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Was war. Was wird.

Hal Faber gedenkt dieser Woche Menschenaffen, die in den Himmel kommen, wenn die Linux-Gemeinde sich spendabel zeigt. Aber auch die Hölle und die andere Hälfte des Himmels kommen nicht zu kurz.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Iuma Dylan-Lucas Thornhill, was für ein schöner Name. Welche Assoziationen da aufsteigen: Uma Thurman, eine unfähige Schauspielerin, Dylan Thomas, ein versoffener Dichter und Lucas-Arts, ein Laden für billige Kintopp-Tricks. Den Thornhills kann ich nur gratulieren. Auch für die 5000 US-Dollar, die Vater Thornhill vom Internet Underground Music Archive dafür bekam, sein Kind nach dem Namen ihrer Website zu taufen. Ob 5000 US-Dollar ausreichen werden, die ersten Sitzungen von Iuma beim Therapeuten zu bezahlen? Wenn der Junge etwa erkennt, dass er eigentlich Ugo heißen sollte, nach dem hier schon bekannten UnderGround Online. Ich spreche da aus eigener, bitterer Erfahrung. Hal, Hal Faber, wie sehr habe ich in der Schule unter dem Namen gelitten! Halfi, Half und Halfwurst waren prompt die Rufnamen. Eigentlich wollten mich meine Eltern IBM nennen, was der deutsche Standesbeamte jedoch nicht zulassen wollte. So praktizierten sie die mitteldeutsche Lautverschiebung. Dem jungen Erdenbürger Iuma wünsche ich jedenfalls viel Glück. Das Beispiel mit Sponsoring Names an Stelle der First Names könnte Schule machen, wenn die wirklich Mächtigen dieser Welt mitziehen: Icra Bertelsmann, Aoella Case, Officia Gates, Freifräulein Explora Dipling von Gravenreuth, Linux Torvaldsson – es gibt viele schöne Namen auf dem Raumschiff Erde. Bobo Yafooh Faber gefällt meiner Frau schon mal ganz gut. Im Zweifelsfall kann er seinen Sponsoring Name zu Bofh abkürzen.

*** Man sieht: Manches Mal kommt es schlimmer, als man denkt. Was würde wohl angesichts moderner Namensgebungen ein heute weitgehend vergessener Kabarettist anmerken, der in Gedenken an all die Skanes, Flodas, Nikkalas, Billies und Ivars kommentierte: "Was ist das für ein Land, in dem die Kinder heißen wie die Möbel, auf denen sie gezeugt wurden?" Sicher, manches wird sich nicht halten können. Webgrrl-Dieter Wyrzwrocki dürfte beispielsweise keine Chance haben, wegen dem kleinen Unterschied. Der Frauenverband wurde in der letzten Woche übrigens nicht nur durch die spaßigen Geschichten rund um die ICANN bekannt. Die amerikanische Sektion der Webgrrls, die derzeit in den Valleys des Cyberspace ihre Sommerparties schmeißt, bei denen Männer willkommen sind, beschloss den Ausschluss eben dieser Männer von Tombolagewinnen. Gehört das als Los fungierende bezahlte Eintrittsticket einem Manne, wird so lange weiter gelost, bis eine Frau gefunden ist. Die Begründung ist einleuchtend: In unserer Hälfte des Himmels bestimmen wir.

*** Eine andere Himmelshälfte wird bekanntlich von der Musikindustrie bewohnt, die immer noch den ersten Sieg gegen Napster feiert. Das Licht der E-Sonne hat man bei der Party indes noch nicht gesehen. Die Industrie hat nach ihrem Erfolg vor Gericht keinen blassen Schimmer, wie sie den Cyberspace angehen soll. Etwas höflicher formulierte dies Bertelsmanns Middelhoff auf der Popkomm just zu dem Zeitpunkt, als die Einspuchsfrist zur Übernahme von CDnow ablief. Noch besser formulierte es ein William Yeager von der Firma Soundom in einer Pressemeldung: "Wir haben das Problem schon längst gelöst." Soundom bezahlt Musiker und Song-Sauger gleichermaßen, die einen für die Lieferung von Klängen, die anderen für den Download. Dabei kassiert Soundom von beiden Parteien kräftig: Die Firma verkauft die Daten der Anwender an Ticketing-Dienste für Rockkonzerte und vermietet die Werbeflächen beim Download an die Industrie. In wenigen Monaten wird Napster völlig vergessen sein, heißt es in der dazu gehörigen PR, die von einer Firma namens Hardlink Fist Service kommt. Ein Faust-Service für harte Links, das klingt schwer nach einem Fetzrocker im Stil von Metallica.

