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Was war. Was wird.

Die Seele ist eine Art vorformatierte, bootfähige Festplatte, die mit Daten gefüllt wird bis zum Lebensende, sinniert Hal Faber, der von einem Leser vor nachhaltigem Kummer bewahrt wurde.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wenn der Herbst kommt, dann hält man schon einmal inne, bleibt in der norddeutschen Tiefebene stehen und schaut zurück auf das Erreichte. Was man hat, was man will, wo die nächste Tanke ist und wer wohl wieder mal die Wochenschau beschissen findet. Große Gedanken also, die man mit einem gewissen Stolz über das Erreichte nach vorne zu den Stirnlappen schicken kann. Stolz kann ich also behaupten, dass ich wirklich etwas habe: keine Ahnung. Noch stolzer bin ich aber, dass meine Leser genau dies wissen. In der vorigen Wochenschau hatte ich behauptet, dass Uschi Obermaier und Iris Berben in der Zeitschrift "Underground" für den Computer Logikus geworben hätten. Stimmt nicht. Sie sind nur auf Seiten abgebildet, auf denen für den "Geheimschriftübersetzer" beziehungsweise das "Intelligenztestgerät" geworben wird: Wenige Tage nach der Wochenschau frachtete ein Paketdienst einen vollen Karton auf meinen Schreibtisch, darin enthalten die gesamten drei Jahrgänge der "Underground" aus dem Verlag Bärmeier & Nikel. Mit dem Logikus, der für 68 Deutsche Mark bei einer 2001 GmbH bestellt werden konnte. Schau heimwärts, Alzheimer! So bin ich von einem Leser wieder einmal davor bewahrt worden, zum Tom Kummer der IT zu werden. Was insofern eine gute Sache ist, als der nächste Kummerkasten wöchentlich mit den "hintergründigsten Reportagen" gefüllt werden wird, damit die "neue Generation der Leistungselite in diesem Land, urban und weltoffen, die heute nur eingeschränkt das wöchentliche Medienangebot nutzt", etwas zu lesen hat. Natürlich gehört hier ein Link hin, doch sei der treue WWWW-Surfer gewarnt. Es ist ein Bild dabei, und Uschi Obermaier ist nicht drauf.

*** Hintergründigste Geschichten aus der Welt der IT sind immer super spannend. "Am Ende hatte der Verwaltungsrat nicht den Mut, mir in die Augen zu blicken. Sie haben nicht 'Danke' und nicht 'Auf Wiedersehen' gesagt." So sprachmächtig wie erschütternd beginnt Carly Fiorinas Buch "Tough Choices", das bei uns unter dem Titel "Mit harten Bandagen" erscheinen wird. Fiorina ist der gleiche Jahrgang wie Steve Jobs und Bill Gates, hat aber die großartige Chance, das Scheitern einer Irrsinns-Fusion und die Einführung einer paranoiden Firmenkultur beschreiben zu können. Schließlich war es Fiorina, die die Operation Kona einleitete, bei der man sich mitnichten um die Tierchen seiner Mitarbeiter kümmerte.

*** Wenn der Herbst da ist, die Ernte eingefahren, beginnt die große Grübelzeit. Wer sind wir? Wohin gehen wir? Was machen die Lottozahlen? Philosophisch veranlagte Naturen glauben, dass sich der Mensch vom Roboter durch seine Seele unterscheidet. Diese Seele ist eine Art vorformatierte, bootfähige Festplatte, die mit Daten gefüllt wird bis zum Lebensende. Dann steht eine megamäßge Konferenzschaltung mit Myriaden vom Webcams an, die vom Seelenbrowser durchsucht werden. Der große Robert Anthony Wilson, dem wir die Zahl 23 und ein paar diskordianische Spielereien verdanken, steht vor seiner großen Schaltung und doch ist kein Geld auf dieser Seite des Universums da, ihm die letzten Tage zu erleichtern. Ich fühle mich geehrt, helfen zu dürfen und finde die Antwort besonders ermutigend.

*** Das kann ich von einer Vielzahl der Antworten auf die kleine Meldung vom Unfalltod von Dirk Haaga nicht behaupten. Haaga gehörte zu den sympathischen Geschäftsführern einer Branche, die nicht unbedingt für sympathische Geschäftsführer bekannt ist, sondern mehr für Hohlformen mit übergezogenem Jackett. Es spricht für ihn, dass sich viele an seine Hilfsbereitschaft erinnern und ihre Anteilnahme ausdrücken wollen. Kurzum: nichts spricht gegen die Spendenaktion zum Gedenken an einen großzügigen Menschen, die der Linux-Verband gestartet hat.

