Missing Link: Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit – und ewig grüßt der Rebound-Effekt

Seite 2: Digitalkonzerne versprechen eine bessere Welt

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Die Digitalkonzerne versprechen seit jeher, mit Hilfe digitaler Informationstechnologien sei ein Ausbruch aus dem fossilen Kapitalismus und blühende Landschaften trotz Grenzen des Wachstums möglich. In der Tat hat ja der industriell-fossile Kapitalismus gründlich abgewirtschaftet und den Planeten an den Rand der Klimakatastrophe gebracht. Optimierungspotenziale? Fehlanzeige. Ein Beispiel dazu aus der fossilen Welt:

"Früher war alles besser? Von wegen! Vor allem beim Verbrauch haben sich unsere Autos prima entwickelt" schreibt die Redation von Auto Bild und führt ein Beispiel an, um die frohe Botschaft zu untermauern: Der Mercedes E 230 aus dem Jahr 1990 genehmigte sich noch 10,4 Liter Super auf hundert Kilometer, in den seitdem vergangenen 30 Jahren haben die Ingenieure ganze Arbeit geleistet. Das aktuelle Nachfolgemodell der Daimler E 200 CGI verbraucht trotz höherer Leistung und trotz höheren Gewichts – es bleibt das Geheimnis der Redaktion, warum sie höheres Gewicht als feature und nicht als bug betrachten – nur noch ganze 8,1 Liter. In 30 Jahren ist also eine Verbrauchsreduktion um sage und schreibe 22 Prozent gelungen, man muss schon eine gehörige Portion Benzin im Blut haben, um – wie die Auto Bild-Redaktion – das beachtlich zu finden. War nicht mal vom Drei-Liter-Auto die Rede?

Vergleichen wir das mal mit der Computertechnik: Im Jahre 1990 war man mit einem Personal-Computer mit Intel 386-Prozessor und 20 MHz Taktfrequenz gut bedient. Würden wir uns heute, zwanzig Jahre später mit einem um 22 Prozent schnelleren, also mit 24 MHz getakteten Rechner zufrieden geben – wohl kaum. Anders gesagt: Würde der neue Daimler 0,05 Liter Sprit auf 100 Kilometer verbrauchen, also ca. ein Zweihundertstel des Werts von 1990 wären wir in einer vergleichbaren Größenordnung angelangt. Fazit: hier ist wenig bis gar nichts an Effizienz zu holen, deshalb ja auch derzeit der Umstieg auf eine andere Antriebstechnologie ansteht.

Doch halt, Leistung ist ja das eine, wir alle kennen Moores Gesetz, nach dem alle zwei Jahre die Leistung sich verdoppelt bei gleichbleibendem Platzbedarf und gleichbleibenden Preisen. Wie sieht es mit dem Energieverbrauch aus? Hier gilt ein ganz ähnliches Gesetz, benannt nach seinem Erfinder Jonathan Koomey, das dieser erstmals vor zehn Jahren publizierte, es lautet: "Der Batterieverbrauch für konstante Rechenleistung halbiert sich alle anderthalb Jahre." Anders ausgedrückt: Seit etwa einem halben Jahrhundert verdoppelt sich die Anzahl der Berechnungen pro Joule verbrauchter Energie etwa alle 1,57 Jahre.

Exponentielle Energieeinsparung begleitet also die Digitalisierung, das ist doch mal eine gute Nachricht, der Verbrennungsmotor kann da nur vor Neid erblassen: Gälte Koomeys Gesetz auch für den Energieverbrauche von Verbrennungsmotoren dürfte unser Daimler vom vorherigen Beispiel nur ein Zweihundertstel seines 1990er Modells schlucken, das sind 0,0025 Liter auf hundert Kilometer, in etwa ein Zehntel eines Schnapsglases.

Graph of computations/kWh from 1946 to 2009 by Jonathan Koomey

(Bild: Dr Jon Koomey / CC BY-SA )

Jonathan Koomey meldete sich kürzlich auch zur Debatte um den Energieverbraucht von KI, er geht davon aus, dass der Energieverbrauch von Rechenzentren in den nächsten Jahren trotz eines Anstiegs der AI-bezogenen Aktivitäten relativ konstant bleiben wird. In einer Veröffentlichung in Science beschreiben die Autorinnen und Autoren, darunter Koomey, dass sich der workload von Rechenzentren seit 2010 mehr als versechsfacht habe, gleichzeitig sei der Energieverbrauch jedoch weitgehend konstant geblieben, hauptsächlich durch verbesserte Energieeffizienz.

Um die Energieeffizienz weiter zu fördern empfehlen die Autoren des Berichts den politischen Entscheidungsträgern strenge Energieeffizienzstandards für Server, Speicher und Netzwerkgeräte durchzusetzen und Richtlinien zu verabschieden, die den Einsatz von effizienterem Cloud Computing fördern. Rechenzentrumsbetreiber sollten zudem ihren Energieverbrauch veröffentlichen müssen.

Verwirrt? Kein Wunder! Wenn selbst Experten bei einer so einfachen und gleichwohl wichtigen Frage wie dem zukünftigen Energiebedarf von KI-Technologien in Ihren Prognosen meilenweit auseinanderliegen, dann dürfte eins klar sein: Die Frage ist keine rein technische, sondern eine gesellschaftliche.

Was folgt daraus? Jedenfalls kein Nachhaltigkeits-Automatismus. Die Potenziale sind zwar riesig, insbesondere im Vergleich zu legacy-Technologien, wie dem Verbrennungsmotor. Aber um diese tatsächlich auszuschöpfen, ist eine Debatte um die Ziele des Einsatzes von KI und Technologie nötig. Und es ist vielleicht an der Zeit, auch für uns Techies, die Komfort-Zone zu verlassen, uns jenseits des naturwissenschaftlich-technisches Terrains zu begeben und für gesellschaftliche Veränderungen einzutreten.

Damit nicht, wie zum Beispiel beim Verbrennungsmotor, ein Sales-Trend wie derjenige der SUVs sämtliche Einspareffekte zunichtemacht. Damit nicht ein paar Digitalkonzerne entscheiden, ob wir einen Großteil unseres Energieverbrauchs für das Training von Katzenvideo-Erkennung und ähnlichem aufbringen.

Was soll passieren, wenn die Corona-Krise vorbei geht? Wird dann wieder auf die Tube gedrückt? Gilt dann wieder: Wachstum, Wachstum über alles? Heißt es dann wieder: Der Markt soll es richten?

Nächste Woche in der Fortsetzung… (bme)