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Was war. Was wird.

Ob nun Ingwer oder Pfeffer in der Geschichte ist: Hal Faber hat ein Herz für Ginger, Bauern und ihre Chefin sowie genervte Surfer im Misthaufen.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In der letzten Woche begannen die Vorbereitungen zum größten Show-down in der Geschichte unseres kleinen Cyberspace. Nein, hier ist nicht der Kampf der Akcent Computerpartner gegen die Fachzeitschrift ComputerBild gemeint, die Computer testet und in aller Objektivität in einem "Bild-Shop" einen "Bild-PC" verkauft. So etwas fällt unter die gewöhnliche, (fast) überall geduldete digitale Tiermehlverwertung. Nein, es ist der ewig gleiche Kampf von Recht und Ordnung gegen die wilden Gewalten des wildesten Westen aller Zeiten, der sich nun Deutschland als Terrain ausgesucht hat. Jeder dritte Bauernhof in Deutschland ist online, jeder dritte Bauer vernetzt vom Wetterfrosch bis zum Kuheuter, verkündete drohend der deutsche Bauernverband in Münster. Gemessen am Online-Stand der Gesamtbevölkerung sind die Bauern die Speerspitze der digitalen Revolution. Vor dem Computer, im Chatroom dominiert das bäuerliche Leben, was sich weitab der Futtertechniken entfalten kann. Gegen die Hausmacht der Viehbarone steht eine Frau, vielleicht zitternd, doch sicher unverzagt: Renate Künast, die neueste Landwirtschafts-SheriffIn und gleichzeitig im Verbraucherschutz zupackend, unsere oberste Schutzherrin des E-Commerce.

*** Während die einen zum O.K. Corral schreiten, befinden sich die anderen auf eine gnadenlosen Aufholjagd. Gegenüber den vernetzten Bauern nehmen sich die deutschen Pädagogen rückständig aus. In Nordrhein-Westfalen verkündeten Wolfgang Clement und Ron "The Gun" Sommer, dass das Internet nach den Lehrerzimmern nun auch jedes einzelne Klassenzimmer erobern muss. Es ist eine wilde Aufholjagd im Gange, "weil Asien und Amerika uns um Lichtjahre voraus sind und längst mit Laptop und Cursor arbeiten". Mit Laptop und Cursor, soso. Wer schreibt dem Ministerpräsidenten solch anmutige Sentenzen? Sicher niemand, der auf einem Bauernhof aufgewachsen ist. Sollen wir an dieser Stelle auf den neuesten e-letter.nrw aufmerksam machen, der den Pressemappen zur Konferenz von Wolfgang und Ron beigelegt wurde? Die letzte Seite ziert ein Interview mit einem gewissen Christian Persson, in dem die Forderung nach Laptops für jeden Schüler ausdrücklich als "Quatsch" bewertet wird.

*** Aber verweilen wir noch ein bisschen bei der großen Politik. Bill Clinton nimmt Abschied. Eine Website namens Party411.com möchte die Abschiedssause organisieren und sammelt dieser Tage Farewell-Wünsche, inklusive der Vorschläge für einen speziellen Abschieds-Hamburger mit Schokolade-Zigarren, der landesweit bei McDonalds gereicht werden soll. Alle Wünsche an den Präsidenten kommen in ein gebundenes Buch, das Party411 Clinton überreichen will. Währenddessen gibt es Überlegungen, was mit dem Inhalt von www.whitehouse.gov geschehen soll. Ganz so einfach wie früher wird es sicher nicht ablaufen. In dem Buch "White House E-Mail" schildert Tom Blanton, wie den scheidenden Präsidenten Reagan und Bush (nein, nicht dem Junior...) jeweils eine symbolische Diskette (5 1/4 Zoll') überreicht wurde, die sie in einen Shredder steckten.

