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Was war. Was wird.

"Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen." Ja, das mit dem Subjekt-Sein, damit hat so mancher seine Schwierigkeiten, lästert Hal Faber. Und gedenkt einem, der diese Schwierigkeit wenig hatte.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Do not harm", verletze nicht. Erinnert ein bisschen an das Google-Motto Don't be evil, sei nicht böse, und ist in seiner kantianischen Einfalt durch und durch amerikanisch. Do not harm, das soll laut Eben Moglen das erste Gesetz der "media robotics" sein, jener Sparte des Journalismus, die den von wahnsinnigen Menschen gemachten ablöst. Basierend auf den Robotergesetzen von Isaac Asimov, ist dieses do not harm als Mediengesetz wohl der größte Unsinn, den Moglen auf der re:publica erzählte, mehr noch als die gute Nachricht, dass Steve Jobs tot ist. Denn Moglen verstieß umgehend gegen sein erstes Gesetz, als er den Architekten Philip Johnson (Seagram Building, Kunsthalle Bielefeld) so charakterisierte, um ihn mit Steve Jobs vergleichen zu können: "Once upon a time there was a man here who built stuff in Berlin for Albert Speer. His name was Philip Johnson and he was a wonderful artist and a moral monster and he said he went to work building for the Nazis because they had all the best graphics."

*** Zweifellos war Philip Johnson in jungen Jahren ein glühender Verehrer der deutschen Nationalsozialisten. Er übersetzte "Weltanschauung, Wissenschaft und Wirtschaft", Werner Sombarts Festschrift für Hitlers Wirtschaftsminister Hjalmar Schacht, war als Live-Berichterstatter dabei, als Deutschland Polen überfiel, und beschrieb das, was er Judenverbringungen nannte. Auch seine Texte, in denen er die "Rassenvermischung" in den USA mit Sorge betrachtete und den Arier am Aussterben wähnte, lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Auf Befehl von Franklin D. Roosevelt legte das FBI eine Akte über Johnson an, der sich alsdann der "unpolitischen" Architektur widmete. Heute wissen wir, dass Albert Speer ihn als seinen Schüler betrachtete. Aber: Johnson baute eben nicht gewissenlos für Albert Speer, wie Moglen behauptete. Und der Sprung zu einem Steve Jobs, der sich gewissenlos die Früchte freier Software zu eigen macht, wird damit zum Bauchklatscher. So einer im Stil des Apple-Werbevideos mit Steve Jobs als Franklin D. Roosevelt und IBM als naziartigem Unterdrücker.

*** Die albernsten Sätze dieser re:publica sprach jedoch ein anderer Amerikaner in einer vehement geführten Debatte und bekam dafür reichlich Beifall. Dass Jacob Appelbaum für seine Sottisen über "skrupellose Scheißläden" auch noch die Zustimmung von La Quadrature du Net erhielt, gehörte zu den absoluten Tiefpunkten dieser Blogger-Konferenz. Wohin es führt, wenn "don't fuck with anonymous" allein durch die Namensgebung ein gültiger Protest sein soll, zeigt der Angriff auf das Syndikat nach der Criminale. Prompt ploppen üble Klischees hoch: Die Netzgemeinde lässt grüßen und die Piraten sind natürlich mit im Boot. Was bleibt, ist ein armseliges Bild von der deutschen Diskussionskultur über das Urheberrecht. Der Tatort, in dem ein Tatort-Drehbuchautor von Anonymous erstochen wird, ist sicher schon in der Produktion, auch wenn vorerst ein absolut wunderbarer Ermittler ausgerechnet für Till Schweiger sterben muss. Keinschwanztürken in der ARD. Wie sich die ehrenwerten Ermittler sonst anstellen, mag man in Berichten über den Untersuchungsausschuss nachlesen. Ein Tatort zur NSU würde dem Publikum einen verotteten Staat präsentieren, und das geht schonmal gar nicht. Wozu verbannt man schließlich "Polizeirufe" in die Nacht, weil die Darstellung einer unfähigen, hilflose und bornierten Polizei die Jugend verschrecken könnte.

*** Die vor 32 Jahren geschriebene Promotion von Bundesforschungsministerin Annette Schavan hat Mängel. Nach Vroniplag und Guttenplag ist Schavanplag ans Netz gegangen und derzeit ab und an erreichbar. Dahinter dürfte das öffentliche Interesse stecken, nicht Anonymous. Rührend zu sehen, wie sich die tageszeitung hinter Schavan stellt und auf den anonymen Schwarm eindrischt. Zieht ein Shitstorm auf? Ach nein, das ist ja auch nur Markierungsscheiß von Menschen, die von der Panik erfasst werden, dass sie keine Subjekte mehr sind. "Person und Gewissen in der digitalen Urgemeinschaft", das ist schon mal ein vielversprechender Anfang für Plag 2.0, das Crowdsouring von Promotionen. Oder sollte man da besser einen unbelasteten Namen wie Atevia nehmen, der keine Rückschlüsse auf die unperformanten Combots zulässt, Kizoo?

*** Seit dieser Woche kommen 66 Träume ins ÖR-Fernsehen. Auffällig ist, dass bislang Blindenhunde und Pferde den Ton angeben. Weit und breit kein Döner-Sponsoring für Plomlompom, der sich tapfer in die Zukunft träumt. Auch das Internet findet nicht statt. Aber hey, Pop kann Leben retten!. Don't harm? Ach was, verbeugen wir uns mit Santigold vor einem, der Abschied nehmen musste: Don't play no game that I can't win!.

