Kommentar zum FachkrÀftemangel: Weniger Blabla, mehr Kohle!

Planlose Headhunter, ĂŒberforderte Firmen und unrealistische Gehaltsvorstellungen: Beim IT-Recruiting lĂ€uft meist alles schief, meint Martin Gerhard Loschwitz.
Mit dem FachkrĂ€ftemangel ist es ein bisschen wie mit dem Wetter: Er ist immer da und als generisches GesprĂ€chsthema taugt er ganz hervorragend. In Umfragen gibt das Gros der deutschen Firmen vor, SchlĂŒsselpositionen in absehbarer Zeit vermutlich nicht mehr sinnvoll besetzen zu können. Ohne Unterlass beackern Recruiter fĂŒr hiesige wie auslĂ€ndische Firmen die sozialen Netze wie LinkedIn auf der Suche nach geeigneten Kandidaten â und bleiben regelmĂ€Ăig doch erfolglos.
Dabei ist es keineswegs so, dass keine wechselwilligen Leute vorhanden wĂ€ren. Die Great Resignation lĂ€uft schlieĂlich auch hierzulande; reihenweise erwischt es solche Unternehmen besonders heftig, die die Zeichen der Zeit nicht erkennen und etwa in Sachen Remote Work die Uhren auf die Zeit vor Corona zurĂŒckdrehen wollen. Woran liegt es also, dass potenzielle Arbeitgeber und geeignete Bewerber regelmĂ€Ăig nicht zueinanderfinden?
Der helle Wahnsinn
Die Ursachen erschlieĂen sich flott, wenn man den Recruiting-Markt der Branche etwas genauer unter die Lupe nimmt oder als Arbeitnehmer möglicherweise sogar Teil davon ist. Denn was beim Recruiting in der IT mittlerweile abgeht, lĂ€sst sich selbst mit "völliger Wahnsinn" viel zu oft nur unzureichend beschreiben. RegelmĂ€Ăig kommen etliche Faktoren zusammen und sorgen fĂŒr KopfschĂŒtteln mit Schleudertraumagefahr.
Los geht es oft schon mit den Recruiterinnen und Recruitern selbst. Zweifellos sind in dieser Branche viele Menschen tĂ€tig, die ihren Job gut, gewissenhaft und engagiert machen. Weit hĂ€ufiger begegnet man allerdings gefĂŒhlt Drohnen, also Rekrutierern, die Profile im besten Fall auf wenige Keywords abklopfen und es dann mit Kaltakquise probieren. Netzwerkprofis werden wegen Webdesigner-Stellen angeschrieben, Webdesigner sollen Linux-Server administrieren und wer Ubuntu beherrscht, wird sich wohl auch mit AWS auskennen. Solche Anfragen sind eher die Regel als die Ausnahme: Wer ein gut verfasstes LinkedIn-Profil hat, erhĂ€lt davon oft mehrere pro Tag.
Nicht weniger nervig sind die Unternehmen, die ihre Stellen ĂŒber etliche Recruiting-Agenturen gleichzeitig zu besetzen versuchen: Wer in 48 Stunden die vierte Anfrage fĂŒr eine "DevOps-Stelle bei einem aufstrebenden Berliner Cloud-Unternehmen" erhĂ€lt, verdreht meist nur noch genervt die Augen.
Kommt doch mal erfolgreich ein Kontakt zustande, betrifft die zweite Eskalationsstufe des Clusterfucks danach all jene Prozesse, die sich findige Personaler in vielen Unternehmen mittlerweile ausgedacht haben. Im Rahmen eines erfolgreichen Recruiting-Erstkontaktes entsteht bei potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern heute regelmĂ€Ăig der Eindruck, man werde gezielt auf eine Stelle angeworben. Details wie das Wunschgehalt erfragen Recruiter oder spĂ€testens Personalabteilungen heute oft bereits beim ersten ausfĂŒhrlicheren Kontakt.
Wer als angeworbene Person dann aber davon ausgeht, in einem flotten Recruiting-Verfahren zu landen, irrt in der Mehrzahl der FĂ€lle: Stattdessen leiten die Agenturen in vielen FĂ€llen einfach die gesammelten Informationen an die Personalabteilungen der suchenden Firmen weiter, die dann einen ganz regulĂ€ren Bewerbungsprozess lostreten â genau so, als hĂ€tte sich der Kandidat oder die Kandidatin selbst unmittelbar beim Unternehmen beworben.
Lange Verfahren, viel Frust
Die Bewerbungsprozesse selbst ziehen sich im weiteren Verlauf dann meist wie ranziger Strudelteig: Bewerbungsrunde folgt auf Bewerbungsrunde mit kontinuierlich wachsendem Teilnehmerkreis. Von Eile keine Spur: Zwischen zwei GesprĂ€chen verstreichen gern auch mal anderthalb Wochen, weil erst mal alle Teilnehmenden des letzten Interviews ihr Placet geben mĂŒssen, bevor ein Termin mit allen Beteiligten der nĂ€chsten Runde abgestimmt werden kann. RegelmĂ€Ăig steht zwischendurch auch noch ein "Assignment" an, bei dem irgendwelche mehr oder minder hirnrissigen Aufgaben zu lösen sind â mit teils erheblichem zeitlichen Aufwand, dafĂŒr aber ohne jeden Bezug zur Stelle, wegen der man eigentlich im System ist. Gerade GroĂkonzerne treiben das Spiel oft gern so weit auf die Spitze, dass es aus zeitlichen Ăberlegungen heraus praktisch unmöglich ist, mehrere Bewerbungsverfahren parallel zu durchlaufen.
