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Was war. Was wird.

Hal Fabers Wochenschau beschäftigt sich mit Watte in Waltenhofen, Fröschen, die zu oft an die Wand geworfen wurden, und Ahnungslosen, die nicht auf der Suche nach dem Glück sind.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Heute möchte ich mit einem Dank an meine treuen wwww-Leser beginnen. Ihre Vorschläge für meine über das Wochenende zusammen programmierte Web-Firma können sich sehen lassen. Besonders hilfreich natürlich die Hinweise nach dem richtig zündenden Domain-Namen, weil wwww.de bekanntlich von den Watteartikeln von Walter Winkler aus Waltenhofen bewirtschaftet wird. www.Hal-du-bloede-Nuss.de ist ein Favorit geworden und spricht von grosser Sympathie für den Autor. In meinem Cybershop sollte bekanntlich Wasser in H20 aufgelöst werden, so sollte auch der Name schon geschäftsmäßig wirken. Leider ist auch www.HAzweiOh.de schon vergeben: Dort verkauft man Badezimmer und wird bei BusinessNet.de gehostet. Dieser Provider erhielt letzte Woche gute Publicity, ist er doch der Freemail-Provider eines Herrn Ernst August Prinz von Hannover, der in der FAZ eine ganzseitige Anzeige buchte, um seine E-Mail-Adresse für den gepflegten Dialog veröffentlichen zu können: wps@businessnet.de lautet sie. WPS? Wer Pinkelt Schöner? Aber nicht doch: Es ist eine so genannte Welfen-Presse-Stelle. Welfen.de, die offizielle Adresse des Hauses Hannover, durfte nicht für die Kommunikation à la FAZ benutzt werden, denn dieser Bereich wird von Heinrich von Hannover betreut, dem Bruder Ernst-Augusts. Besser wäre in jedem Fall ein türkischer Freemail-Provider gewesen.

*** Das Haus Hannover: [ heise online], c't und iX kommen auch aus Hannover – nur die Freunde von Telepolis verteidigen standhaft ihren Standort München, und keiner weiß, warum... Aber lassen wir das mit München und bleiben wir bei Hannover und auch ganz kurz einmal bei den Welfen. Allen, die meinen, die Leinestadt sei eher eine graue Maus unter den deutschen Städten, sei nun gesagt: Nein, wir werden von Tag zu Tag berühmter! Wir haben die Expo, und hier residieren die durchlauchtigst blaublütigen Nachfahren Heinrichs des Löwen! Deren Söhne werden übrigens seit 1629 immer wieder gerne "Ernst-August" genannt, und der Jüngste dieses Namens, Seine königliche Hoheit Ernst August, Prinz von Hannover, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, königlicher Prinz von Großbritannien und Irland, sorgt nun auch im Internet für Furore – allerdings weniger als Ernst, denn als August. Er hat das Ansehen seiner welfischen Sippschaft arg verwässert und füllt so den Albtraum aller Journalisten, das gefürchtete "Sommerloch". Seit die BILD-Zeitung durch einen Enthüllungsjournalismus der pikanteren Art geglänzt hat ("Königliche Hoheit, ist das nun ihre Prinzenrolle oder nicht?"), sorgt die prinzliche Blasenschwäche auch anderweitig für gefüllte Webseiten. Mag sein, dass manche Zeitgenossen der Ansicht sind, als der Prinz noch Frosch war, habe man ihn zu oft gegen die Wand geworfen – jedenfalls duldet das Haus Hannover auf der Seite welfen.de ein Diskussionsforum – ganz anders übrigens als seinerzeit ein ebenso schlagkräftiger "Prinz", nämlich "der von Homburg", der es in einer legendär gewordenen Sportschausendung vorgezogen hatte, rein gar nichts zu äußern. Und, von wegen Affront gegen die Türkei! Hatte nicht Urahn Georg Ludwig von Hannover vor über 250 Jahren einen türkischen Kammerdiener namens Mustafa, den er in Hannover auf den Namen "Ernst-August" (sic!) hat taufen lassen? Erstaunt stellt übrigens die renommierte Hannoversche Ernst-August-Apotheke – sie besitzt die Webadresse ernst-august.de – fest, dass sich zu ihrem Gästebuch immer mehr Fans und Widersacher des "Pinkelprinzen" verirren. Schon hat sich eine Braunschweiger Media-Agentur diesen einschlägigen Domainnamen reservieren lassen. Grund genug für das britische Königshaus, den Prinzen aus der Liste der Gäste und der Thronfolge zu streichen. Aber wir Hannoveraner stehen endlich wieder weltweit in den Zeitungen – wenn auch nur im Sommerloch.

*** Natürlich werden jetzt einige Leser Hal-du-blöde-Nuss fragen, was dieser Vorgang mit Computern und IT zu tun hat. Warum bietet der Prinz von Hannover in der FAZ einen Dialog darüber an, ob er sich "auf den Grund und Boden des türkischen Staates" erleichtert haben soll oder nicht? Warum schafft es die durchaus honorige ZEIT in ihrem verschnarchtesten Abteil namens Leben, ein fünf Jahre altes Cluetrain-Manifest als neuestes Mittel zu feiern, die Welt aus den Angeln zu heben – während ein Cluetrain-Protagonist auf der Website von Synge.com nachrechnet, dass all der finanzielle Aufwand um Elian dazu gereicht hätte, die gesamte Bevölkerung von Kuba zwei Jahre lang zu ernähren? Warum gibt es Online-Demonstrationen mit einer Software, hinter der eine nicht weiter bekannte Jury steht, die über die Rechtmäßigkeit einer Demonstration mit ihrer Software entscheiden will? Und warum gibt es Leute, die auf solch einen Quatsch hereinfallen und von einer "neu entstehenden vielfach segmentierten 'Multi-Öffentlichkeit' des Netz-Zeitalters" faseln, wenn ein einfacher Eintrag in das Logfile eines Servers schon eine Demonstration ist? Darauf gibt es zwei Antworten: a.) die Bobos sind unter uns (www.bobo.de) oder b.) es ist Sommer und die Bobos sind unter uns.

