Kommentar: Gelsingers Rauswurf bei Intel ist ein Zeichen blanker Panik
Der Wandel bei Strategie und Produkten hat fĂĽr Intel erst begonnen. Jetzt den Chef ersatzlos zu feuern, ist ein Zeichen blanker Panik, meint Nico Ernst.

Ein Bild aus besseren Tagen: Auf dem Intel Developer Forum 2006 stellte Pat Gelsinger die erste Core-Architektur vor. Das Konzept sollte zehn Jahre das PC-Geschäft dominieren.
(Bild: Nico Ernst)
Als Pat Gelsinger nach seinem ersten Ausscheiden bei Intel im Jahr 2009 gefragt wurde, was seinen neuen Arbeitgeber EMC von Intel unterscheide, sagte er: "Intel ist eher sowas wie eine militärische Organisation." Da ist auch heute noch was dran: Wenn die Schlacht verloren ist, muss der General gehen, und wenn bei einer Firma die Zahlen nicht stimmen, der Chef. So weit, so einfach, so gnadenlos die Firmenkultur börsennotierter US-Unternehmen.
Ganz so einfach ist es aber gerade im Geschäft mit Chips dann doch nicht. Während Intel im letzten Quartal ein bereinigtes Nettominus von zwei Milliarden US-Dollar einfuhr, machte Nvidia 16,6 Milliarden Nettogewinn. Und das kommt bei Nvidia nach jahrelangen Investitionen in GPUs als Rechenbeschleuniger, während die meisten Kunden das Unternehmen nur mit Chips für Spiele assoziierten. Heute ist das Unternehmen mit weitem Abstand Marktführer bei Hardware für KI-Anwendungen. Ein Trend, den Intel verschlafen hat, auch durch fehlende Investitionen. Jetzt wird bei Intel erstmal kräftig gespart. So groß sind die Probleme, dass auch eine Lichtgestalt wie Gelsinger gehen muss.
Was aus der Mitteilung des Unternehmens zur Personalie Gelsinger jedoch nicht hervorgeht: Wer wird sein echter Nachfolger? Bisher gibt es – man erinnert sich an Apple in den 1990er-Jahren – nur zwei "Interim-CEOs". Und was ist mit Intels Festhalten an der eigenen Chipherstellung? Droht eine Aufspaltung wie bei AMD im Jahr 2009? All das bleibt vorerst ungeklärt, man kann höchstens raten, was das Board von Intel zwischen den Zeilen seiner Mitteilung alles gemeint haben könnte.
Keine Strategie erkennbar
Eine neue Strategie ist nicht erkennbar, wenn der Nachfolger fehlt. Vielmehr wirkt das wie Panik: Bloß weg mit dem, egal, was kommt. Es ist wie die Entlassung eines Fußballtrainers zur Mitte der Saison: Da macht dann erst mal dessen Stellvertreter weiter, der Kader bleibt unverändert – man muss ja sparen –, und in der Regel gewinnt man dann doch nicht die Meisterschaft. Weiteres Dahinwurschteln kann sich aber gerade Intel nicht leisten.
Gelsingers Strategie war klar: Investitionen in die Halbleiterwerke, nicht nur fĂĽr die eigenen Produkte, sondern auch als Auftragsfertiger (Foundry) fĂĽr andere Chipentwickler. Das Vorbild heiĂźt TSMC. Dass der Bedarf an Halbleitern, nicht nur fĂĽr KI, in den kommenden Jahren immer weiter steigt, gilt in der Branche als sicher. Auch Autos, das Smart Home, und so ziemlich alles, was Strom verbraucht, wird immer weiter digitalisiert, und dazu braucht es Chips. Der Hunger nach Halbleitern ist so groĂź, dass OpenAI-CEO Sam Altmann erst im Sommer 2024 davon fantasierte, weltweit Billionen von US-Dollar einzusammeln, um noch mehr Chipfabriken zu bauen. Intel droht also nach Smartphones, GPUs und KI-Beschleunigern schon wieder einen Trend zu verschlafen: Den zu flexibler Auftragsfertigung. Dabei hat gerade Intel von Chipdesign, ĂĽber Fertigung, bis zum Packaging alles im eigenen Haus.
Wenn Intel hier mitspielen will, wird es Gelsingers Plan weiter folgen müssen. Die Alternative ist eine weitaus schmerzhaftere Aufspaltung als seinerzeit bei AMD, denn Intels heutige Produktpalette ist viel größer als die des Konkurrenten vor fünfzehn Jahren. Auch das ist ein Teil des Problems, Intel hat sich verzettelt. Um ein letztes Mal bei der Fußballmetapher zu bleiben: Intel hat zwar den Trainer in Rente geschickt, aber kein neues Team und erst recht keine neue Spielphilosophie vorgestellt. Bereits 2017 überschrieb der Kollege Martin Fischer einen Kommentar mit "Das Überleben von Intel steht auf dem Spiel". Das gilt heute, und erst recht nach Gelsingers Abgang, umso mehr.
(nie)