Pro & Contra: Multitouch am Mac

Jeremias Radke und Tomas Rudl fragen sich: Soll sich Apple vom iOS-Erfolg inspirieren lassen und Touch-Bedienung auch am Mac einführen? Diskutieren Sie mit!

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Artikel aus Mac & i Heft 2/2014, S. 87

Jeremias Radke hält Multitouch für die einzig wahre Interaktion zwischen Mensch und Maschine.

Neulich in der Bank touchte ich verärgert auf dem Geldautomaten herum. War Windows wieder einmal abgeschmiert? Es dauerte eine Weile, bis ich die Tasten neben dem Display entdeckte. Amüsiert fiel mir das kleine Mädchen im Elektrodiscounter ein paar Tage zuvor wieder ein, das minutenlang versuchte, einem Flachbild-TV drückend und wischend eine Reaktion zu entlocken.

Von Kollegen und anderen technik-affinen Eltern höre ich immer wieder, dass Kinder, die kaum richtig laufen können, die Bedienung von iPad oder iPhone sofort begreifen: draufpatschen, ziehen, streichen – irgendwas tut sich immer. Es ist schwer vorstellbar, dass diese Kinder später einmal etwas anderes als natürlich empfinden. Das wird man sicherlich auch bei Apple schon festgestellt haben. Obwohl Steve Jobs Multitouch-Bedienung für Macs als nicht intuitiv abtat, wird sich Apple dieser Entwicklung kaum entziehen können. Zumal der Konzern seit Einführung des iPhone als Vorreiter in diesem Gebiet gilt. Die Mac-GUI ähnelt ohnehin zunehmend iOS. Inzwischen halten die Kalifornier ein Patent auf einen iMac, der sich in eine fast horizontale Position bringen lässt. Wozu, wenn nicht für die Bedienung via Multitouch?

Das Display ist die wichtigste Schnittstelle zwischen Computer und Benutzer – die Multitouch-Bedienung die direkteste Art der Interaktion mit der Software. Der Mehraufwand, den Arm zu heben, um einen virtuellen Globus zu drehen, ein Fenster zu verschieben, durch das Foto-Album zu wischen oder durch einen langen Text zu scrollen ist nichts gegen das mühsame Umdenken bei der Steuerung mit Tastatur, Maus oder Trackpad. Das musste ich mir jedenfalls nach einem Selbstversuch mit einem Windows-8-Notebook eingestehen. Ein c’t-Kollege hatte mich dazu eingeladen – vermutlich erfreut darüber, den Macianern mal etwas voraus zu haben. Natürlich hatte ich damals noch reflexartig Übervater Jobs zitiert und sicherheitshalber die hässlichen Fingerabdrücke auf dem Display kritisiert. Aber Hand aufs Herz: Beim iPad haben die mich auch noch nie gestört. (jra)

Apple sollte seine Plattformen vor faulen Kompromissen verschonen, glaubt Tomas Rudl.

Apple hat bereits eine Plattform für Touch­screens, und die heißt iOS. Es spricht nicht viel dafür,
deren Bedien-Paradigmen einer Oberfläche überzustülpen, die in ihrer Anlage weit über 30 Jahre alt ist. Die Folge wären unnötig verwirrte Nutzer, die einen konsistenten Arbeitsfluss erwarten würden, diesen aber nicht bekämen. Denn der Aufwand ist nicht zu unterschätzen: Apple müsste sein Desktop-Betriebssystem von Grund auf überarbeiten. Schließlich hat nicht jede Mausaktion wie der Rechtsklick ein passendes Touch-Gegenstück, und viele Elemente sind schlicht zu klein, um zuverlässig mit dem Zeigefinger getroffen werden zu können.

Selbst wenn Apple die Umstellung weitgehend fehlerfrei hinbekäme, bliebe das Problem der zahlreichen Dritt-Entwickler. Mag sich irgend jemand vorstellen, wie lang etwa Adobe brauchen würde, um seine Produkte anzupassen? Microsoft schafft es nicht einmal, die eigene Spaghetti-Plattform Windows 8 durchgehend einheitlich zu gestalten. Man wäre also erst recht wieder gezwungen, zur Maus zu greifen – wie übrigens all die Nutzer von älteren Macs, die nicht die neuesten Schmankerl spielen. „iOS X“ müsste wohl auf Jahre hinaus beide Eingabemethoden unterstützen, was das Chaos nur vergrößern würde. Kaum jemand könnte sich bei einer App sicher sein, ob die Bedienung nun per Fingertipp, Maus oder Tastatur effizienter gelänge. Ein solch wirres Durcheinander wäre untypisch für eine Firma, die den mentalen Verwaltungsaufwand und die damit verbundenen Reibungsverluste beim Interagieren mit ihrer Software so gering wie möglich hält.

Eine Verschmelzung der Plattformen wäre nichts weiter als vergebliche Liebesmüh: So wie iOS davon profitiert, dass Apple von Fußfesseln befreit die Bedienoberfläche neu erfindet und dabei immer besser wird, so sollten sich OS X und der Mac auf das konzentrieren, wofür sie erschaffen wurden: die Bedienung auf dem Schreibtisch und nur zur Not auf dem Schoß; für präzise Mauseingaben und Tastaturkürzel; für das beinahe schon antiquierte Desktop-Konzept samt Stöbern in Ordnern. Der Mac lebt und wird uns noch eine Zeit lang begleiten. Aber warum etwas ohne Not ummodeln, das schon mit einem Fuß im Altenheim steht? (tru)

Wer hat recht? Diskutieren Sie mit! (se)