Kommentar: Schluss mit dem Stückwerk – Glasfaser für alle!

Auch wenn es verlockend ist, erst mal auf das billige VDSL zu setzen – langfristig ist es die teurere Lösung. Denn Internet ist Infrastruktur und kein Konsumgut. Torsten Kleinz antwortet auf Ernst Ahlers' Kommentar "Glasfaser für alle? Welch ein Unfug!"

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Glasfaser
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
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Eines sei vorausgeschickt: Mit einigem, was Ernst Ahlers in seinem Kommentar "Glasfaser für alle? Welch ein Unfug!" schrieb, hat er unbestreitbar recht: Weder für die Kunden noch für die Provider erscheint es derzeit sehr sinnvoll, überall Glasfasern zu verlegen. Wenn Provider auf Verdacht Glasfaser verlegen, dann können sie froh sein, wenn zehn Prozent der Haushalte tatsächlich die neue Technik bestellen.

Debatte: Breitband-Ausbau in Deutschland

Glasfaser-Internet ist in Deutschland ein Ladenhüter. Kein Wunder, denn Vectoring sei wirtschaftlich meist sinnvoller: Glasfaser für Alle? Welch ein Unfug!, kommentierte Ernst Ahlers – und löste damit eine heftige Debatte aus, nicht nur im Diskussionsforum. Einige Reaktionen Pro und Contra:

Das liegt zum Beispiel an Kunden wie mir. Seit Jahren schon habe ich meinen Multikabel-Anschluss mit 20 MBit/s – und das ist mir auf absehbare Zeit genug. Zwar könnte ich längst über die Bandbreite von 400 MBit/s verfügen, zum Upgrade sehe ich aber keinen Anlass. Mein Webbrowser brummt, Netflix liefert HD-Auflösung und selbst riesige Updates und Linux-Distributionen sind in vertretbarer Geschwindigkeit auf meinen Rechnern.

Das gesagt, bleibt aber festzuhalten: Das Problem ist: Internetversorgung ist nicht einfach nur ein Konsumgut, das man bestellen mag oder nicht. Wer plötzlich mehr braucht, kann nicht in den Supermarkt gehen und einen Gigabit-Anschluss kaufen wie einen Erdbeerjoghurt. Internetversorgung ist eine elementare Infrastruktur, die langfristige Investitionen erfordert. Würde ich ein paar Kilometer außerhalb der Stadtgrenzen wohnen, hätte ich vielleicht nur einen DSL-Anschluss mit effektiv sechs Megabit, der regelmäßig versagt, wenn alle Teenager der Nachbarschaft YouTube-Videos gucken und die Eltern einen Film auf Amazon Prime streamen wollen.

Die Telekom bietet die Breitband-Version der Trickle-down-Theorie an. Das Argument des Bonner Konzerns: Schritt für Schritt, Meter um Meter kommt die Glasfaser immer näher an die Haushalte heran. Bei VDSL ist der Kabelverzweiger im Zweifel an der nächsten Straßenecke, nur ein paar Meter Kupfer liegen zwischen Kunden und schier unbegrenzten Bandbreiten. Und irgendwann werden die paar Meter auch noch durch Glasfaser ersetzt. Ganz bestimmt.

Ein Problem daran: Für die meisten Leute wird dies auf absehbare Zeit nicht passieren. Statt den Glasfaserausbau zu beschleunigen, verhindern die immer neuen Wiederbelebungsversuche für das Kupferkabel ihn effektiv. Wer schon Geschwindigkeiten von 50 Mbit/s über VDSL bezieht, sieht eher keinen Anlass, auf die teurere Glasfaser zu wechseln. Und die Konkurrenten beschweren sich: Wo immer sie Glasfaserprojekte planen, wird der Ausbau mit der Kupfertechnik plötzlich beschleunigt.

Ein Kommentar von Torsten Kleinz

Torsten Kleinz konzentriert sich als freier Journalist auf Internetkultur und Netzpolitik. Für heise online schreibt er zum Beispiel regelmäßig über die neuesten Streitigkeiten rund um Adblocker.

Ist das denn schlimm? Es ist wahr: Für den Normalverbraucher gibt es heute kaum Techniken, die auch nur eine Bandbreite von 100 MBit wirklich ausschöpfen könnte. Mehr als einen HD-Film kann man kaum gleichzeitig gucken. Und das private Holodeck, das tatsächlich Geschwindigkeiten von einem Gigabit/s benötigt, ist nicht in Sicht. Wenn die mittlerweile 50 Gigabyte großen Updates moderner Konsolenspielen ein paar Stunden zum Download brauchen – es gibt wirklich Schlimmeres. Wer heute schon einen Gigabitanschluss hat, wartet vielleicht genau so lange, da das Netz viele Flaschenhälse kennt.

