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Was war. Was wird.

Während freudetrunkene Schwaben den Gewinn einer hässlichen Salatschüssel feiern, richtet Hal Faber den Blick gen Norden, wo eine versammlungsberuhigte Zone auf die erste Liga der Weltherrscher wartet.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Heiligendamm gehört geographisch nicht unbedingt zur norddeutschen Tiefebene, in der sich mein Leben abspielt. Das macht aber nichts, denn mit einer schicken Allgemeinverfügung unter völliger Missachtung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes wird klar, dass die Politik das Primat über die Geographie hat. Die Ausweitung einer Versammlungsverbotszone um 1, 10, oder 100 Kilometer macht klar: Wir leben alle in Zone II, sei dies nun in den platten Bauten von Heiligendamm, in der bezaubernden norddeutschen Tiefebene oder im niedrig schwelligen Hamburg. Passend zu den verstrahlten Protagonisten des Web 2.0 und ihrer notgeilen Aufmerksamkeitsphysiognomie ist jede Versammlung von Demonstranten und Übungs-Demonstranten verdächtig, sofern sie nicht in Second Life abgehalten wird. Ob Rentner oder Biergärtner, kein Verdacht ist zu dumm oder zu abwegig, als dass er nicht für die Bildung einer terroristischen Vereinigung herhalten kann. In der Zone II zeigt sich, was ein ordentlicher Präventivstaat zu leisten vermag. Sinnigerweise können sich so Wladimir Putin und Angela Merkel zankend beweisen, dass sie auf lupenreiner Augenhöhe ihre Untertanen gängeln.

*** Es gab mal eine Zeit, da trafen sich die Weltmächtigsten offen in London, Paris oder Bonn. Seit Genua 2001 verzieht man sich ins Hinterland, in die schottische Einöde oder eben nun ins verödete Hoteldorf Heiligendamm. Dort läuft um den Zaun herum die teuerste und größte Polizeiaktion in der Geschichte der BRD an – die Fußball-WM war dagegen ein Klacks. Wenn das Spektakel vorbei ist, sollen bis zu 400.000 Touristen jährlich zur Besichtigung des Felder kommen, auf denen die größte angenommene Blockerierei stattfinden wird. Das jedenfalls meinen die Experten, die sich vor den Fernsehkameras austoben können. Etwas nüchterner sollte man sich einmal nach den Erfolgen der Gipfeltrefferei erkundigen. Die Zahlen sind ernüchternd. Was in Heiligendamm zum Klimawandel beschlossen wird, dürfte in ähnlich kleiner Münze ausgezahlt werden.

*** Während der Sänger Roger Cicero die deutsche Angst vor der Osterweiterung der Europäischen Union artikulieren half, veröffentlichte das Magazin Cicero die Liste der 500 Intellektuellen, eine Art Googlefight mit Käsereibe. Meinungsführer ist jedenfalls ein Vereinsmitglied von Schalke 04, während Jürgen Habermas, der Intellektuelle der alten BRD, ähnlich wie Hannover 96 auf Rang 10 logiert – ein bekennender Fan des VfB Stuttgart nimmt Rang 229 ein. Besagter Habermas hat diese Woche im Szeneblatt der DVD-Knacker einen Artikel zur Lage der Tageszeitungen veröffentlicht. Der Text macht klar, dass ein guter Intellektueller souverän die Fakten ignorieren kann. Da müssen die Verlage weltweit mit dem Rückgang des Druckgeschäfts leben und danach trachten, Gigabit Ethernet in die DNA ihrer Journalisten zu pflanzen, doch das interessiert den Fachmann für kommunikatives Handeln nicht. Lieber erklärt er die Anzeigenkrise für überwunden und die diskursive Vielfalt der auf toten Bäumen ausgestellten Meinungen für unterstützenswert durch öffentlich-rechtliche Konstruktionen. Ein Vorschlag von GEZartigen Ausmaßen: weil wir alle an einem stillen Örtchen Papier brauchen, wäre eine Abgabe nur gerechter Ausgleich.

*** Zu dieser seltsam realitätsfremden Weltsicht des Intellektuellen Nummer 10 passt die Frankfurter Mahnung aus dieser Woche, ein Armutszeugnis rohstoffarmer Schriftsteller, die sich nach dem starken Staat sehnen. "Nur wenn der Staat diejenigen schützt, die vervielfältigungswürdige Inhalte schaffen, setzt er die nötigen Anreize dafür, dass solche Inhalte auch im digitalen Zeitalter noch entstehen können und in ihre Veredelung und öffentliche Bereitstellung investiert wird." Wer bestimmt da wohl, was vervielfältigungswürdige Inhalte sind. Die ordnende Hand des Präventivstaates, der Markt oder jene 499 deutschen Intellektuellen, die nach dem Papst die öffentliche Deutungsmacht besitzen? Besonders peinlich ist das Unverständnis der Mahner, wenn es um Open Access geht und die Super-Renditen der großen Wissenschaftsverlage in Gefahr sind. Fortschritt und Veredelung klingt gut, doch ein Blick in die Realität, in der die Etats von Bibliotheken zusammengestrichen werden wie sonst nur Stellen bei der Telekom, ist besser. Open Access steht für die freie Zugänglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse und ist mitnichten eine Forderung, dass geistige Leistung frei sein muss.

