Pat Gelsinger und Intel: Nun wächst zusammen, was zusammen gehört
Patrick P. Gelsinger – der Cheftposten bei Intel hat jahrelang auf ihn gewartet ... Eine Analyse und etwas Prozessorgeschichte von Andreas Stiller.
Ein neuer Chef für Intel, der ein Altbekannter ist: Ein Eigengewächs würde man in Fußballerkreisen sagen, denn schon mit 18 Jahren kam der 1961 in Kingston, Jamaika, geborene und in Pennsylvania aufgewachsene Patrick Paul Gelsinger bei Intel unter Vertrag. Gelsinger hatte zuvor ein Scholarship bei Lincoln Tech in Allentown gewonnen, eine Einrichtung zwischen Highschool und Uni, die jungen Talenten eine Art Karrieretraining anbietet und Kontakte in die Industrie vermittelt.
Und so kam auf einer ihrer Karrieremessen, auf der auch IBM, Honywell oder Sperry vertreten waren, Gelsinger mit Intels Ron Smith in Kontakt, ein Physiker, ebenfalls aus Pennsylvania, der kurz zuvor bei Intel im „Technology Department“ angefangen hatte. Er sei „smart, aggressiv und arrogant“, so Smith, „das passt genau in die Firma“. Und so wurde Gelsinger nach Santa Clara eingeladen und umgehend eingestellt.
Frühes Karrieretraining
Hierzulande würde man von einem dualen Studium sprechen, denn zum Deal gehörte, dass Gelsinger seinen Bachelor in Elektrotechnik an der Santa Clara University (Abschluss 1983, magna cum laude) machen konnte und anschließend den Master (1985) – den natürlich an der edlen Stanford University. Ohne Intels Support wäre das kaum denkbar gewesen, denn die exorbitante Tuition Fee der Privatuniversität hätten Gelsingers Eltern (der Vater war unselbständiger Farmer) wohl kaum stemmen können. Hätte der Vater eine eigene Farm gehabt, so Gelsinger später, wäre er wohl auch Farmer geworden. So aber wurde er einer der führenden Technologen im Silicon Valley und später in Oregon.
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Parallel zum Studium werkelte Gelsinger bereits am 80286 mit, dann – unter der Leitung von John Crawford – war er maßgeblich an der Entwicklung des 80386-Prozessors beteiligt, der 1985 herauskam. Im Hause Intel tobte zuvor ein „Rasenkrieg“ (turf war) zwischen zwei verschiedenen 32-Bit-Prozessorgruppen: hier der edle, objektorientierte, aber grottenlahme IA432 von gut etablierten Entwicklern, da der gewaltig aufgestockte Desktop-Prozessor 80286 von einer Schar junger Wilder. Zum 25. Geburtstag der x86-Architektur hat Gelsinger in einem c‘t-Artikel ausführlich geschildert, wie ebendiese jungen Wilden den Kampf eindeutig für den 386 gewonnen haben ("Let’s get happy: Zum 25. Geburtstag der Prozessorarchitektur, die die Welt veränderte", c't 13/2003, S. 90-95). Als Autor war Gelsinger schon erprobt, legendär ist seine zusammen mit John Crawford geschriebene Programmier-Bibel „Programming the 80386“.
Nach dem erfolgreichen 386 bekam Gelsinger die Funktion des Chefarchitekten aufgetragen, um den 486 mit solchen Dingen wie L1-Cache, integriertem Coprozessor, interne Taktverdoppelung und so weiter auszustatten. Intel-Chef Andy Grove, der 1990 das Ruder vom verstorbenen Intel-Gründer Robert (Bob) Noyce übernahm, erkannte dabei, dass er auch über gute Management-Qualitäten verfügte. Zudem hatte Intel seit 1990 mit Robert Colwell einen weiteren hervorragenden Prozessorentwickler in seinen Reihen – noch so ein Pennsylvanier. Der war dann mit für den Pentium und später vor allem als Projektleiter für den Pentium Pro verantwortlich, dessen Architektur auch heute noch die grundlegende Basis aller Intel-Core-Prozessoren darstellt.