Doch das ist wie gesagt nur die halbe Wahrheit. Schon Kleingewerbe könnten bereits heute von Bandbreiten und erst recht hohen Uploadraten profitieren. Wenn zum Beispiel ein tägliches Online-Backup zum Alltag wird, ist die Gefahr durch Crypto-Trojaner zumindest minimiert. Mit diesen Kosten rechnet fast niemand – wenn sie jedoch dann auftreten, sind sie um so verheerender.

Innovationen lassen sich nicht gut vorhersagen. Falls der Bandbreitenbedarf in den kommenden Jahren doch stärker steigt, als es unser heutiger Wohnzimmer-Alltag vermuten lässt, ist es zu spät, noch gegenzusteuern. Die nächste Ausbaustufe wird ein paar Jahre brauchen, vielleicht sogar ein Jahrzehnt. Und in der Zwischenzeit werden die privatwirtschaftlich organisierten Provider das tun, was in ihrer Natur liegt: Die Knappheit in ein Geschäft verwandeln. Die Netzneutralitätsdebatte ist noch nicht beendet, sondern wird immer und immer wieder neu aufkommen.

Einen kleinen Vorgeschmack bieten schon die aktuellen Verträge der Provider. Viele Dienstleistungen, die vor Jahren bei Vertragsabschluss noch selbstverständlich im Preis inbegriffen waren, werden nun in Premium-Pakete ausgelagert: Kabel-Provider verlangen Extra-Gebühren für den HD-Empfang, es gibt haufenweise Sicherheits- und Komfort-Pakete, sogar für eine WLAN-Funktion soll man monatlich zahlen.

Die Straßen aufzubuddeln, um doch wieder nur eine Brückentechnik einzubauen, ist doppelt und dreifach teuer. Ein Netz, das nur Stück für Stück ausgebaut wird, ist anders aufgebaut als ein Netz, das von Anfang an auf Vollversorgung angelegt ist. Der Ausbau Stück für Stück wird zu einem Netz-Mosaik führen mit höherem Energieverbrauch, Kabel-Wirrwarr und immer wieder neuen Runden von Ausbaukosten. Erst werden Leitungen gelegt, die an den Häusern vorbeiführen, dann nochmal extra gegraben, um die Hausanschlüsse zu legen. Und immer mit staatlichen Zuschüssen.

Inzwischen häufen sich die versteckten Kosten an anderer Stelle an. Die Kurzstreckentechnik VDSL unterteilt die Städte und Gemeinden Deutschlands in versorgte und unversorgte Gebiete. Wer Glück hat und in den hochversorgten Gebieten wohnt, kann sich glücklich schätzen – zahlt bei der Miete aber wohl in den kommenden Jahren kräftig drauf. Wer in den unversorgten Gebieten wohnt, spart zwar diesen Mietzuschlag, ist aber von wichtiger Infrastruktur abgeschnitten. Die Internetversorgung ist ein weiterer Grund in die ohnehin stark wachsenden Städte zu ziehen, ein weiterer Grund, das ohnehin darbende Land zu verlassen.

Dass die großen Nachfrager die kleinen nach sich ziehen und so zumindest den Teil der Ausbaukosten für Privathaushalte zahlen, ist eine Hoffnung – die jedoch oft genug enttäuscht werden wird. Schon heute haben Großkonzerne Bedarf angemeldet, ihre eigenen 5G-Netze zu betreiben. Wer darauf baut, dass die nahe Schule durch das Gewerbegebiet ein paar Kilometer weiter erschlossen wird, muss das zur Bedingung machen.

Die schlechte Nachricht ist keine Neuigkeit. Der Glasfaserausbau ist teuer. Und es gibt kein Patentrezept. So wird der Verkauf der Bundesanteile der Deutschen Telekom das Unternehmen nicht plötzlich zum Glasfaser-Champion machen. Und auch die Konkurrenz ist es satt, steigende Investitionen aus sinkenden Umsätzen zu bezahlen. Wenn die Margen ohnehin niedrig sind, ist es risikoärmer, einfach Reseller von Telekom-Leitungen zu bleiben. Aktionäre wollen, dass sich Investitionen in fünf, vielleicht sieben Jahren rentieren. Dann ist ihre Geduld am Ende. Stadtwerke und Kommunen müssen in die Lücke springen, sie brauchen Unterstützung von Land und Bund.

tl;dr: Wer Glasfaser jetzt und für alle will, muss tief in die Tasche greifen. Wer sich mit dem Glasfaseraufbau ein paar Jahre Zeit lassen will, wird es dennoch tun müssen. Er weiß es lediglich noch nicht. (kbe)