichkeit und privaten Unternehmenseigner damit nicht verschwunden.

Um das zu illustrieren hier nur zwei Beispiele: Erstens führt das Merit-Order-Prinzip dazu, dass zur Zeit insbesondere Öko-Strom-Anbieter hohe Gewinne machen. Die sollen nun abgeschöpft werden. Nach der Markt-Logik ist das aber eigentlich kontraproduktiv, denn extrem hohe Gewinne sollten dort eigentlich neue Investitionen anziehen – was volkswirtschaftlich nicht nur erwünscht, sondern sogar dringend notwendig ist.

Zweitens: der jetzt viel diskutierte Gaspreisdeckel. Der hilft zwar Verbrauchern, die ansonsten ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Er soll aber durch Einnahmen aus Mehrwertsteuer finanziert werden, die bekanntlich einkommensschwache Haushalte mehr belastet, also die, denen es jetzt besonders dreckig geht. Gleichzeitig strömt trotzt "Bremse" das Geld weiterhin ungehindert in die Kassen der Öl-und Gas-Multis. Konservative Ökonomen verweisen zudem darauf, dass ein subventionierter Grundbedarf an Energie die "Lenkungswirkung der hohen Preise" und damit der "Anreiz zum Energiesparen" durch "zu hohe" staatliche Beihilfen für die armen Schlucker wieder zu Nichte macht.

Kurz zusammengefasst: Es ist schwierig, die politischen Ziele der Markt-Designer mit den Gewinnerwartungen der Marktteilnehmer zur Deckung zu bringen. Und eine Verhaltensänderung dieser Marktteilnehmer lässt sich zudem immer nur indirekt bewirken – inklusive der oben aufgeführten Widersprüche und Nebenwirkungen.

Angesichts des Klimawandels ist so eine Verhaltensänderung allerdings dringend notwendig: Weg von fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren – möglichst schnell, und zwar so, dass die Grundversorgung für alle gesichert ist. Das scheint mir die zentrale gesellschaftliche Aufgabe zu sein, nicht die Sicherstellung maximaler Gewinne.

Wie eine Ökonomie aussieht, die Wirtschaftskreisläufe von den Grundbedürfnissen der Menschen her denkt, kann man sich zum Beispiel bei foundationaleconomy.com ansehen. Das ist ein interdisziplinäres Kollektiv europäischer Wissenschaftler, die vorschlagen, die öffentliche Daseinsvorsorge, die Produktion von wesentlichen Alltagsgütern und grundlegenden Konsumgütern weitgehend lokal zu organisieren.

Für alle, denen das zu abstrakt ist, noch ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, in ihrem Stadtviertel oder ihrer Kleinstadt gäbe es ganz viele Kleinerzeuger erneuerbarer Energie – PV-Anlagen, Windräder, Biogas-Anlagen und so weiter. Die erzeugen manchmal mehr, als ihre Besitzer benötigen, manchmal weniger. Es scheint also sinnvoll, diese Schwankungen auszugleichen. Es gibt zwei Wege, das zu machen. Der eine ist kompliziert. Er sieht ein Handelssystem vor, vielleicht sogar eine hyperlokale Strompreisbörse. Es gibt smarte Zähler, Handel auf Blockchainbasis, virtuelle Kraftwerke und Lastverschiebungen – Tod und Teufel.

Die andere Lösung heißt: Ein Dorf, ein Viertel, eine Superblock wirft alle dezentralen Energieerzeuger zusammen. Mein Strom, dein Strom, unser Strom. Kein Handel, kein Aufwand, mehr Energiesicherheit für alle. "Energy Commons" nennt sich die Idee. Wem das nicht technisch genug war: Es gibt spannende Konzepte, das Stromnetz zu digitalisieren und als "Commons", als Allgemeingut zu betreiben. Das wäre nicht nur für viele Menschen eine wirtschaftliche Entlastung. Es würde auch den notwendigen Umbau der Energiesysteme sehr viel einfacher machen.

(wst)