*** Achja Telekom, genau: Die mit Abstand wichtigsten Nachrichten dieser Woche ließen den kleinen Ticker in der norddeutschen Tiefebene nicht stillstehen: Die Verabschiedung von 50.000 Menschen in eine Billiglohn-Klitsche hat zu einem Streik besonderer Art geführt. Wenn ver.di die Auseinandersetzung in der zukunftsträchtigen IT-Branche inmitten des Aufschwungs nicht gewinnt, ist es Aus mit der Rolle der Gewerkschaften als Gegenstück zum ungezügelten Kapitalismus. Andere fangen kleiner an, doch einen Plan für publike Prekariats-Partnerschaften hat ausnahmslos jede Firma in der Schublade. Wer Aufschwung will, muss Arbeitsplätze abbauen wollen. Die soziale Marktwirtschaft stammt aus dem letzten Jahrhundert und ist nur noch eine Scheidungssache: Begrabt die Vergangenheit und auf in eine bessere Zukunft.

*** Die mit Abstand heftigst diskutierte Nachricht dieser Woche produzierte Microsoft mit 235 Geschützen, die auf die Open Source gerichtet sind. Zum Wochenende hin klangen die Drohungen etwas versöhnlicher und auch die Meinungen der Fachleute klangen nicht mehr nach irrer Panikmache vor codeplündernden freischweifenden Programmiererhorden, doch das Rätselraten ist noch nicht zu Ende. Eine Lesart der Verbalattacke behauptet, dass die Firma erst jetzt über die Konsequenzen nachdenkt, die mit der kommenden GPLv3 verbunden sind. Eine andere meint, dass Microsoft in den mit Novell abgeschlossenen Verträgen gesucht und keine Klausel gefunden hat, die zeitliche Limite setzen. Beide Varianten klingen, als ob Microsofts Rechtsanwälte mit 640 KByte Speicher arbeiten oder von dem Koffer-in-Bielefeld-Geschäftsmodell von SCO begeistert sind. Microsoft zu unterschätzen ist immer schon ein schwerer Fehler gewesen. Die genauen Zahlen wie 15 Patente bei der E-Mail und 42 Patente im Kernel belegen eher, dass genau diese 15 oder 42 Patente bereits getestet und für prozessgeeignet befunden worden sind. Bleibt die Frage, ob Microsoft allgemeine Ungleichheiten meint oder mit härteren Patenten die Brücke pflastern wird, die niemand jemals betreten will. Nicht einmal für panikartig rausgeworfene 6 Milliarden Dollar.

*** Heute vor vielen, vielen Jahren begann das Erste Konzil von Nicäa, die Grundzüge des Christentums festzulegen und herauszufinden, wie dieser Christus eigentlich definiert werden kann. Von Brian und seiner tollen Himmelfahrt sprach damals niemand mehr. In dieser harten Stunde sind meine Gedanken natürlich bei Werder Bremen, das den mächtigen Fans im Internet Tribut zollen musste. Ganz nebenbei hätte man auch besser spielen können. So geht die Schüssel verdient ins Mayer-Vorfelder-freie Stuttgart, während in der Hauptstadt gewohntes Mittelmaß gekickt wird.

Was wird.

Bevor die deutsche Wertarbeit polnischer Billigarbeiter in Heiligendamm von schweifenden autonomen Horden getestet wird, steht die deutsche IT-Sicherheit auf dem Prüfstand: Vom Dienstag an läuft der 10. Deutsche IT-Sicherheitskongress des BSI unter dem Motto Innovationsmotor IT-Sicherheit. Wer hätte dem BSI diesen deftigen Sinn für Humor zugetraut? Derzeit verlieren mindestens zwei deutsche IT-Firmen Aufträge im Ausland, weil die Debatte um heimliche Online-Durchsuchungen natürlich nicht nur auf Deutsch geführt wird. Im BSI arbeiten einige der fähigsten deutschen Sicherheitsexperten, doch leider hat das BKA das Sagen. Das beginnt schon damit, das alle Teilnehmer am Sicherheitskongress vom BKA in einem Verfahren überprüft werden, dass den Realitätsverlust dieser Behörde gut dokumentiert.

Ein weiteres Ereignis zieht die Sicherheits-Szene von Bonn nach Darmstadt. Dort verhandeln die Sicherheitsexperten über die Wunderwelt des Trusted Computings. Richtig aufgesetzt, müsste diese Technik das gesamte Possenspiel um die Online-Durchsuchung ad absurdum führen. Dann bliebe BKA und Verfassungsschutz nur der Sternenstaub über, der huschhusch über die Tastatur gestreut wird und alle getippten Eingaben zu den Pleiaden schickt – oder zum Nachbarn um die Ecke. Paranoid sein heißt frei sein, El Masri. Die schallende Ohrpfeife vom Bundesverfassungsgericht wird er nicht mehr gehört haben. (Hal Faber) / (vbr)