4W

Was war. Was wird.

Man kann ja Audio-Dateien auch für etwas anderes verwenden als für ausgesucht gute Musik für verwöhnte Ohren, merkt Hal Faber an. Und lässt Schwächen des demokratischen Prozesses nicht als Argument für die verschwörungstheoretischen Spinner gelten.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 29 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** König Fußball ist da und regiert aus der Tiefe des Raumes, der nach allen Regeln der Kunst und dem neuesten Stand der Technik überwacht wird. 900 Millionen Dollar für Drohnen, Gesichtserkennungssysteme, Scanner gegen 3D-gedruckte Waffen und ein modernes Anti-Terrorzentrum für ein Spiel, das 90 Minuten dauert, begleitet von unfähigen Schiedsrichtern. Es ist schließlich die letzte WM, mit deutscher Beteiligung ohne Rückgrat und Verstand und einem Spinner wie Blatter.

*** Während die Fanmeile in der City of Untersuchungsausschuss im Banne der Urinstrahlen stinkt, werden gleich nebenan im Reichstag und Kanzleramt die wirklich schmutzigen Dinge angepackt. Endlich kann man ungestört ergebnisorientiert arbeiten, wenn andere grölen. Wie war das noch anno 2012, als das Meldegesetz während der Fußball-EM klammheimlich um den Verkauf von Adressdaten erweitert wurde? Wichtige Verhandlungen zum Freihandelsabkommen gehören zum WM-Arbeitspensum, eine Drohnendebatte mit Experten und wenn es ordentlich in den Tornetzen zappelt, kann man auch diesen Edward Snowden vergessen und die Schnüffeldienste ihre Arbeit machen lassen im globalen Ringtausch.

*** Haben sie nicht wie in der Ukraine wieder einmal vorbildlich gearbeitet, die Entwicklungen passgenau analysiert und frühzeitig vor Abu Bakr al Baghdadi gewarnt? Oder war es nicht doch nur der hilflose Hinweis auf diese furchtbaren Heimkehrer aus dem syrischen Bürgerkrieg, wegen denen unsere Freiheiten weiter eingeschränkt werden müssen? Ja, da muss doch die Zusammenarbeit intensiviert werden bei dieser Bedrohung.

*** In dieser kleinen Wochenschau werden üblicherweise Audio-Dateien nur verlinkt, wenn es darum geht, gute Musik für verwöhnte Ohren zu präsentieren. Wie wäre es inmitten des WM-Gedöns zur Abwechslung mal mit einer Lesung einer kleinen Reportage, die schildert, wie in erlesenen Hinterzimmern über das Freihandelsabkommen "debattiert" wird, mit freundlicher Unterstützung der Business Software Alliance? Das ist die Lobbybude, die gegen Softwarepiraterie vorgeht, Open-Source-Software als Handelshemmnis bezeichnet und TTIP als Fortschritt begrüßt. Wo der Profit das höchste Rechtsgut ist, will man sich doch nicht lumpen lassen. Wer dieser Tage die skurrile deutsche Debatte um den Mindestlohn betrachtet und auf Großbritannien als großes Vorbild schielt, sollte nicht vergessen, dass Konzerne nach den Freihandelsregeln gegen Mindestlöhne klagen dürfen und dies auch tun werden, wie Veolia in Ägypten.

*** Frank Schirrmacher, der Großmeister der Debatten, von den USA aus als Informationsfresser wahrgenommen, ist tot. In seinem letzten Interview über das Leben in der Überwachungsgesellschaft atmete er schwer. Was wusste das ach so intelligente Unternehmen Google über den passionierten Raucher, der durch eine Kammerflimmern nach Lungenödem im Alter von 54 Jahren starb? Der angenehm eigensinnige Mann, der so gerne die Debatten aufmischte, hatte schon damals keine Berührungsängste mit den Nerds, als ich ihn das erste Mal auf der Byteburg von Kai Krause traf. Zuletzt, so berichtet es Fefe, der etwas andere Aufmischer ohne Berührungsängste, stritt er sich über die Frage, ob man die Auflösung der Geheimdienste fordern kann. In seinem letzten Buch "Ego" warnte Schirrmacher vor den Computer-Algorithmen, die den Menschen berechnen und ausrechnen. Er dürfte feixend zur nächsten Zigarette gegriffen haben, beim Lesen der Nachricht, dass jeder programmieren können muss, ausgeführt am Beispiel von Scratch. Vielleicht ist diese kleine Meldung von der Existenz übereifriger Algorithmen der fein-ironische Abschiedsgruß der Maschinenwelt an Frank Schirrmacher. Wir werden erst langsam begreifen, was (nicht nur wer) uns nun fehlt, nicht nur, um eine neue Geschichte unseres digitalen Lebens zu schreiben. "He was a man, take him for all in all", heißt es in Shakespeares Hamlet.