Aufgabentrennung
Vermutlich befürchtete Grove, dass sich die beiden Alpha-Tiere in die Quere kommen könnten und so sorgte er für eine klare Aufgabentrennung: Gelsinger als General Manager und Colwell als Projektleiter. Das klappte offenbar gut, in seinem spannenden und durchaus auch kritischen Buch „The Pentium Chronicles“ machte Colwell sich über vieles bei Intel lustig, etwa über das Marketing, bedankte sich aber artig: „I was blessed at Intel with excellent managers – Fred Pollack, Pat Gelsinger, Dadi Perlmutter, Will Swope, Randy Steck and Mike Fister“. Irgendwelche Rücksichten musste er dabei nicht nehmen, das Buch hatte er geschrieben, nachdem er 2001 Intel verlassen hatte. Wie viele andere auch hatte er sich nicht mit Craig Barrett anfreunden können, dem Nachfolger von Grove, der anders als jener nicht dafür bekannt war, ein offenes Ohr für Kritik zu haben. Kritik etwa am Itanium-Projekt ließ er gar nicht zu.
Gelsinger durchlief diverse Positionen im Management, zunächst ab 1992 als „Appointed Officer“ unter anderem als General Manager der PC Enhancement Division, später der Internet and Communication Group. Ab 1996 stieg er zum „Corporate Officer“ auf, als General Manager der Business und dann der Desktop Product Group. Zum Chief Technology Officer (CTO) und Leiter der Research Labs wurde Gelsinger allerdings erst am 25. September 2001 ernannt, wiewohl ihn der Annual Report 2000 schon so titulierte. Er war damit keinesfalls, wie häufig kolportiert, der erste Intelianer mit diesem Titel, die Ehre als CTO der Business Group steht dem eher weniger bekannten Dr. Dalibor (Dado) F. Vrsalovic zu, der sie im Oktober 1999 erhielt.
Gelsinger und c’t
Auch ohne CTO-Titel hatte Gelsinger schon drei Jahre zuvor das Intel-Entwickler-Forum IDF ins Leben gerufen, das ab Herbst 1998 zunächst nur als inneramerikanisches Event stattfand. Heise online und c’t waren da aber bereits in Gestalt ihrer Amerika-Korrespondentin Dr. Sabine Cianciolo vertreten. Lustigerweise war sie im Frühjahr 1999 gerade im Interview mit Gelsinger, als die Meldung hereinplatzte, ein Mitarbeiter einer Computerzeitschrift in good old Germany hätte die damals sehr umstrittene Pentium-Seriennummer „geknackt“ oder genauer gesagt, konnte die eigentlich im BIOS-Setup abgeschaltete Seriennummer über einen Trick (via ACPI Wakeup) nachträglich auslesen. „Das musste ja so kommen“ – so Gelsinger lapidar.
So kannte er mich dann schon, als im Herbst 1999 auch die internationale Presse zum IDF in den heißen Wüstenort Palm Springs eingeladen wurde. Von da an haben wir uns dann in nachfolgenden Jahren bis zu seinem abrupten Abgang im Jahre 2009 auf fast jedem IDF und ab 2005 auch auf einigen Serverseminaren in Hillsboro getroffen. Sehr hilfreich waren dabei unsere legendären Wetten.
Das begann im Herbst 2001 auf Intels Abendevent „Meet an Intel Officer“ oder so ähnlich. Da wollte mir Gelsinger nicht glauben, dass AMD im Jahr zuvor mehr Patente zuerteilt bekommen hatte als Intel. Aber er hatte die Zahlen für die beantragten – nicht für die erteilten Patente im Kopf und musste daher beim nächsten IDF im Frühjahr 2002 den Wetteinsatz, eine Flasche Wein, berappen. Genauer gesagt, musste Intels späterer HPC-Chef Raj Hazra morgens früh um 8 durch San Francisco hetzen, um irgendeinen offenen Weinladen zu finden – wie mir Raj viele Jahre später auf einer Internationalen Supercomputer Conference verriet.