*** Was aber ist schon High Noon in der Politik, wenn die High Tech einmal so wirklich zuschlägt? Man weiß es nicht, man weiß es einfach nicht: Vor einigen Jahren berichtete die Zeitschrift Wired über den Erfinder Dean Kamen, der kurz vor dem Durchbruch bei einer Erfindung sei, die das Zeug habe, das Leben der gesamten Menschheit zu verändern. Nach Ansicht von Wired war Kamen auf eine Variante des Stirling-Motors als Brennstoffzelle gekommen, die die gesamte Automobilindustrie revolutionieren werde. In den Folgejahren blieb die Revolution aus, nicht jedoch der Erfolg für Kamen. Er erfand einen Rollstuhl, der unebenes Gelände und Treppen meistern konnte. Nun brodelte in der letzten Woche die Gerüchteküche, weil bekannt wurde, dass ein Schriftsteller vorab 250.000 US-Dollar für ein Buchprojekt kassierte, obwohl die Lektoren der Harvard Business School Press keinen blassen Schimmer davon haben, was der gute Mann beschriftstellern soll. Außer der Person des Erfinders Dean Kamen und solch solider Gewährsmänner wie Steve Jobs und Jeff Bezos, die etliche Millionen in das Projekt Ginger stecken wollen, ist nichts bekannt. Vermutungen nahe stehender Zeugen wie Patentanträge deuten auf eine Art motorisiertes Kickboard, doch was daran "revolutionärer als das WWW" (Bezos) sein soll, bleibt rätselhaft: Man weiß es nicht, man weiß es einfach nicht. Immerhin, aus dem Osten der USA berichtet die Washington Post, dass das Rad neu erfunden wurde, an der Westküste glaubt man hingegen, dass neue Formen des Sex die Menschheit beglücken werden. Eine Erklärung ist, dass der Rummel um Ginger der groß angelegte soziologische Feldversuch ist, wie man eine "urban legend" produziert. Eine andere geht von der Tatsache aus, dass kein Bobo heute Geld von einem Risiko-Kapitalisten bekommt, wenn er eine neue CRM-Suite auf den Markt werfen oder einen neuen Explorer auf die Menschheit loslassen will. Einfallsreichtum ist also gefragt, wenn man mit Dean Kamens Technologie über Treppen kommen möchte.

*** Aber lassen wir uns von Ginger nicht den Schneid abkaufen – Ginger gibt schließlich jeder Geschichte etwas Pfiff, auch wenn sie sich als Großstadtmärchen entpuppt. Da geht es Ginger wie dem Sex. Mit Sex hatte ein anderer Herr nachweislich weniger Probleme, dafür aber offensichtlich, seinen angeblich guten Namen rein zu halten. Nun sind Namen aber Schall und Rauch, behauptet der Volksmund – und irrt auch hier. Der Tennisspieler Becker, der einst ehrfurchtslos die Tenniskugel über Wimbledons heiligen Rasen prügelte, hat das gerade erst erkannt und seinen Namen flugs zur Marke veredelt. Beispiel boris.de: Die Domain hatte der Becker glatt verschlafen. Aber irgendwie muss es dem ehemaligen Domain-Inhaber eingeleuchtet haben, dass der Ex-Profi, Jahrgang 1967, an Boris die älteren Rechte hält. Seither steht fest, was im Internet ein strammer Volley wert ist. Ehrfurcht vor großen Namen befällt aber längst nicht jeden, der derzeit eine Abmahnung vom Becker-Marketing kassiert. Zwei Studenten aus Norddeutschland wollen der Bastion Boris erfolgreich trotzen, notfalls vor'm Kadi. Der Streit um die Domain sport-gate.de hat sich an einer simplen Kopplung entzündet und ist bereits beim Landgericht Berlin aktenkundig. Eine jüngere Domain gleichen Namens, freilich ohne Bindestrich, betreibt Becker mit seinem derzeit bevorzugten Doppelpartner, Ex-RTL-Chef Helmut Thoma, ein Herr, dem man aus seiner Zeit als Fernsehsenderchef bekanntermaßen ebenfalls wenig Probleme mit dem Sex und möglicherweise auch mit dem Auf-Gingern von Geschichten nachsagt. Ältere Rechte hin oder her jedenfalls, wäre doch gelacht, wenn das Gericht gegen das populärere Angebot entscheidet. Wer zu spät kommt, den bestraft bekanntlich das Leben. Bei Frühaufstehern erledigen das unsere Promis.

