Webvan-Pleite stellt alle Dot.com-Pleiten in den Schatten
Fast 1,2 Milliarden US-Dollar Investment-Kapital hat der Online-Supermarkt Webvan in den USA nach Schätzungen verpulvert.
Fast 1,2 Milliarden US-Dollar Investment-Kapital hat der Online-Supermarkt Webvan in den USA nach Schätzungen von Analysten verpulvert, und mit einem Schlag standen 2.000 Menschen auf der Straße – von Computerprogrammierern, Fleischverkäufern bis zu Lkw-Fahrern. In dieser Woche musste der 1998 gegründete Online-Lebensmittelhändler seine virtuellen Geschäftsstellen schließen und erreicht damit einen traurigen Rekord. Die spektakuläre Pleite stellt alle bisherigen Dot.com-Pleiten in den Schatten. Webvan wurde von einem Symbol der New Economy zum Symbol des Scheiterns der reinen Online-Wirtschaft.
Die Webvan-Zentrale im kalifornischen Foster City gab die Hiobsbotschaft am Montag bekannt. Das abrupte Ende der Lebensmittel-Anlieferung erschreckte nicht nur die Angestellten, sondern auch etwa 750.000 treue Kunden in Chicago, Seattle und Portland sowie in Los Angeles, San Francisco und San Diego. Vor allem in Seattle war die Nachricht vom Scheitern des Unternehmens eine traurige Sensation. Denn Webvan hatte erst im vergangenen Jahr den örtlichen Konkurrenten Homegrocer geschluckt und war damit zum Marktführer im digitalen Lebensmittel-Einzelhandel geworden. Das Konzept der Firma galt von Anfang an als mutig, wenn nicht sogar waghalsig – und nun behielten die Pessimisten recht.
Webvan wollte in einem Markt mit notorisch kleinen Gewinnspannen ein Riesengeschäft komplett neu aufbauen. Mit eigenen Lagern sollte die Aufbewahrung und Auslieferung von Lebensmitteln besser organisiert werden als bei der Offline-Konkurrenz. Gleichzeitig verzichtete Webvan auf ein Standardprinzip vieler Online-Firmen: Statt auf die Nutzung von bestehenden Lieferdiensten wie Federal Express setzte der Firmengründer Louis Borders auf eine eigene Lasterflotte.
Zu viel, zu schnell, zu groß, so kommentierte jetzt die Tageszeitung New York Times das Scheitern von Webvan. Borders steht als Gigantomane am Pranger, der sich mit seinem Versuch eines Blitzstarts übernommen hat. Während das Unternehmen ständig wuchs und in immer mehr Städten Filialen gründete, wuchs die Zahl der Kunden längst nicht so schnell, wie Borders und seine Geldgeber gehofft hatten. Die enormen Kosten beim Neuaufbau einer kompletten Vertriebskette sorgten schließlich für die Pleite.
Wer nicht scheitern will, muss offenbar ein festes Standbein in traditionellen Ladenketten haben. Der größte Online-Händler Amazon arbeitet deshalb mit der Kinderspielzeug-Ladenkette Toys'R'Us zusammen, und der Computerhersteller Gateway betreibt seine erfolgreiche digitale Filiale neben Dutzenden von Läden in amerikanischen Shopping Malls.
Lachende Dritte bei dieser Pleite sind nun die Lebensmittelhändler, die mit etablierten Vertriebswegen antreten und ihr Online-Angebot auf ein solides Offline-Angebot aufbauen. Der digitale Supermarkt Peapod nutzt die Lager von Lebensmittel-Ketten wie Stop & Shop und Giant. Sie gehören zum Imperium des holländischen Ahold-Konzerns, dem auch 58 Prozent von Peapod gehören. Dieser Online-Händler lieferte sich mit Webvan in Chicago einen erbitterten Konkurrenzkampf und umwirbt nun gezielt die ehemaligen Kunden des Pleiteunternehmens. (Tilman Streif, dpa) / (jk)