Wir haben die Wetten dann immer wieder erneuert, wetteten zunächst auf die Patenterteilungen in der Zukunft. Doch Gelsinger sorgte dafür, dass Intels Patentrate kräftig angekurbelt wurde – er selbst hielt aus seiner aktiven Entwicklerzeit sieben Patente – und so gewann er die nächsten. Später gabs dann unterschiedliche Wettinhalte, etwa ob ein bestimmter Prozessor noch im laufenden Jahr herauskommt – ja, das kam er dann auch, aber vielleicht nur, weil Gelsinger die Wette unbedingt gewinnen wollte. Aber egal, wie die Wetten ausgingen, ich bekam dadurch immer mein 1:1-Gespräch, was ansonsten für Journalisten alles andere als einfach war. Gelegentlich lud er auch zu trauter Runde zum Essen ein – etwa einmal in Peking zum Mittagsessen, wo ihn ein Telefonanruf herausriss und er umgehend aufbrechen musste – da blieb der Eingeladene dann auf der Rechnung sitzen …
Im Dezember 2001 konnte ich Gelsinger zu unserem ersten englischsprachigen Online-Chat mit Lesern gewinnen, einige Hundert nahmen daran teil. 64-Bit, so Gelsinger damals, ist nur was für Server, das bräuchte auf absehbare Zeit zu Hause kein Mensch. Okay, diese Einschätzung hat sich dann dank AMD-Konkurrenz schnell geändert. Und bis zum Jahre 2010, so orakelte Gelsinger, würde Intel sicherlich eine 100-Milliarden-Dollar-Company sein – auch da lag er nicht ganz richtig, das hatte Intel nicht mal zur Hälfte geschafft – naja Gelsinger war ja 2010 auch nicht mehr dabei …
Orakel
Andere Orakel hingegen betrafen die technologische Zukunft von Intel. Berühmt geworden ist Gelsingers Präsentation auf der ISSCC 2001, wo er die Pentium-4-Roadmap im Hinterkopf hatte und ausführte: „In zehn Jahren werden die Prozessoren mit 10 bis 30 GHz Takt laufen, fähig um Billionen Operationen pro Sekunde auszuführen. Aber wenn sich nichts ändert, wird deren Energiedichte der eines Kernkraftwerks entsprechen.“ Und es hat sich was geändert, der Pentium 4 wurde wegen zu großem Energiedursts gecancelt und die Energieaufnahme rückte in den Mittelpunkt neuer Prozessor-Designs.
Aber nicht alles, was er anfasste, wurde auch erfolgreich. So übernahm er Ende 2004 die Leitung der Enterprise Group, die neben den erfolgreichen Xeons auch die Itanium- und Larrabee-Projekte umfasste. Doch beiden war bekanntlich keine glorreiche Zukunft beschieden. Allerdings mochte Gelsinger zumindest den Itanium von Anfang an nicht sonderlich, letztlich hat ihm ja auch „seine“ x86-Architektur gemeinsam mit der AMD-Konkurrenz den Garaus gemacht. In vertraulichen Gesprächen mit Insidern aus dem Business hat Gelsinger aus seiner Abneigung gegen den Itanium jedenfalls keinen Hehl gemacht.
Für den neuen Job musste er den CTO-Posten aufgeben. Der blieb bei Intel knapp ein Jahr vakant, bis er an Justin Rattner vergeben wurde. Ich glaube, Gelsinger wäre aber lieber CTO geblieben, doch er und seine Unterstützer bei Intel hatten da wohl schon eine spätere Übernahme des CEO-Postens im Blick; dafür sollte er noch mehr Business-Erfahrung sammeln.
