Pro und Contra: Sollte Apple in Europa Steuern nachzahlen?
Die EU-Kommission scheiterte vor dem EU-Gericht in Luxemburg damit, von Apple 14,3 Milliarden Euro Steuernachzahlungen einzutreiben.
- Thomas Kaltschmidt
Artikel aus Mac & i Heft 4/2020, Seite 7.
Pro
Gerade große Unternehmen ziehen alle Register, um möglichst wenig Steuern zahlen zu müssen – deutsche Unternehmen wie VW machen es nicht anders. Auch wird es niemanden überraschen, wenn ein Land Firmen mit Sonderkonditionen und Förderprogrammen lockt, um langfristig für mehr Arbeitsplätze zu sorgen. Das geht völlig in Ordnung. Wenn aber Apple seine Größe und Marktmacht nutzt, um mehr als fragwürdige Bedingungen über viele Jahre zu erzwingen, geht das zu weit.
Natürlich sind bei Deals immer zwei Parteien beteiligt. Aber die weitaus größere Verantwortung trägt Apple. Auch weil sich das Unternehmen aus Cupertino gerne als moralische Instanz inszeniert und häufiger zu anderen gesellschaftlichen Fragen wie Umweltschutz und Gleichberechtigung den Finger hebt. Die Irland-Struktur aus drei Tochterfirmen sorgte dafür, dass Apple zwischen 2003 und 2014 nur Steuern von weit unter einem Prozent auf die jährlichen Milliardengewinne in Europa zahlen musste. In einem Interview mit der New York Times sagte Tim Cook, Apple habe eine "moralische Verantwortung", nicht nur zum Wohl der Vereinigten Staaten beizutragen, sondern auch zum Wohl "der anderen Länder, in denen wir Geschäfte machen".
Im Steueraufkommen, aus denen die Staaten ihre gesellschaftlichen Aufgaben finanzieren, spiegelt sich das nicht. Schon viele Jahre erwirtschaftet Apple rund zwei Drittel seiner Gewinne auĂźerhalb der USA, die Steuerlast dazu betrug aber nur zwischen einem und sieben Prozent. In Deutschland kommen sogar nur 0,2 Prozent der weltweit gezahlten Steuern an. Das ist einem deutschen Arbeitnehmer schwer zu vermitteln, der im Schnitt 25 Prozent Einkommensteuer auf sein Gehalt zahlen muss. Apple sollte die Steuern nachzahlen. Wie steht es um die moralische Verantwortung, Mr. Cook? (thk)
Contra
Man kann einem Unternehmen nicht vorwerfen, dass es sich die besten Bedingungen innerhalb des legalen Rahmens aussucht. Noch weniger kann man von ihm fordern, nachträglich Abgaben zu zahlen, zu denen es nicht verpflichtet ist – wie es das EU-Gericht in Luxemburg ja festgestellt hat. Was würden wohl die Aktionäre dazu sagen?
Wenn also Staaten wie Irland, Luxemburg oder Litauen große Konzerne mit Steuer-Dumping – in einem ruinösen Wettbewerb der Länder – anlocken, muss sich Wettbewerbskommissarin Vestager zunächst einmal an diese Länder wenden oder für einheitliche Mindeststandards in der EU sorgen. Bisher gibt es nämlich kein EU-Steuerrecht, jedes Land hat seine eigene Steuergesetzgebung, weshalb sie sich der Krücke der Wettbewerbswidrigkeit bedienen musste. Natürlich sollte jedes Unternehmen gerechte Steuern zahlen. Hier geht der Vorwurf aber auch an US-Präsident Trump, der den Steuersatz für in die Vereinigten Staaten rückgeführte Auslandsgewinne von etwa 40 auf 8 bis 15,5 Prozent gesenkt hat: Ein zusätzlicher Anreiz für Apple, die Steuern nicht in Europa zu bezahlen.
Das müsste nicht sein, wenn es der EU gelänge, die in Europa erzielten Gewinne auch hier zu besteuern. Doch mit den USA will sich momentan selbst der deutsche Finanzminister nicht anlegen, weil er Strafzölle auf deutsche Waren fürchtet. Einen Erfolg hat Frau Vestager trotz des verlorenen Prozesses aber erreicht: Das Thema kam wieder auf die Tagesordnung der wichtigsten Medien. Sie braucht Rückendeckung bei ihrem nächsten Feldzug: Mit Hilfe des Artikels 116 des EU-Vertrages will sie gegen die Gesetzgebung einzelner Staaten vorgehen. Doch das Maßnahmenpaket benötigt eine 55-Prozent-Mehrheit der EU-Staaten. Ich wünsche ihr Glück! Macht bessere Gesetze und beschwert euch nicht, wenn findige Unternehmen ihre Marktmacht auch nutzen. (jes)
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