Kommentar: Frust in der digitalen Küche

Der smarte Backofen macht Probleme: Kein Drehknopf, nur Touch und App. Mehr Frust als Fortschritt, meint Jan Mahn.

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Haushaltsgeräte wie Waschmaschine, Staubsauger, Toaster

(Bild: Digital Genetics/Shutterstock.com, bearbeitet durch c't)

Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Jan Mahn

Zweiter Weihnachtsfeiertag, die Familie fällt in Kürze in voller Stärke zum Essen ein und so muss der Braten mittags pünktlich, gar, knusprig und dampfend aus der Röhre kommen. Von festlicher Besinnlichkeit fehlt indes jede Spur, die Stimmung in der Küche ist angespannter als der Hosenbund direkt nach dem Essen am Vortag. Der Bratenbeauftragte flucht seit geraumer Zeit vor sich hin und toucht vor der Bratröhre kniend mit nassen Fingern auf einem viel zu kleinen Display herum: "Warum geht denn das Ding jetzt aus? Nein, nicht Genussgaren Plus, ich wollte nur Umluft. Warum reagiert das jetzt wieder nicht? Verflucht, holt mal einer das Tablet mit der App!"

Ein Kommentar von Jan Mahn

Jan Mahn ist seit 2017 bei der c't. Er beschäftigt sich mit den Tücken von Windows- und Linux-Servern, Docker und dem vernetztem Zuhause.

Schuld an der Verstimmung ist der – als besonders smart angepriesene – Backofen, freilich das allerneueste Modell. Das hat zwar eine cloudsynchronisierte Rezeptdatenbank mit 3500 Garprogrammen sowie eine KI-Kamera-gestützte Bräunungsgraderkennung, nur eine ganz offensichtliche Errungenschaft der Technikevolution hat der Hersteller ausgespart: schnöde anfassbare Drehknöpfe; einen für die Temperatur, einen für den Betriebsmodus. Ein bewährtes und überragendes Bedienkonzept mit haptischem sowie optischem Feedback. Einen solchen Knopf drehte man früher fix nach rechts, wenn sich auf dem Braten einfach keine Bräunung einstellte – das ging ganz ohne KI. Heutige Backöfen dagegen wollen umständlich programmiert werden, per Touch.

Noch weiter an der Realität vorbei entwickelt wurden nur Backofens Geschwister, die Induktionskochfelder. In der sterilen Fantasiewelt von Küchengeräteherstellern scheint Wasser grundsätzlich nie überzukochen und nichts zu spritzen. Nur so lässt sich erklären, dass sich herstellerübergreifend die irrige Idee durchsetzte, Touchen auf einer piepsenden Glasplatte sei irgendwie praktisch. Induktionsherde mit Drehknöpfen dagegen sind fast ausgestorben, solche gibt es heute nur noch für die professionelle Küche.

Klar, digitale Zusatzfunktionen an Küchengeräten können einen Mehrwert haben. Auch für eine Bedienung per App und eine Einbindung des Backofens ins smarte Heim gibt es teils sinnvolle Szenarien. Weglassen muss man sie auch nicht. Die Hersteller sollten digitale Gimmicks aber einfach zusätzlich und nicht ausschließlich einbauen. Denn fürs all- und festtägliche Kochen geht nichts über Knöpfe zum Anfassen. Und besonders smart ist, was mehr Probleme löst, als schafft.

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(jam)