Im Arbeitszimmer von Pat Gelsinger (9 Bilder)
(Bild: Andreas Stiller)
Die Nachfolge für Craig Barrett kam im Mai 2005 aber doch ein bisschen zu früh. So setzten sich die Business-Leute durch und hoben den Chief Operating Officer Paul Otellini auf den CEO-Posten – als Ökonom der erste nichttechnische Chef der Corporation. Die große Mehrheit in der Belegschaft hätte sicherlich eher für Gelsinger votiert, aber anders als bei den Berliner Symphonikern wählt üblicherweise ja nicht die Belegschaft den Chef.
Otellini und Gelsinger wurden nie Freunde – hier der streng katholische Otellini, da der ebenfalls strenggläubige, evangelistische Gelsinger, der in seiner Heimatgemeinde in Beaverton auch als Laienprediger auftrat. Gelsinger hat just in dem Jahr 2005 auch ein vielbeachtetes Buch darüber geschrieben, wie man einen führenden Posten in einer Technologie-Firma, die Familie und den Glauben unter einen Hut bekommt: Balancing Family, Faith, Work.
Neue Perspektiven
Wie es dann zum Bruch mit Intel oder besser gesagt mit Otellini kam, verriet mir Gelsinger, als ich ihn 2015 in den VMware-Headquarters in Palo Alto besuchte. Der EMC-Chef Joe Tucci hatte ihn schon geraume Zeit „umgarnt“. Zusammen mit seiner Frau beschlossen die Gelsingers dann auf einem Italienurlaub kurz vor dem IDF 2009, auf Tucci's Offerte einzugehen. Eigentlich wäre Gelsinger durchaus noch für das IDF bei Intel geblieben und hatte Otellini angeboten: „It’s up to you how long I’ve to stay, 10 minutes or two months“ und Otellini gab ihm ... einen Tag. Gelsinger war dann zunächst Präsident und CTO bei EMC und wurde im September 2012 CEO der EMC-Tochterfirma VMware.
Nur wenige Tage später gab Intel-Chef Otellini seinen Rückzug bekannt. Klar, Gelsinger wurde sofort wieder heiß gehandelt, doch das war ihm wohl zu blöd, kaum einen Posten angetreten und dann gleich wieder zu wechseln. So kam mit Brian Krzanich aus der Intel-Herstellungsabteilung ein anderer Techniker auf den Führungsposten.
Doch gerade mit der Herstellung haperte es dann, der 10-nm-Prozess kam einfach nicht in die Pötte. Aber rausgeschmissen wurde Krzanich nicht deshalb, jedenfalls nicht offiziell, sondern wegen einer unziemlichen Beziehung zu einer Intel-Mitarbeiterin. Und natürlich, wieder stand dann Gelsinger in der Pole-Position für die Nachfolge.
Intel suchte und suchte, konnte sich aus irgendwelchen Gründen nicht entscheiden, und hat erst einmal den Übergangschef Bob Swan, einen Finanzexperten, als CEO bestätigt. Mit solchen Übergangsleitern klappts ja manchmal überraschend gut, etwa bei Bayern München (obwohl Hansi Flick gerade eine sehr herbe Niederlage in Kiel einstecken musste). Aber das große Intel-Kreuzfahrtschiff mit über 100.000 Mitarbeitern braucht jetzt einen charismatischen Käpt'n mit technischem Grundverständnis, breitflächig akzeptiert von der Mannschaft und mit Blick für einen guten Kurs.
Ein Blick ins Arbeitszimmer von Gelsinger zeigte bei meinem Besuch von 2015, dass sein Herz immer bei Intel geblieben ist, von EMC oder VMware konnte ich da nur verhältnismäßig wenig erblicken. Hinter dem Schreibtisch hingen Bilder von der Familie an der Wand, davor war der Raum voll mit Intel-“Devotionalien“: Back to the roots. Und vielleicht wird Gelsinger ja als erste Tat das 2016 eingestellte IDF wieder neu beleben …
(as)