Man verstehe mich nicht falsch: Freilich gibt es unter den Kandidatinnen und Kandidaten Blender, deren CV mit der RealitĂ€t wenig gemein hat. Und völlig zurecht wollen Unternehmen sich vor solchen Windeiern schĂŒtzen. Doch wĂ€re es an den Firmen selbst, idealerweise bereits den Personenkreis der ersten Interview-Runde so zu gestalten, dass ĂŒber entsprechende Fragen im Interview die schwarzen Schafe schnell identifiziert und aussortiert werden können. Wenn alle Stricke reiĂen, gĂ€be es darĂŒber hinaus ja auch noch die Probezeit, innerhalb derer ein ArbeitsverhĂ€ltnis sich problemlos auflösen lĂ€sst.
Hat die Bewerberin oder der Bewerber die elendigen Runden der peinlichen Befragung irgendwann ĂŒberstanden und wird fĂŒr wĂŒrdig befunden â statt, wie es hĂ€ufig vorkommt, einfach geghostet zu werden â folgt vielerorts das nĂ€chste dicke Ding: An und fĂŒr sich, so heiĂt es dann, sei ja alles wunderbar, doch passe der Gehaltswunsch â der ja meist schon im ErstgesprĂ€ch thematisiert wird â leider nicht zur Stelle. Von diesem Spiel gibt es zudem etliche Variationen: Alternativ könne man freilich eine andere Stelle anbieten, die dann aber nichts mit der Qualifikation der Kandidaten zu tun hat. Und regelmĂ€Ăig versuchen Unternehmen, gestandene Kandidatinnen und Kandidaten in Junior-Rollen zu quasseln, um GehaltswĂŒnsche abzubĂŒgeln. DafĂŒr gĂ€be es aber flache Hierarchien, FrĂŒhstĂŒck in der Firma sowie VergĂŒnstigungen im Fitnessstudio. Wer kann da schon widerstehen?
Sicher nicht
Offensichtlich einige, wenn man einschlĂ€gigen Erfahrungsberichten Glauben schenkt. Erst am Ende zahlloser Bewerbungsrunden stellt sich fĂŒr Kandidatinnen und Kandidaten demnach oft heraus, dass die Wirklichkeit des Marktes und die eigenen WĂŒnsche und Vorstellungen eines Unternehmens völlig disjunkt sind. In Workshops und Meetings geplant und den Bewerberinnen und Bewerbern prĂ€sentiert wird dabei zunĂ€chst eine Ă€uĂerst komplexe technische Lösung, fĂŒr die Technologie oft erst erfunden oder zumindest neu kombiniert werden muss.
WĂ€hrend des Recruitings stellt sich dann heraus, dass geeignetes Personal fĂŒr die aufgerufenen Tarife nicht zu bekommen ist. Eingestellt werden schlieĂlich Menschen, deren fachliche Kompetenz zur Schaffung der geforderten Lösung schlicht nicht ausreicht. Wer sich jemals gefragt hat, wieso IT-Projekte der öffentlichen Hand nach etlichen Jahren und vielen versenkten Millionen spektakulĂ€r scheitern, findet hier einen ErklĂ€rungsansatz. ZurĂŒck bleiben oft genug frustrierte Bewerberinnen und Bewerber, die bei gegebener fachlicher Eignung viel Zeit unnötig vergeudet haben, weil die anwerbenden Firmen nur bedingt ehrlich mit ihnen umgegangen sind. Falls man nicht ohnehin zwischendurch abspringt, weil ein anderes Unternehmen nicht so undynamisch ist wie ein seelenloser Stahlbolzen.
Neuerdings spielt ein weiterer Faktor eine immer gröĂer werdende Rolle, nĂ€mlich die Generation Z, die langsam in den Arbeitsmarkt hineinwĂ€chst. Von Personalern im Boomer-Alter oft völlig zu Unrecht als arbeitsscheu geschmĂ€ht, haben diese andere Erwartungen und andere Anforderungen an den Arbeitsmarkt als die vorhergehenden Generationen. Unternehmen werden indes nicht darum herumkommen, auch Vertreter dieser Generation irgendwann einzustellen. Wie das allerdings gehen soll, wenn schon heute völlig unrealistische Vorstellung des Leistbaren und des Marktes in Summe im Raum stehen, steht in den Sternen.
Was passieren muss
Besonders grotesk ist dabei: Die meisten der Probleme sind hausgemacht und wĂ€ren mit relativ wenig Aufwand zu beseitigen. Recruiter bieten fĂŒr ein auftraggebendes Unternehmen nur dann echten Mehrwert, wenn sie die Personalsuche tatsĂ€chlich erleichtern. Das umfasst zielgerichtete Suche, Sorgfalt und HartnĂ€ckigkeit. Wer stattdessen nach dem Motto vorgeht, von 1000 angeschriebenen Menschen werde wohl wenigstens einer passen, hat den Beruf verfehlt.
Unternehmen indes mĂŒssen sich einen realistischen Blick auf den Markt verschaffen und bei der AbwĂ€gung der Machbarkeit technischer Lösungen den Faktor Personalkosten beachten. Wer ein Rennauto bauen möchte, braucht dafĂŒr schlieĂlich auch einen speziellen und teuren Motor statt des Standardmodells von der Stange. DarĂŒber hinaus mĂŒssen Firmen ihre völlig aus dem Ruder gelaufenen Bewerbungsprozesse wieder unter Kontrolle bekommen, indem sie sie entschlacken, verkĂŒrzen und bewerberfreundlich machen. Dann wird ein Schuh daraus â und dann wird es Unternehmen möglich sein, offene Positionen zielgerichtet mit den passenden Leuten zu besetzen. Woran nicht zuletzt die Unternehmen selbst ein Interesse haben sollten â denn ein ausgewachsenes Hiring-Team, das vorrangig heiĂe Luft produziert, ist auch aus Firmensicht vor allem eines: ein Wahnsinn.
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