*** Ob aber sechs Praktikanten, die gerade bei Microsoft in die Sphären moderner Software-Vermarktung eingeführt werden, in den musikalischen Himmel kommen, muss sich noch erweisen. Jedenfalls scheinen sie in Redmond nicht ausgelastet zu sein und brachten eine CD heraus mit so netten Songs wie Sue Me Baby One More Time. Die Erlöse aus dem Verkauf sollen der Musikerziehung in den Schulen rund um Seattle zu Gute kommen. Vielleicht schließt sich nun Microsoft den Klagen der Musikindustrie gegen Napster an – wenn findige MP3-Tauscher und Gates-Fans die Songs der CD über den Service feilbieten, geht dies schließlich auf Kosten der musikalischen Erbauung der amerikanischen Kids. Und aus denen könnten immerhin die Rockstars werden, die in einem späteren Leben ihre Millionen-Einkünfte durch Napster 3000 gefährdet sehen. Dafür hat Bill Gates sicher Verständnis: Auch Open Source ist schließlich nichts viel anderes als eine Tauschbörse – für gute Ideen und mehr oder weniger gelungenen Code. Daher bezweifle ich, dass ein Song wie Hit Me, Hit Me with Your Linux-Stick den Weg auf die CD gefunden hat.

*** Wo so viel von Himmeln und Storchen die Rede war, darf die Hölle nicht fehlen. In ihr schmoren in der Vorstellung gestresster Journalisten die Verfasser von PR-Nachrichten, die von "effizienter Kompetenz bei breitgefächertem Hintergrundwissen zugeschnitten auf den Surfer" schwadronieren oder die "neue Multimedialität des Custom Publishing in deutscher Sprache" feiern, was früher einfach Übersetzung hieß. Leider gibt es diese Hölle noch nicht, ditto ihre Reverse-Funktion, in der wir armen Würstchen auf heißen Stühlen angebunden sitzen, während kleine Teufelchen unsere alten Artikel über den unaufhaltsamen Siegeszug von OS/2 oder Novell NetWare vorlesen. Nun geht ein Ventil für unseren Verdruss an den Start, der Whack-a-Flack. Flack oder eben Flak, Flugabwehrkanone, so nennen Journalisten in den USA die PR-Arbeiter. Whack-a-Flack ist die Moorhuhn-Variante für uns Journalisten. Wobei wir bei der Moorhuhn-PR der Firma Twirlix in ehrfürchtiges Staunen ausbrechen: "Specials zu brandaktuellen Themen sind für die Macher von www.twirlix.de kein Problem. Dank einer neu entwickelten Software können die findigen Internet-Experten innerhalb eines Tages themenbezogene Features auf ihrer Site bereitstellen und damit aktuelle Trends schnell aufgreifen." Wow! In einem Tag! It's only HTML, but we like it.

Was wird.

Älter, das wird man mit jedem Tag. So auch Euer armer Hal – und wegen gleich eines ganzen Jahres, das ich älter wurde, mussten die geneigten Ticker-Leser dieses Mal bis Sonntag Mittag auf die Wochenschau warten. Aber nun darf ich mir auch etwas wünschen: Und einmal wieder einen meiner Lieblingsbegriffe der letzte Monate aufgreifen. Ob der Bobo in deutschen Landen noch einmal die Gefilde dieser Kolumne verlässt? Uns allen jedenfalls liegt der Bobo am Herzen. Wenn die iContent-Websites voller eCommerce verschwinden, wenn Möbelhäuser wie Living.com abtauchen und das Feld Ikea überlassen, wenn Value America nicht mehr 70 Millionen US-Dollar "Anzeigenprämie" an seinen Gründer bezahlen kann, dann sind die Bobos vom Aussterben bedroht. Das ganze schöne Gerede um die neue Ökonomie konnte sie nicht am Leben erhalten. Einige Bobos werden in den Zoo kommen oder als Futtermittel für verstandesuntüchtige Venture-Kapitalisten gefriergetrocknet. Was boomt und munter am Wachsen ist, ist die Linux-Szene. Die bange Frage darf gestellt werden: Retten sie die Bobos? Aber nicht doch. Echte Linuxer halten sich eher an die Bonobos. Richard Tiemann von Red Hat und Miguel de Icaza von Helix Software spendeten in der letzten Woche jeweils 100.000 Dollar (in Cash, nicht in Aktien) zur Rettung der Bonobos. Diese im Kongo beheimateten Affen stehen uns am Nächsten. Das einzigartige Kommunikationssystem dieser Affen und das sozial-freundliche Verhalten ihrer Stämme hätten ihn zum Gnome-Projekt inspiriert, sagte Miguel de Icaza vor laufenden Kameras, ohne rot zu werden. Nun erwartet er in der nächsten Woche jeweils 100.000 Dollar von allen mit Linux befassten Firmen, die aus den roten Zahlen sind. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere Leser an die Affen in "2001 – Odyssee im Weltraum". Bei ihnen steht ein schwarzer Block herum, und prompt lernen sie, mit einem Knochen einen Schädel einzuschlagen. Der Wirbel-Flug dieses Knochens beeindruckte einen Mathematiker so stark, dass er eine Software schrieb, die diese Flugbahn errechnen sollte. Heute ist sie unter dem Namen Mathematica bekannt. Retten wir nun lieber die Bobos oder die Bonobos? (Hal Faber) (jk)