*** Bekannt ist Becker sicher, ob populär, darüber streiten sich die Zeitgeister. Vor einigen Jahrhunderten aber wurden zwei Herren populär, deren Nachfolger später zu eher unrühmlicher Bekanntheit gelangten: Wer hält schon viel etwa von einem Manne, der das schöne Rom anzündet. Der Popularität der Dioskuren Castor und Pollux jedoch tat dies keinen Abbruch, zumindest nicht unter Römern. Nun reisen die Deutschen zwar seit Jahren gerne gen Italien, manche auch nach Rom, von Castor zumindest halten dagegen recht viele recht wenig. Dies hängt nun weniger mit der deutschen Leitkultur zusammen, die im Gegensatz zur italienischen nur in seltenen Fällen von Leichtigkeit geprägt wird, sondern damit, dass in deutschen Landen ein Castor mit einem eher schwerwiegenden Inhalt verbunden ist. Um die Atommüllbehälter aber bricht nun auch der virtuelle Streit aus: Ein Hersteller solcher Castoren möchte doch gerne die Domain castor.de, die Atomkraftgegner in weiser Voraussicht kommender Auseinandersetzungen für sich reservierten, mit aller Macht für sich beanspruchen. Vielleicht sollte hier unser oberster Leitkulturbeauftragter Julian Nida-Rümelin eingreifen. Da kann er als vergeistigter ehemaliger Kulturbeamter aus München doch nach dem Ausscheiden des aufmüpfigen Michael Naumann gleich einmal zeigen, wo die Kulturharke in Deutschland hängt. Denn, Castor, da haben die Römer sicher ältere Rechte. Das wäre doch einmal ein schönes Stück deutsche Leitkultur: Der oberste bundesdeutsche Kulturbeauftragte, Arm in Arm mit dem ehemals straßenkämpfenden Außenminister, besinnt sich historischer Korrektheit (und vielleicht auch mancher Latein-Vokabel) und übergibt die Domain dem römischen Oberbürgermeister. Was der mit einer .de-Domain anfangen kann? Genauso viel wie eine Firma, die Atommüllbehälter herstellt, wahrscheinlich. Ich weiß ja nicht, ob mein Lieblingskritiker Joe Weizenbaum sich seiner Weitsicht bewusst war, als er das Wort vom Internet als Misthaufen in die Welt setzte.

Was wird.

Die Länderkennung .ms erinnert den denglisch gebildeten Surfer an Message, also hat sich die Firma Inomic dazu entschlossen, diese Top Level Domain aufzukaufen. Zum nahenden Valentinstag am 14. Februar wirbt Inomic mit einem Service, der jeden Liebesschwur in eine Web-Adresse umwandelt. Etwa zu www.lisa.ich.liebe dich.ms. Alsdann darf die Angebetete den Satz mit Punkt und Komma tippen und findet eine "ansprechend gestaltete Homepage". Vielen Surfern ist auch das der Arbeit zu viel: "Hier.bitte.Satz.eingeben.ms" scheint die beliebteste Website zu sein. Sollte der Dienst nicht den richtigen Anklang finden, so bleibt der Firma immer noch der Verkauf der digitalen Mauritius an Microsoft. Bis dahin freuen wir uns über Domains wie kussi.bussi.fuer.suessmausi.baerli.ms zum Valentinstag. Sie haben uns wirklich noch gefehlt in unserem globalen Misthaufen.

In den Geldbörsen der Deutschen fehlen Kundenkarten, die den Kunden an eine Firma fesseln. 20% des Umsatzes macht Karstadt derzeit mit solchen Spezialkarten, was nach der Entlassungswelle dieses Kaufhauses mindestens auf 50% gesteigert werden soll. Der Wegfall des Rabattgesetzes macht aus den Kundenkarten das, was sie schon immer waren: ordinäre Rabatthefte in modischer Größe. So startet denn in der nächsten Woche die Omnicard in Berlin als Veranstaltung, die die stockende digitale Revolution vorantreiben möchte. Unter dem Titel "Revolution zu Beginn des neuen Jahrtausend" eröffnet IBM den Kongress, der die "Karte als Ausdruck der Seele" feiert, genau 70 Jahre nach der Veröffentlichung der Schriften von Sigmund Freud. Nicht die Erde ist flach, die Hirne sind es. (Hal Faber) / (jk)