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Was war. Was wird.

Sex sells? An vielem, was als feststehende Wahrheit ausgegeben wird, hat Hal Faber so seine Zweifel.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Sex sells: Im letzten WWWW tauchte ein Link zu einer Tabelle auf, einer der wenigen ernsthaften Versuche, die Ausmaße des Online-Sex zu bestimmen. Geschichten über diesen Teil der Online-Welt leiden gewöhnlich an akutem Datenmangel: Einer schreibt vom andern ab. Zur Tabelle gab es heftigen Protest, der die Leser des WWWW als Macker qualifizierte, die ohnehin nur an das Eine denken oder nur mit dem Einen denken können, wie es in Alberto Moravias "Ich und Er" beschrieben ist. Das bringt uns natürlich zur Frage, was harte Pornografie ist, online gesprochen. Dr. Aki Ross, die uns als supernatürliche humanoide Beraterin helfen könnte, ist gerade mit dem Filmstart ihres "Final Fantasy – The Spirits Within" beschäftigt. Schade drum: Weil ihre polygonesischen Rundungen den einen oder anderen Hautpickel aufgerechnet bekamen, wird sie in der Presse als "Höhepunkt anatomischer Correctness" gefeiert. Bekennend anatomisch inkorrekt bleibt mir nur übrig, darauf hinzuweisen, das Online-Sex viele unbekannte wie aktuelle Facetten hat, die auch den Leserinnen des Heisetickers Anregendes bieten. Wie aber kann man dem Porno entfliehen, wenn er doch tief in der Chemie eingebettet liegt?

*** Ob es auch in der Chemie begründet ist, dass mich seit Wochen eine idiotische Web-Site mit der burschikosen Ansprache "Hallo, Ihr Typen & Mädchen ..." zuspamt? Immerhin, die Betreiber wollen mich über den Ursprung der Dinge aufklären: "Warum bevorzugen Millionen 2 bestimmten Web Siten?" Nein, nicht wegen 42. Sondern: Sex sells, und Sex verkauft auch Web-Seiten, sagt man(n). So werden gerade die Sex-Seiten ja immer wieder als Argument in der gerade neu aufbrandenden Diskussion angeführt, dass für Inhalte im Internet bezahlt werden soll. Sicher sollte das: Wer anständige Nachrichten lesen, Informationen haben, Artikel lesen will, soll dafür im Internet genauso bezahlen müssen wie bei der Tageszeitung, den unzähligen Wochenmagazinen oder dem Fernsehen. Oder findet jemand das kostenlose Fernsehen wirklich gut? Ja? Echt? Boah, ey, ein RTL-II-Gucker! Statt "In Bed with Madonna" lieber "In Bed with Schreinemakers"? Wohl bekomm's, von mir aus auch mit Jenny Elvers; das Argument aber, Sex sells, gilt halt auch im Internet wie im wirklichen Leben nur sehr eingeschränkt – oder, genauer, für eine sehr eingeschränkte Zielgruppe.

*** Wenn es nun aber nicht tief verwurzelt ist, so kann es vielleicht noch nachträglich eingebaut werden. Als erste Website mit eingebauter Demokratie kommt die Fotocommunity daher, jedenfalls in ihrer Selbstdarstellung. Nur die tief in das Programm eingelassene Demokratie verhindere die Aufnahme von Pornobildern, weil sie innerhalb von Sekunden im demokratischen Prozess herausgewählt sind, heißt es in der PR. Ja, wie denn, wo denn, was denn? Wenn Demokratie so effizient funktioniert, warum ist sie dann nicht anderswo auch eingebaut? Etwa in den Betriebssystemen? Zumindest in Bangladesh hat man sich darum Gedanken gemacht und verbietet Nachrichten auf Mobiltelefonen, weil so etwas geeignet sei, die Demokratie zu untergraben. Hier darf auch die Meldung von den Taliban nicht fehlen, die das Internet zensieren wollen. Freilich weiß niemand, wie viele Computer in dem Land ohne Strom noch funktionieren, in dem die Demokratie mit Unterstützung der USA gründlich ausgebaut wurde. Bleibt nur noch die Frage, wie man Demokratie in eine interaktive Toilette einbauen kann, die im Datenaustausch mit dem Supermarkt dem Wort bescheißen eine neue Bedeutung gibt.

*** Mit der Demokratie ist das aber eh so eine Sache; "Diktaturen sind Einbahnstraßen, in Demokratien herrscht Gegenverkehr", meinte der eingangs schon einmal erwähnte Alberto Moravia. Der 14. Juli jedenfalls ist gerade erst ein paar Stunden her; und er erinnert uns daran, dass vor 212 Jahren der große Versuch begann, der Menschheit etwas mehr Demokratie beizubringen. Das funktionierte bei den Franzosen die meiste Zeit ja auch ganz gut (im Gegensatz zu den Deutschen, die zu dieser Zeit noch immer an den Nachwehen des Dreißigjährigen Krieges laborierten, in einem so genannten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation herumkrebsten und den Franzmann nach und nach als Erbfeind entdeckten), wenn zwischenzeitlich auch in Frankreich immer wieder ein paar Köpfe rollten. Im August jedenfalls gab es dann gleich die Erklärung der Menschenrechte – und auf die beruft sich heute noch unter anderem etwa die Europäische Union mit ihrer Menschenrechtscharta. Die führte aber nun auch dazu, dass die EU-Bürgerrechtler die erweiterten Pläne zum großen Lauschangriff auf Internet und Telefon doch eher skeptisch sehen. Vive la france! Vielleicht sollte man den 14. Juli auch zum Feiertag des Internet erheben – kein schlechtes Datum, fürwahr, ein besseres jedenfalls als angesichts von Echelon, NMD und Bush junior der 4. Juli.

