"Tetris" auf Apple TV+: Wie der sowjetische Spiele-Hit die Welt eroberte

Der Spielfilm auf Apple TV+ erzählt, wie aus der "sowjetischen Herausforderung" ein weltweiter Hit wird – und opfert Genauigkeit zugunsten der Unterhaltung.​

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Nikita Jefremow als Alexei Paschitnow.

(Bild: Apple TV+)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • René Meyer
Inhaltsverzeichnis

Jeder kennt "Tetris". Wie das 1984 in Moskau erfundene Spiel in den Westen gelangt, wo es schätzungsweise 500 Millionen Mal verkauft wird, erzählt der für Apple TV+ produzierte Spielfilm "Tetris", der seit ein paar Tagen auf dem Streamingdienst zu sehen ist. Wer die Geschichte nicht kennt, sei vor Spoilern gewarnt.

Henk Rogers ist einer der schillernden Persönlichkeiten der Branche: Geboren in den Niederlanden, zieht seine Familie nach New York, als er elf ist, und später nach Hawaii. Während seines Informatik-Studiums lernt er seine zukünftige Frau und Geschäftspartnerin Akemi kennen, der er nach Japan folgt.

In Japan schreibt er ein Computer-Rollenspiel nach westlichen Mustern, angelehnt an das Regelwerk von Dungeons & Dragons (zurzeit im Kino). Weil er keinen Verleger findet, gründet er das Unternehmen "Bullet-Proof Software" und veröffentlicht das Spiel auf eigene Faust: "The Black Onyx" verkauft sich 150.000 Mal. Mithilfe von Nintendo kann die kleine Firma später ein "Go"-Spiel für das NES entwickeln.

Hier setzt die Handlung des Films ein: Auf der CES 1988 versucht Rogers (Taron Egerton) mit wenig Erfolg, "Go" auch im Westen an den Mann zu bringen – und stößt am Nachbarstand von Mirrorsoft auf ein viel interessanteres Spiel: "Tetris".

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Dessen Vorgeschichte streift der Film nur kurz: 1984 schreibt der Mathematiker Alexei Paschitnow (Nikita Jefremow) an der Akademie der Wissenschaften in Moskau eine Computer-Version des Legespiels Pentomino, jedoch mit Teilen aus nur vier Quadraten. Paschitnow programmiert das Spiel ursprünglich in Pascal an einer Elektronika 60, einem russischen PDP-Klon. Der Rechner hat einen Grünmonitor und beherrscht keine Pixelgrafik, daher werden alle Elemente mit ASCII-Zeichen dargestellt.

Das Spiel wird in Farbe für den PC umgesetzt und verbreitet sich. Auch nach Budapest, wo es von Robert Stein (Toby Jones) entdeckt wird. Der hat eine Ein-Mann-Firma namens Andromeda Software in London, die Spiele ungarischer Entwickler an internationale Publisher lizenziert (eine faszinierende Geschichte, die der Dokumentarfilm "Moleman 4 – Longplay" erzählt).

Stein erwirbt eine Lizenz für die Verwertung von "Tetris" im Westen. Sie führt zu Verträgen mit Mirrorsoft des Medien-Moguls Robert Maxwell, der die Spielhallen-Rechte an Atari verkauft, die sie für Japan an SEGA weiterreichen. Zugleich interessiert sich Nintendo für die Handheld-Rechte: "Tetris" wäre für den im Geheimen entwickelten Game Boy genau das richtige Zugpferd.

Nikita Jefremow als Alexei Paschitnow und Taron Egerton als Henk Rogers.

(Bild: Apple TV+)

Eigentlich fühlt sich die sowjetische Außenhandelsgesellschaft für Hardware und Software, Elorg, für solche Verhandlungen verantwortlich – hat aber noch nie Programme in den Westen lizenziert.

Der Film konzentriert sich auf das Gefeilsche um die Rechte. Stein hat nur die Lizenz für die Computer-Version, verkauft aber auch die Rechte für Konsolen, Arcade-Automaten und Handhelds weiter. Das führt zu allerlei Komplikationen. Sie münden darin, dass am Ende drei Parteien nach Moskau fliegen, um persönlich zu verhandeln: Robert Stein, Robert Maxwell – mit Sohn und seinen politischen Kontakten bis hin zu Gorbatschow – und Henk Rogers, im zweiten Anlauf mit einer Delegation von Nintendo USA, dem einzigen wirklich solventen Partner der Bieter-Runde. Sie alle spüren, dass "Tetris" nicht nur eine besondere Sogkraft entwickelt, sondern sich prima vermarkten lässt als erstes Spiel, das den Eisernen Vorhang durchbricht.

Auch wenn der Film den Poker nicht ganz so akkurat erzählt, wie es David Sheff für sein Standardwerk "Nintendo: Game Boy" (1993) recherchiert hat und wie es die einstündige BBC-Dokumentation "Tetris: From Russia with Love" (2004) darstellt, sind die mühsamen Verhandlungen mit den Funktionären unterhaltsam erzählt. Dann nimmt "Tetris" den Abzweig in eine Räuberpistole – mit Drohungen, Schlägereien und gar einer Verfolgungsjagd im Auto durch die Straßen Moskaus. Das kann man verzeihen, da sich der Film nicht ganz so ernst nimmt.

Wie "Die Silicon Valley Story" über die Anfänge von Microsoft und Apple hat auch "Tetris" dokumentarische Elemente; es werden Pixelbilder und Schaugraphiken eingestreut. Man schaut Egerton (bekannt aus "Kingsman" und "Rocketman") gern zu, wie er sich mit entwaffnender Naivität an allen Barrieren vorbeimogelt, ob in die Elorg-Zentrale oder zu einer Audienz mit Nintendo-Chef Yamauchi.

Zu Rogers findet "Tetris"-Erfinder Paschitnow schnell einen Draht: beide sind Spieler; beide sind Programmierer. Es entsteht eine Freundschaft, und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zieht Paschitnow in die USA, wo die beiden The Tetris Company gründen, die bis heute die Rechte an der Marke verwaltet.

Die Idee für einen "Tetris"-Films gibt es schon länger, das Projekt gewinnt aber erst an Fahrt, als Matthew Vaughn (der Ehemann von Claudia Schiffer) einsteigt. Nach Plänen, die Dreharbeiten in Moskau oder Berlin zu machen, wird es letztendlich Schottland: Aberdeen ist nicht nur die Heimat des Regisseurs Jon S. Baird – die "Granitstadt" ähnelt den klobigen Bauten Moskaus.

(vbr)