*** Zum Gespräch mit Frank Schirrmacher ist Eric Schmidt nicht mehr gekommen, doch wurde der in Berlin verbreitete Glanz der Factory auch in der ehemaligen Hauptstadtzeitung verbreitet. In Berlin etwas für die Welt machen, da "alle Menschen gleich gestrickt" sind, das ist so eine Aussage von Schmidt, die Widerspruch und einen kleinen Krawall verdient hätte. Was passiert, wenn die Bestrickten protestieren, weil die Stricker die Arbeit verlagern wie bei Uber? In Berlin streikten die Taxifahrer, während Wowereit ahnungslos grinste. Das Netz ist voll von einfältigen Kommentaren über Uber & Co, die selbst nicht sonderlich sympathisch erscheinen. Auf lange Sicht braucht übrigens niemand Taxis, Autos und Arbeit, dann werden Roboter den Laden schmeißen und sich der Rest der Menschheit den schönen Künsten widmen, wie das Marc Andreessen zum ewigen Lobe des Algorithmus formuliert.

Was wird.

Alle Enden sind auch ein Beginnen. Mitten hinein in all die Reflektionen über Schirrmacher, seine FAZ und andere Zeitungen im Energiesparmodus platzt die Nachricht, dass die Krautreporter bei ihrer Knetisierungs-Kampagne 16.560 Unterstützer animieren konnten, insgesamt 986.465,87 Euro zu stiften. Jetzt wird also der Online-Journalismus gerettet, den die Krautreporter für kaputt halten. Freuen wir uns auf "Reportagen, Recherchen, Porträts und Erklärstücke". Über Themen, mit denen die Krautreporter sich auskennen. Mit der Zeit, die nötig ist, um eine Gute-Nacht-Geschichte zu erzählen. Versprochen ist ja mehr, als es schon gibt. Was das sein soll, das fragen sich wohl nicht nur diejenigen, die bereits ihr Geld gaben. Der Verdacht liegt nahe, dass sich das die Krautreporter derzeit auch noch selbst fragen.

Wie wäre es mit einer Geschichte über die Weltmächte? Für die tageszeitung sind dies nicht die USA, Russland und China, sondern Mark Zuckerberg und Edward Snowden, beide 30 Jahre alt. Interessant ist dabei der Gedankengang des Autors, dass Mark Zuckerberg mit seinem Facebook als einziger Entrepreneur die Prinzipien der Hackerethik verwirklicht. Hier ist jemand dem Schwindel von The Hacker Way aufgesessen in der großen, klassisch recherchierten Reportage? Am Ende wird das Leben von Snowden mit dem einer Hauskatze verglichen. Vielleicht ist es an der Zeit, eine neue Hackerethik zu formulieren?

Am 19. Juni jährt sich das Datum, an dem Julian Assange im Jahre 2012 vor der drohenden Auslieferung nach Schweden in die Botschaft von Ecuador flüchtete. Zu diesem Zeitpunkt waren all seine Versuche, gegen die Auslieferung nach einem europäischen Haftbefehl Schwedens vor britischen Gerichten Einspruch zu erheben, abgelehnt worden. Seitdem harrt Assange in der Botschaft aus, inzwischen mit Ecuador-Trikot und einem kleinen Bäuchlein bereit, bei der WM mitzufiebern, wenn es gegen die Schweiz geht. Wo es doch in Brasilien so friedlich und vollkommen unpolitisch zugeht und die Spießer und Heuchler die Spieler in den Mittelpunkt stellen. Aber egal: Freuen wir uns auf den Weltmeister Holland. Oranje! Ich muss gleich kotzen. Warum, das darf sich nun jeder und jede selbst aussuchen. (jk)