*** Der 14. Juli (17)89 beginnt übrigens an Position 211.658. Und zwar von Pi: "For those that don't remember, PI is the big number that begins with three", ist die recht knappe Erklärung dieser besonderen Zahl auf der Web-Site Am I in Pi. Meine Wenigkeit findet sich übrigens an Position 138.069 (wer jetzt mein Geburtsdatum herausfindet, darf die nächste Kolumne schreiben). Das sollte ja nicht so schwer sein: Immerhin testet das Programm Pi nur mit 1.254.543 Stellen. Für die meisten Script-Kiddies, die im Internet ihr Unwesen treiben, dürfte aber selbst die Erstellung des Programms für Am I in Pi zu hoch sein – immerhin taugen sie aber noch dafür, immer wieder etwa die IRC-Netze lahm zu legen oder als Bedrohungsszenario das Untergründige gewisser Business-Veranstaltungen zu perpetuieren: "By 2002, approximately 19 million people will have the skills to mount a cyber attack." Na prima, zur Defcon erscheint man aber inzwischen besser mit Schlips und Anzug. Vielleicht trifft man ja in einer finsteren Ecke noch ein paar zerlumpte Ausgaben solch anscheinend aus einem Manga entsprungener Lara-Croft-Wiedergängerinnen wie auf der Web-Site. Darauf dürften jedenfalls die zahlreich angereisten Fernseh-Stationen hoffen, die dann doch das gewisse Gruseln erwarten, und für die extra tägliche Pressekonferenzen eingerichtet wurden. Wozu? Keine Ahnung – vielleicht aus dem gleichen Grund, aus dem eine dem Hornberger Schießen vergleichbare Veranstaltung wie der Microsoft-Prozess stattfindet: panem et circenses, denn sonst besteht die Gefahr, Geschehnisse wie am 14. Juli könnte sich wiederholen. Aber Geschichte wiederholt sich ja nicht, höchstens als Farce.

Was wird.

Morgen vor 340 Jahren wurden in Stockholm die ersten Geldscheine gedruckt, um die Angst der Bevölkerung vor einer Abwertung der Münzen zu bekämpfen. Es gab einen Run auf die Geldscheine, denen magische Fähigkeiten zugeschrieben wurden. Doch im ersten Feuertest bewiesen sie, das sie auch nur aus Papier bestanden. Immerhin wurde damals die Grundlage für die wichtigste Tätigkeit der Bobos geschaffen, das Verbrennen von Geld in großem Stil, wie es gerade erst Webvan wieder vorexerzierte. Angesichts eines bescheuerten Startups, das schnell mal 1,2 Milliarden US-Dollar verpulverte, bleibt einem nur übrig, der deutschen Wirtschaft die tiefste ökonomische Krise ihres Bestehens zu diagnostizieren. Selbst bei nachlassender Konjunktur verbrennen die meisten Bobos in den USA mehr Geld als die deutsche Wirtschaft übrig hat, übrig für gewisse Verpflichtungen: Die gebeutelten deutschen Unternehmen müssen lange kratzen, bis sie 10 Milliarden Mark für die ehemaligen NS-Zwangsarbeiter zusammen haben. Aber vielleicht helfen ja die Zinsen des bis zur Auszahlung geparkten Geldes der deutschen Wirtschaft wieder auf die schwächlichen Beine. Wenn dann noch die Belegschaften mitziehen und etwas Geld zur Arbeit mitbringen, kann nichts mehr schief gehen. Mit dem Spruch "It's the economy, stupid" gewann einmal ein US-Präsident die Wahl, der in Wirklichkeit mehr Schauspieler war als jeder US-Präsident vor ihm. Da verwundert es nicht, dass mit dem Verweis auf nicht mehr ganz so rasant steigende Gewinne auch eine Firma ihre Belegschaft zum Lohnverzicht bringen kann. Ob Bill Clinton nicht auch einen Sprachfehler hatte? "It's the economy of the stupid!"

Zu solchen Luftnummern wie die deutsche Wirtschaft im Vorfeld der Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter ist kaum jemand in der Lage, zumindest nicht, will er nicht wie ein völliger Idiot dastehen. Aber halt – so politisch unkorrekt kann nicht einmal diese Wochenschau sein, dass sie in einem diskriminatorischen Ausbruch eine ganze Bevölkerungsgruppe derartig ins Abseits befördert. Nun, zu meiner Verteidigung kann ich nur sagen, dass die Heroen (und Heroinnen) der Luftgitarre wahrscheinlich eine elegantere Figur abgeben als die Lenker dieser unserer Wirtschaft. Wer sich davon überzeugen will, hat am 24. August Gelegenheit. Dann findet nämlich die Luftgitarren-Weltmeisterschaft statt. In Finnland. Nein, nicht in Inari, in Oulu. Inari ginge aber auch. Dort aber spielt man möglicherweise nicht Luftgitarre, sondern Nadeldrucker. (Hal Faber) / (jk)