*** Gestorben ist einer, der zeitlebens Angst vor der Armut hatte und der doch der reichste Österreicher war. Friedrich Karl Flick, der mit seinen Millionen die "deutsche Landschaft" pflegte, mit dem das wg. salonfähig wurde. Ihm verdankte Helmut Kohl seinen kostbaren "Blackout". Bis an sein Lebensende weigerte sich der reichste Flick, Zahlungen an den Entschädigungsfonds für NS-Zwangsarbeiter der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zu leisten. Wie kein Zweiter prägte Flick das Bild vom gewissenlosen deutschen Unternehmer – nur sein Vater war ihm auch darin überlegen.

*** An der Spitze von Microsoft einen deutschen Unternehmenschef zu geben, das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Jürgen Gallmann hat sie besser gelöst als mancher Vorgänger. Wer erinnert sich noch an blasse Vorgänger wie Kurt Sibold oder Richard Roy? Gallmann versuchte sich am Dialog mit der Politik und konnte selbst in der komplizierten Auseinandersetzung mit der Europäischen Union Verständnis für europäische Entscheidungsprozesse vermitteln. Die "Verlagerung von Entscheidungsspielräumen in die Corporation", die ihn zum Abschied trieben, sind eine höfliche Umschreibung für die neue Microsoft in der Vista-Ära, die erst in Umrissen erkennbar wird. Was nicht heißen soll, dass Microsoft mit Wattebällchen wirft.

*** Die Forderung nach dem Verbot von Wahlcomputern, die der Chaos Computer Club aufgestellt hat, ist übertrieben. Schließlich haben es die CCCler geschafft, ausgerechnet The Simple Chess Programm von Tom Kerrigan in die 16 KByte RAM der Wahlmaschinen zu portieren. Tom Kerrigan ist ein Gutachter im Streit um die Wahlmaschinen von Diebold. Die richtige Forderung wäre, alle Wahlcomputer im Schach gegeneinander antreten zu lassen, während die Großmeister der Zunft auf ihren Toiletten eingeschlossen werden. Mit d2-d4 eröffnete der holländische Stemcomputer im Stil von Bobby Fischer. Das ist ein guter Anfang.

Was wird.

Des Menschen Seele ist vielleicht eine Festplatte, der Menschen Daten hält jedoch ein großer Computer bereit, der in den USA beim FBI steht. Von jeder Reise merkt sich der Computer 34 Datensätze, die ursprünglich 50 Jahre lang gespeichert bleiben sollten. Jetzt sind es nur drei Jahre für: Buchungscode (Passenger Name Record), Datum der Reservierung, geplante Abflugdaten, Name, andere Namen im PNR, Anschrift, Zahlungsart, Rechnungsanschrift, Telefonnummern, gesamter Reiseverlauf fur den jeweiligen PNR, Vielflieger-Eintrag (beschränkt auf abgeflogene Meilen und Anschrift[en]), Reisebüro, Bearbeiter, Codeshare-Information im PNR, Reisestatus des Passagiers, Informationen über die Splittung/Teilung einer Buchung, E-Mail-Adresse, Informationen über Flugscheinausstellung (Ticketing), allgemeine Bemerkungen, Flugscheinnummer, Sitzplatznummer, Datum der Flugscheinausstellung, Historie aller nicht angetretenen Flüge (no show), Nummern der Gepäckanhänger, Fluggaststatus mit Flugschein aber ohne Reservierung (Go show), Spezielle Service-Anforderungen (OSI – Special Service Requests), Spezielle Service-Anforderungen (SSI/SSR – Sensitive Security Information/Special Service Requests), Information über den Auftraggeber, alle Änderungen der PNR (PNR-History), Zahl der Reisenden im PNR, Sitzplatzstatus, Flugschein fur einfache Strecken (one-way), etwaige APIS-Informationen (Advance Passenger Information System), automatische Tarifabfrage (ATQF).

Die Kritik an den Krötenschluckern ist groß, denn viele Daten verführen zum Missbrauch, nicht nur die Mail-Adresse. Klein dagegen die Aussicht, sich bei einer noch zu gründenden EU-Agentur für Grundrechte über die Weitergabe der Flugdaten beschweren zu können. Es ist noch etwas hin, bis die Oscars für die Datenkraken verliehen werden, begleitet von einer Demonstration gegen Vorratsdatenspeicherung und Sicherheitswahn. Doch der Hinweis auf das geplante Treiben in Bielefeld, der "Hauptstadt des Datenschutzes", kann nie schaden.

Auch bis zur Welt des Trusted Computing vergehen noch ein paar Tage. "Dieses gesamtheitliche Konzept wird sich zwangsläufig gegen nicht-standardisierte Sicherheitsmechanismen durchsetzen", verkünden Veranstalter und Sponsoren. Unter ihnen HP, ausgewiesener Spezialist für die vertrauenswürdige Computernutzung. So ist das im Herbst, wenn Bäume sich entblättern. (Hal Faber) / (anw)