Schrei mich nicht so an, Social Media! Ich mach überhaupt nicht alles falsch!

Bei Tiktok, Instagram, X und Co sind die Marktschreier los. DU MACHST DAS NÄMLICH BISHER IMMER FALSCH. Das nervt.

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"Stop doing this!" – gepaart mit einem fetten roten Kreuz ist eine der häufigsten Aufforderungen, die mir derzeit in den sozialen Netzwerken begegnen. Und sie gehen mir gehörig auf den Keks. Nach dem roten Kreuz folgt in Reels, Tiktok-Videos oder bei Youtube Shorts und sogar bei X dann der grüne Haken und die vermeintlich bessere Version von zum Beispiel einem Zopf.

Hey, es ist ein Zopf. Oida, du musst mich nicht anschreien, weil ich meinen schnöden Pferdeschwanz bisher als schnöden Pferdeschwanz getragen habe und das wohl auch noch weiterhin tun werde. Ja, dein auftupierter Doppelknoten Überreiher-Zopf sieht wesentlich fülliger aus. Ich bleibe beim Pferdeschwanz.

(Bild: Screenshot Instagram)

"Was du bisher immer falsch gemacht hast" – auch diese deutsche Variante lässt aufhorchen. Und es scheint ziemlich piep-egal, welches Thema folgt, es gibt offensichtlich immer etwas, das ich falsch machen kann. Blume umtopfen? Aber doch nicht einfach so. Die Bluse in die Hose stecken? Pfffffff. Der Trick ist, die Bluse hintenrum quasi erneut hochzuknöpfen, also die Knopflöcher doppelt zu verwenden. Die Masche: Menschen fühlen sich ertappt und dank ein klein bisschen Beleidigung sind sie auch gleich viel anfälliger für die Tipps. Es funktioniert also.

Social Media sollte doch dieser Ort der fluffigen Themen sein. Die glanzvolle Welt von Influencern, die einem zeigen, dass ihr Leben halt einfach ne Runde geiler ausschaut als meins. Daran bin ich gewohnt. Nicht nur zeigen die Creator, wie Influencer ja heutzutage heißen, dass auch sie freilich Wäscheberge im Bad liegen haben – wenn sie gerade das Waschmittel in Dropsform bewerben. Nein, ich weiß auch ganz sicher, dass die so heile wirkende Welt ganz schöner Mist sein muss, wenn man morgens um 4 Uhr auf nen Berg wandert, damit man irgendwie noch einen Slot erwischt, bei dem man ein Foto machen kann, ohne von Dutzenden anderen Touristen vom Gipfel gestoßen werden zu können.

Tiktok will laut Anbieter Bytedance Politik außen vor lassen, weil es ein Ort für lustige Tanzvideos sein soll. Aber was ist mit den Marktschreiern? "Dieses Rezept musst du ausprobiert haben!" Derzeit scheint man nicht ohne einen Tortilla-Cheeseburger herumzukommen. Solche Trends gab es schon immer, klar. Aber der Tonfall, mit dem sie beworben werden, ist geradezu aggressiv geworden.

"Geheimer Trick, den niemand kennt" – so kannst du deine Tastatur säubern. Optimiere deinen Speicherplatz. Manchmal verstecken sich unter den Marktschreiern auch echte Anzeigen, die aber im Stil nicht zu unterscheiden sind von den vielen Creatoren, die mit Gebrüll auf Likes und Sichtbarkeit setzen. "Das sagt dir kein Arzt", behauptet etwa ein Tiktoker, der sich selbst als "High Level Performance Coach" bezeichnet und im Video einfach eine Übung zeigt, bei der er sich ein Handtuch unter den Arm klemmt. Sein ganzer Account strotzt vor "Das passiert wenn...".

(Bild: Screenshot Tiktok)

Und natürlich hängt sich der Trend an den KI-Hype – in vollsten Zügen. Auch hier wird gerne damit gespielt, dass der Leser ein bisschen dumm sei: "Nur wenige Menschen wissen dies und das." Oder: "Du musst dies das nutzen, sonst wirst du abgehängt" kann man einige Beiträge bei X zusammenfassen. Dahinter verbirgt sich aber nur äußerst selten etwas wirklich Neuartiges, geheimes oder auch nur besonders praktisches. Es triggert aber freilich das schöne Jugendwort FOMO – Fear Of Missing Out, die Angst, etwas zu verpassen.

Aktuell habe ich eher Angst, dass jemand mir aus dem Smartphone heraus eine klatscht, weil mein Zopf noch immer nicht voluminös ist.

(Bild: Screenshot X)

(emw)