4W

Was war. Was wird.

Nimmermehr! Echt? Nicht lieber immer mehr? Manchen Leuten kann man die Prinzipien des Rechtsstaats gar nicht oft genug erzählen. Aber nimmermehr wird sich ihre Seele aus den Untiefen des Unverständnisses erheben, befürchtet Hal Faber.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 39 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nimmermehr! Wo denkst Du hin: Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt ein schlimmeres "Immer mehr": Immer mehr Kleingärtner, die weder Jäger noch Bauern sind, werfen die Flinte ins Korn. Stille ist immer mehr ein pures Luxusgut und immer mehr Leipziger werden kriminell, bis es irgendwann die ganze Stadt ist. Da wundert es auch nicht, wenn der vorratsdatenspeicherlose Staat immer mehr Bankdaten abfragt, wiewohl es richtiger wäre, dass die Daten immer öfter abgefragt werden.

*** So sterben die Zeitungen und mit ihnen der Qualitätsjournalismus: Es enttäuscht schon, wenn reißerisch behauptet wird, dass die über Leichen surfen, die gegen die anlasslose Speicherung unserer digitalen Lebensdaten kämpfen. Wenn dann keine einzige Leiche im Text auftaucht, sondern – Überraschung – wieder einmal von Kinderpornographie die Rede ist, welchselbige angeblich nur ein "Beispiel unter vielen" sein soll. Das Vorratsdatenvakuum, das uneinsichtige Politiker und trotzköpfige Beamte unbedingt auffüllen wollen, hat etwas Monothematisches: Da ist dann die Rede von einem "niederschwelligen Grundrechtseingriff" und davon, dass doch die Kinder geschützt werden müssen. Da sage einer Nein und schon ist er ein potenzieller Kindermitschänder. Dabei ist ein Nein für unsere Gesellschaft so wichtig, wie es ein Jurist in seinem Blog zu den 8 Mythen der Vorratsdatenspeicherung formuliert, wenn er auf die These antwortet, dass der Polizei wie etwa der NSA alle technisch möglichen Instrumentarien zur Überwachung der Kommunikation zur Verfügung gestellt werden müssten.

Nein. In einem Rechtsstaat gibt es keine Strafermittlung um jeden Preis. Darin besteht nämlich gerade der Unterschied zu Unrechtsstaaten wie der DDR, die jede Form der Überwachung und Kontrolle des Bürgers für legitim hielten. Der Rechtsstaat muss auf eine Totalüberwachung verzichten und damit eventuell einhergehende Defizite bei der Kriminalitätsbekämpfung in Kauf nehmen.

*** Die über die schreiben, die über Leichen surfen, sind ein lustiges Völkchen. Nicht weniger als 10 Tracker schickt mir das Blatt der klugen Köpfe, wenn ich den Artikel über die Datenmacht von Unternehmen aufrufe. Besonders lustig natürlich Google Analytics von der urbösen Firma Google, von deren Tun und Lassen nur "manisch-obsessive Technikfreaks" einen genauen Überblick haben. Nicht minder lustig ist es, den US-Amerikaner Jason Lanier von der "bizarren Sinnlosigkeit der endlosen Datenschutzdebatten" schreiben zu sehen, wo am Vortag in den USA ausgerechnet die ständig in den Nachrichten präsente NSA ihren ersten Datenschutzbericht vorlegte. Der ist zwar nach den im Vergleich zu deutschen Regeln schwächeren Fair Information Practice Principles erstellt worden, könnte aber ein wichtiges Signal der NSA an die Öffentlichkeit sein, nicht völlig unkontrolliert Daten zu sammeln.

*** Potzblitz, ein Krieg? Man kann es lang und ausführlich wie Gabriele Krone-Schmalz machen oder kurz und knackig wie Bettina Gauss: Was sich die Qualitätsmedien in ihrer Berichterstattung über Ukraine und Russland leisten, ist unfassbar schlecht und unausgewogen. Gegenüber dem, was Steinmeier appeliert, Kerry droht und Merkel murmelt, sind die täglich gebloggten Lagebilder und Einschätzungen der Profis die eindeutig bessere Quelle etwa über die Beobachter in der Ostukraine. Nimmt man die Vorgeschichte aus Chruschtschows Zeiten hinzu, lässt sich das "Verhalten des Kreml" erklären, während alle Seiten mit zunehmender Verlogenheit agieren. Und dann? Hoppla, ein Krieg ist da und die "Ehre des Westens" steht auf dem Spiel. "Keep calm and carry on", aber das ist längst eine App. Was bleibt, hat einer aufgeschrieben, der vor 450 Jahren geboren wurde und von Beginn an diese kleine Wochenschau begleitet:

Die Ehre treibt mich in die Schlacht. Gut, aber was, wenn die Ehre mich abschlachtet beim Schlachtfest, was dann? Kann Ehre ein Bein heil machen? Nein. Oder einen Arm? Nein. Oder Wundschmerzen stillen? Nein. Ehre hat also kein Geschick zur Chirugie? Nein. Was ist Ehre? Ein Wort. Was steckt in diesem Wort Ehre? Was ist diese Ehre? Luft. Schöne Rechnung, das! Wer hat sie? Der, der letzten Mittwoch starb. Spürt er sie? Nein. Hört er sie? Nein. Also merkt man nichts davon? Nein, die Toten nicht. Aber belebt sie denn nicht die Lebenden? Nein. Warum? Weil die Verleumdung es nicht zulässt. Darum will ich nix davon wissen. Ehre ist bloß ein Schleifenspruch am Grabkranz – und damit endet mein Katechismus. (Shakespeare, Heinrich IV, 1. Teil V.1)

Was wird.

Hach, wie war das noch? Der Arbeiter unternimmt etwas, damit Unternehmer arbeiten. Ja, das ist Brutalo-Dialektik made in Germany, aus dem hilligen Köllen. Dat Janze jittets auch in 1337er-Note oder in musikalisch. Am kommenden Dienstag will Microsoft in Berlin unter den Linden ausgewählten Journalisten das "Manifest für ein neues Arbeiten" vorstellen. Der Netz-Plebs bekommt es auf der re:publica präsentiert, wie man bei Microsoft nachlesen kann:

Als Microsoft haben wir wie viele andere auch #Neuland betreten und beackert, uns dabei Schwielen an den Händen geholt. Dafür können wir uns jetzt über die Früchte unserer Arbeit freuen. Wir sind in der digitalen Welt angekommen. Wir haben die Grenzen der Arbeit, wie unsere Vorfahren sie kannten, gesprengt.

Schwielen an den Händen beim Betreten von #Neuland durch etwas Mausgeschubse? Huch, huch. Hat der Werbetexter oder die Werbetexterin von Microsoft beim Grübeln über ein ordentliches Manifest zuviel Reden von der schwieligen Faust der Arbeiter gehört? Jaja, die Grenzen der Arbeit, wie unsere Vorfahren sie kannten, sind gesprengt: Dank E-Mail sitzen wir alle in der Hamsterfalle und lassen gehorsam das Smartphone an. Das neue Arbeiten ist hübsch beschrieben von einer Firma, die gerade im finnischen Espoo Nokias "On the Move" verschwinden lässt. Das Microsoft-Logo hängt schon, so schnell geht On the Move:

Wir wollen nicht länger am Schreibtisch festsitzen, sondern in virtuellen Teams an gemeinsamen Projekten arbeiten. Wir wollen unsere Kollegen treffen, auch wenn wir selber zuhause, mit unseren Kindern auf dem Spielplatz oder in der Pause auf der Wiese sitzen.

Auf der Wiese? Wie wäre es denn auf einer schönen Demonstration? Heraus, heraus zum revolutionären 1. Mai! Nicht nur die neuen Arbeiter bei Microsoft, sondern alle, die sich in #Neuland und drumherum schwielige Hände geholt haben, ziehen nach der antikapitalistischen Walpurgisnacht und dem Myfest durch Berlin. Es gibt die "revolutionäre 1. Mai-Demo" in Kreuzberg, die Demo des Deutschen Gewerkschaftsbundes, die Demo der NPD und die drei separaten Gegen-Demos der Grünen, der Linken und von Verdi, sowie, stilgerecht um ein paar Tage verpeilt, die Hanf-Demo der Kiffer. Ja, sollte in Deutschland doch einmal eine Revolution zum Zuge kommen, so lösen wir bitte alle mit der App eine Bahnsteigkarte.

Es gibt sie noch, die guten Alternativen zum Berliner Geraffel: Schauen wir nach München, wo das europäische Vintage Computing Festival stattfindet. Unbestrittener Star des Festivals ist diesmal eine Lilith von Niklaus Wirth, gewissermaßen der geniale Vorläufer des genialen Next des genialen Steve Jobs. Ja, damals, seufz. Heute haben wir nur noch den genialen Larry Page, den Bürgermeister der "Geisterstadt Google+". (jk)