*** Ja, leider. Wo wir schon bei den verlorengehenden Subjekten sind: "Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen." Was der olle Adorno berechtigterweise anmerkte, galt so gar nicht für Adam Yauch. Und gar nicht nur traumatologisch oder als Wahnvorstellung eines in der Subjekt-Objekt-Diskrepanz gefangenen Autors verschwand er, besser bekannt als MCA und einer der Beastie Boys, weggezwungen vom Krebs. Dass auch weiße Jungs Hip-Hop machen können, das ist spätestens seit MCA und den anderen Beastie Boys gesichert, und dass dabei auch noch gute Videos herauskommen, dass zeigte MCA ebenfalls. Dabei entwickelte er sich von "politischen Bösewicht" zum "politischen Shout out" (den Rap-Slang überträgt man wohl am besten als "Respektsperson"), wie es in einem Nachruf hieß. Zu einem derjenigen, deren Musik in den 80ern als jugendgeführdend bekämpft wurde – deren damals jugendliche Hörer aber heute in der Kultur dominieren, sich einen Namen in im politischen und intellektuellen Leben gemacht haben. Tja, was dem einen die Jugendgefährdung, ist dem anderen die gar nicht sentimentale Erziehung zu einem anständigen Menschen. Oder, wie es im erwähnten Nachruf heißt: "Nur eine weitere Erinnerung daran, dass die nationalen Albträume von heute die nationalen Schätze von morgen sind". Wie blöde man sich anstellen kann in der digitalanalogen Welt, genau das zeigen die Nachrufe auf MCA aber auch mal wieder und sorgen schon jetzt dafür, dass er wahrscheinlich erst einmal rotieren wird, wenn er ins Grab kommt: Unter der Überschrift "100 Künstler gedenken Adam 'MCA' Yauch von den Beastie Bays" tatsächlich 103 Screenshots von Tweets zu veröffentlichen, die als Bilderstrecke anzuschauen sind und die entsprechenden Tweets nicht verlinken, auf die Idee muss man erstmal kommen. Und es gehört schon einige Unverfrorenheit oder Stupidität dazu, so deutlich die eigene Online-Inkompetenz zu demonstrieren. Wie berührt einem im Unterschied zu solchem Müll der Nachruf des Do-it-yourself-Bloggers: "Die Welt ist so viel ärmer ohne die kompromisslose Kreativität dieses wahnwitzigen Trios." Dass aber MCA nicht aus dem Rotieren herauskommt, dafür sorgen andere, etwa mal wieder unsere Freunde von Youtube und Gema: Fight for your rights revisited, das letzte Video-Werk von MCA, ist doch tatsächlich in Deutschland nicht auf Youtube verfübgar, da Youtube mal wieder erklärt, die Gema habe die Rechte nicht eingeräumt. Na gut, dann gucken wir es eben woanders in aller Ruhe. Fight for your right - zu was auch immer.

Was wird.

Frankreich wählt heute, Griechenland und Schleswig-Holstein machen mit und irgendwie ist Dänemark auch mit von der Partie. Mit dabei, zumindest im Kieler Landesparlament, die Piraten, die darüber volllobhudelgestreichelt werden, wie schnell sie sich zu richtigen Politikern mausern können. Vergiftetes Lob? Aber nicht doch. Vielleicht schaffen es die Neuen in der Politik noch, den Unsinn abzulegen, dass die technischen Gegebenheiten des Internet wie Naturgesetze zu behandeln sind. Nun hat das ewig klamme Bundesland die ersten Internet-Wettanbieter zugelassen, was zu lustigen Regressstreitereien in der geplanten rotgrünblauen Koalition führen dürfte. Dann wäre da noch die künftige Online-Melderegisterauskunft, ohne die das Zocken zwischen den Meeren nicht funzen kann.

Wie war das noch bei Eben Moglen? Er predigte von einer dramatischen Zeitenwende. "We are the last generation capable of understanding directly what changes. If we forget, no other forgetting will happen. We must not fail." Die letzten ihrer Art, das wusste schon Douglas Adams, haben es immer besonders schwer. Bis sie vergessen sind. Nun ist der bekannteste Mensch jener Partygänger, dessen Sauffotos bei Facebook eines Tages beim Arbeitgeber landen, der dann kündigt. Mit schöner Regelmäßigkeit wird dieses Beispiel zitiert, obwohl die aktuelle Rechtssprechung in Deutschland das Gegenteil feststellt. Was bleibt, ist die Forderung nach einem Recht auf Vergessen und ein genau vor einem Jahr initiierter (LB655051:Wettbewerb)$, nachdem sich der digitale Radiergummi schmauchend als Unsinnsprojekt verabschieden musste. Mehrfach musste auch der Wettbewerb wegen akuter Vergesslichkeit verlängert werden, doch nun ist es soweit: Am Montag werden die Preise verliehen. Zuvor diskutiert der oberste deutsche Cyberkämpfer auf dem Internet-Forum mit Schülern über dieses Vergessen und dieses komische Facebook.

*** Hach, die Sensation des Jahres ist natürlich der Börsengang von Facebook. Mindestens 12 Milliarden Dollar sollen den Google-Rekord toppen, juchhu, und sagenhafte 900 Millionen Nutzer freuen sich dann über neue Nutzungsbedingungen und einen direkten Draht zum FBI. Wer vor Aufregung nicht mehr schlafen kann, kann immerhin Nackt auf Pluto spielen oder sich über die Lektion in Sachen Sozialhygiene freuen, wenn Facebook unwertes Leben ausschließt. Wie war das noch mit dem Ich-Sagen und dem Subjekt-Sein? Fight for your right... (jk)