*** Apropos Bobos, apropos Ahnungszug: "Märkte sind Unterhaltungen. Unterhaltungen unter Menschen hören sich menschlich an. Sie werden mit menschlicher Stimme geführt." Da kann sich Habermas wirklich noch ein Stück von abschneiden: Angesichts dieser elementaren Einsichten dürfte er seine ganze Theorie der Kommunikation doch endlich auf den Müll werfen müssen. Cluetrain bringt diese Einsichten für die Clueless – oder rollt da nur der Zug der Ahnungslosen über uns hinweg? Das Bla-bla des geschickt lancierten und inzwischen zu einem guten Geschäft gewordenen Cluetrain-Manifests verstopft selbst die Spalten der guten alten Tante Zeit. Das ist wahrer Boboismus: Den Anti-Boboismus wird zur Grundlange einer Werbe-Kampagne für die nächste Bobo-Company. Der abfahrende Ahnungs-Zug der New Economy überrollt aber wohl wirklich nur die Ahnungslosen: History Repeating.

*** Nun zu den guten Nachrichten: H2O löst sich nicht in Wasser auf. Oracle behauptete zum letzten WWWW, dass man mit seiner Software über das Wochenende einen kompletten WWW-Start wie www.productfact.com schaffen würde. Nach dem letzten Wochenende schaffte es Oracle immerhin zuzugeben, dass eine Detektei im Namen, doch nicht ganz im Auftrag von Oracle Papierkörbe von Organisationen durchschnüffelte, die Microsoft-freundlich sind. Was aber ist mit den Papierkörben von Organisationen wie der Software and Information Industry Association (SIIA) oder der Computer and Communications Industry Association (CCIA), die von Oracle gesponsert werden? Diese Industrie hat offensichtlich einfach ein Problem damit, erwachsen zu werden.

*** Noch eine gute Nachricht, überreicht von der e-nititative.nrw. Nach ihr freuen sich alle Lehrer in Nordrhein-Westfalen, dass der PC "ein fester Bestandteil der Pausenaktivitäten im Lehrerzimmer geworden ist". Das Gros der NRW-Lehrer freut sich besonders darüber, "zu Hause erstellte Arbeitsblätter per Mail in der Schule verfügbar zu haben". Die schweren, den Schulweg belastenden Dateien brauchen Lehrer in NRW also nicht mehr zu schleppen. Nur die Schüler, die die "in der Pause aktualisierten Printouts" bekommen, müssen ihren Rücken anstrengen. Eine Anfrage an die Initiative, warum denn die Schüler keine Mail bekommen dürfen, wurde "aus sicherheitstechnischen Überlegungen" nicht beantwortet. Erinnern wir uns: in NRW, in Remscheid, sitzt das Upgrade-Center der Firma Symantec, die für ihre Norton-Produkte (der Typ mit dem aufgerollten Hemd) eine Werbekampagne gestartet hat: "Damit Ihr PC wasserdicht wird!" lautet der Slogan. Wer pinkelt da auf einen Rechner?

*** Die wirklich gute Nachricht überbrachten dieses Mal aber die Kollegen der Süddeutschen Zeitung. Ihnen sei mein Dank auf ewig sicher: Sie haben mit der Erinnerung an Herrn Rossi mein Wochenende gerettet. Und vielleicht hätten die Mannen von Cluetrain (unter den Verfassern findet sich wie allzu oft üblich keine Frau) auf ihrer Suche nach dem Internet-Glück diesen kleinen Italiener befragen sollen. "Ich stehe morgens auf, wenn Leute mir sagen, dass ich aufstehen muss. Ich esse, wenn Leute mir sagen, dass ich essen muss. Ich denke, wenn Leute mir sagen, dass ich denken soll. Und immer das, was sie wollen, das ich denken soll." Kein Wunder, dass ihm das nicht reicht: Herr Rossi sucht das Glück, zusammen mit Gastone, dem Hund seines Chefs. Fündig wird er eigentlich nicht – aber glücklich, ja glücklich ist er vielleicht trotzdem. Ganz ohne New Economy – und natürlich ganz ohne Bobos. Begeben wir uns also selbst auf die Suche. Und angesichts der Cluetrain-Dödeleien bin ich mehr als zufrieden, wenn ich Herrn Rossi dabei finde.

Was wird

In den nächsten Wochen wird eine Firma namens KinderCampus an den Start gehen und Kindern eine Online-Community bieten. Dafür will die Firma einen zweistelligen Millionenbetrag in die Werbeszene pumpen. Zum Start gab es eine Party, die um 6 Uhr morgens zur After-Hour-Party vom Christopher Street Day umfunktioniert wurde. Das alles ist der stolzen Pressemeldung dieses Startups zu entnehmen. Schwule und Kinderfreunde tanzten also bis zum Abhängen um die Wette, um uns Daheimbleiber mit folgenden Worten zu trösten: "Bis zum Morgengrauen hatten sich auch tatsächlich einige neue Paare kennengelernt, die auf der Terrasse angeblich wild knutschend den romantischen Sunset erlebten. Wer das Rennen um den Werbeetat gewinnt, wird sich in der nächsten Woche entscheiden." Und das ist doch eigentlich das einzig Interessante für uns, darauf dürfen wir alle gespannt sein, nach dieser mit höchster Priorität verschickten Mail. (Hal Faber) / (jk)