"Twitter ist ein Wahrnehmen der Ränder"

Twitter-Gründer Evan Williams über die Populärität seines "Microblogging"-Kommunikationsdienstes, neue Anwendungen wie Twittervision, Notfallkanäle und seinen Lachsbagel zum Frühstück.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Kate Greene
Inhaltsverzeichnis

Evan Williams hat die Angewohnheit, Software zu entwickeln, mit der die Menschheit ihre Gedanken leichter in die Weiten des Internet schicken kann. 1999 entwickelte er mit Blogger.com eine der ersten und populärsten Weblog-Plattformen. Sie gehört inzwischen zu Google und entwickelt sich prächtig.

Sein jüngstes Projekt ist ebenfalls ein Dienst, mit dem die Nutzer ihr Mitteilungsbedürfnis stillen können: Seit März 2006 sorgt der "Microblogging"-Service Twitter für Aufsehen im Web 2.0-Hype.

Der Name leitet sich vom englischen Begriff für "Zwitschern" oder "Schnattern" ab. Bei Twitter lassen sich kurze Mitteilungen von maximal 140 Zeichen Länge per Handy und Rechner erstellen und an alle Freunde und Bekannten versenden – plus den Rest der Welt, wenn man das wünscht. Die Idee hat allerdings nicht nur Freunde: Die ständigen Updates, mit der Multikommunikatoren ihre Umwelt über kleinste Details auf dem Laufen halten müssen, schockt insbesondere Vertreter älterer Internet-Generationen.

Williams macht sich um solche Kritiker allerdings keine Sorgen – auch schon bei der Einführung von Blogger.com musste er anfangs mit Unverständnis leben, doch die Welt gab ihm schließlich Recht. Technology Review unterhielt sich mit dem Twitter-Gründer über Gegenwart und Zukunft des Dienstes.

Technology Review: Herr Williams, für diejenigen, die Twitter noch nicht kennen – worum geht es bei dem Dienst?

Evan Williams: Twitter ist eine Möglichkeit, mit all den Leuten in Kontakt zu bleiben, die den Nutzer interessieren. Das passiert, in dem man die Frage "Was machst Du gerade?" beantwortet. Die Leute machen das über eine Web-Schnittstelle, SMS-Botschaften oder einen von mehreren Client-Programmen, etwa Instant-Messenger-Anwendungen oder Desktop-Applikationen. Dann abonniert man einfach die Twitter-Feeds all der Leute, denen man folgen möchte. Anschließend erhält man diese kurzen, kleinen Text-Updates den ganzen Tag über. Man erhält somit einen Einblick in das Leben der anderen Nutzer. Updates lassen sich ebenfalls über die Twitter-Website, IM, Desktop-Clients oder SMS auf dem Handy empfangen.

TR: Wird das nicht schnell nervig, wenn man ständig Textnachrichten bekommt, in denen Freunde und Bekannte sich über jedes Detail des Tages auslassen?

Williams: Man kann jederzeit damit aufhören, einer Person zu folgen. Wird es zu viel, schaltet man einfach ab.

Viele Nutzer verwenden Twitter über die Website, aber der SMS-Dienst ist eigentlich interessanter, weil man dabei draußen sein kann und den ganzen Tag über vom Handy aus berichtet. Twitter ähnelt Instant Messaging oder direkten SMS-Botschaften – mit dem Unterschied, dass Antworten nicht unbedingt erwartet werden. Dies macht eine andere Art von Mitteilungen möglich, man hat mehr Freiheiten. Weil niemand Antworten erwartet, kann man Dinge schreiben, die andere auch ignorieren können. Dann schreibt man auch mal Sachen, die nicht unbedingt so wichtig sind, aber vielleicht für den einen oder anderen trotzdem interessant oder lustig.

TR: Zu welchen Themen schreiben die Nutzer Twitter-Botschaften? Über was schreiben Sie selbst?

Williams: Ich habe meinen Freunden heute beispielsweise mitgeteilt, wie gut mir mein Frühstücks-Lachsbagel geschmeckt hat. Andere Nutzer teilen interessante Links miteinander, twittern ihre Einsichten des Arbeitstages, wie sie sich fühlen, was sie gerade spannend finden und worüber sie traurig sind. Wenn unsere Nutzer gerade in einem Film waren oder in einem Restaurant, teilen sie ihre Gedanken darüber gleich mit. Wenn man diese Leute kennt, interessiert einen ihr Tagesablauf. Er kann aber auch dann faszinierend sein, wenn man den anderen Nutzer nicht kennt und ihm dennoch folgt, weil er/sie lustig oder interessant ist. Viele Leute, die mich nicht kennen, lesen meine Updates – und ich erhalte Updates von Leuten, die ich nicht kenne, weil ich sie interessant finde. Es ist eine neue Kommunikationsform, ein Wahrnehmen der Ränder. Man erhält trotzdem erstaunlich schnell Einblicke in das Leben anderer. Wenn man Twitter-Updates von einem Freund bekommt, kann man sich sofort vorstellen, was er gerade tut, wenn er darüber berichtet.

TR: Wie viele Nutzer hat Twitter und welche Personengruppen spricht der Dienst hauptsächlich an?

Williams: Wir befinden uns noch in einer frühen Phase und kommunizieren unsere Zahlen noch nicht nach außen. Viele der Nutzer gehören aber wohl zur Gruppe der "Early Adopter".

TR: Einige Blogger klagen darüber, dass die Funktionalität von Twitter so eingeschränkt ist. War diese Einfachheit Absicht?