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Was war. Was wird.

Diese Woche beginnt Hal Faber mit einer Referenz –- ansonsten bleibt seine Kolumne stumm.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was ist

*** "Leicht zur Seite geneigt donnerte die Maschine gegen das Spielgebäude. Sie hatte einen Gutteil des oberen Drittels erwischt. Die Tanks waren noch zu einem Viertel voll, und ihre Geschwindigkeit betrug noch immer etwas über 500 Meilen pro Stunde. Die Explosion war überwältigend. Die Nacht leuchtete auf wie das zornige Gesicht Gottes, und noch zwanzig Häuserblocks weiter regnete es Feuer vom Himmel." So endet der vor 20 Jahren erschienene Roman "Menschenjagd" von Richard Bachmann alias Stephen King. Vielleicht lieferte er eine Gebrauchsanweisung für das, was am 11.9. vor einem Jahr geschah, vielleicht auch nicht. Aber die Bilder sind wieder da. Mit Getöse sind die Türme des World Trade Center eingestürzt. Doch was ist es gegen das Getöse, das diesmal von den Medien erzeugt wird? Selbst der Wahlkampf um die Quietscheente ist da Nebensache -- zumindest bis heute Abend. Wo andere tönen, soll heute Stille sein. Aus gegebenem Anlass ist diese Kolumne stumm, so wie es der vor einem Jahr an diesem Ort zitierte W.H. Auden empfahl:

Stoppt alle Uhren! Kappt das Telefon! Bringt, was Hund ist, zum Schweigen. Kein Ton.

*** Kappen wir das Internet. Was es zur militärischen Anwendung der zivilen Luftfahrt bringt, ist überwiegend Müll. Verblödende Verschwörungstheorien oder Werber, die von einer "neuen Nachdenklichkeit der Warenpräsentation" faseln. Webseiten, die strunzdumm behaupten, das Internet habe kein Gedächtnis, um sich selbst als solches aufzuspielen. Hunderte von Seiten, die mit Betroffenheit glänzen und Rache schwören, den Kult von Nine Eleven treiben und den Terror als Lifestyle-Trend behandeln. Ein Trial Lawyers Care, der von Saudi-Arabien über eine Trillion Dollar, von Südafrika eine (amerikanische) Billion an Schadensersatz fordern. Dutzende von IT-Dienstleistern, die in ihren Werbemails unter Verweis auf das ach so tragische Geschehen ihre unzerstörbaren SAN-Systeme, Backup-Konzepte und krisensichere Datenstollen preisen.

*** Diversophie könnte man es wissenschaftlich verbrämt nennen. Aber halt, da gibt es jetzt das aus den USA kommende Diversophy, das als Spiel zum Verständnis fremder Kulturen angepriesen wird, aber mit dem ach so fremden Islam und unserer Furcht vor dem Fremden hausieren geht. Wohlan, wer dort die höchste Spielstufe "interkulturelle Kompetenz" erworben hat, der darf weiterziehen. Schade nur, dass die Rede vom lebenslangen Lernen mit dem Zusammenbruch der Twin Towers schwer beschädigt wurde. Von wem haben die Fremden gelernt und welche Lehre ziehen wir daraus? In Amerika wurde Homeland Defense eingerichtet, die Verteidigung des Heimatlandes durch jedermann gegen jedermann mit Hilfe der Operation TIPS, dem Terrorist Information and Prevention System. Das System kennt die Gefahrenstufen eins bis fünf. Sie sind farblich kodiert, weil Zahlen schwieriger zu lernen sind.

*** Nun speichert das Netz zwar Müll, ist aber trotzdem nicht durchweg ein Misthaufen, wie manche meinen. Wer will, kann die vernichtende Verurteilung der Irak-Pläne durch Ex-Präsident Carter in der Washington Post lesen oder aber die Datenbank der Chickenhawks konsultieren. Dass dieses Netz infolge des Terrors Kollateralschäden erlitten habe, kann man bei den Reportern ohne Grenzen nachlesen, ebenso die zahlreichen Umfragen und Machbarkeitsstudien, nach denen terroristische Inhalte aus dem Netz genommen oder einfach weggesperrt werden können.

*** Ja, es hat sich viel geändert nach dem 11. September, doch erstaunlich wenig ist anders geworden. Zwei Tage zuvor lief ein Werbespot von Telegate ("Da werden Sie geholfen") im Fernsehen, in dem ein Flugzeug durch ein Hochhaus namens 11880 rast. Gefilmt wurde in Madrid, doch konzipiert war der Spot in Hamburg. Jetzt ist er ein Party-Hit. Den Toten und Traumatisierten sowie den letzten Nachdenklichen seien die Zeilen gewidmet, die der amerikanische Mönch und Dichter Thomas Merton im Jahre 1945 schrieb, inspiriert von der Offenbarung des Johannes:

How are they down, how have they fallen down

Those great strong towers of ice and steel,

And melted by what terror and what miracle?

What fires and lights tore down,

With the white anger of their sudden accusation,

Those towers of silver and of steel?

Was war

*** Vor 25 Jahren überfielen 5 Mitglieder der RAF einen Autokorso, erschossen vier Menschen und entführten den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Das war am 5. September. "wir wussten, dass wir den angriff zu diesem zeitpunkt aus einer relativen politischen schwäche heraus machen würden, aber wir wollten ihn, weil krieg nicht einfach als zustand zwischen uns und ihnen existiert, sondern nur, wenn er materiell entwickelt wird als machtfrage". Die Begründung der RAF für diese Aktion liest sich heute seltsam. Mit dem Überfall, dem späteren Mord an Schleyer, den drei Toten im Hochsicherheitstrakt von Stammheim und der Entführung wie Befreiung eines Flugzeuges verbindet sich heute der Begriff vom "Deutschen Herbst". In den Tagen danach bescherte das Computersystem PIOS (Personen, Institutionen, Objekte und Sachen) der Polizei die herbste Niederlage, weil die Benutzer nicht nach dem Muster der damals propagierten Rasterfahndung funktionierten. So gab es frühzeitig Hinweise auf die richtige Wohnung, in der Hans Martin Schleyer versteckt wurde, doch wurden die entsprechenden Daten von einem verschickten Sammelfernschreiben nicht in die Datenbank von PIOS eingepflegt. Es dauerte 20 Jahre, bis die Panne erkannt und das Vertrauen in den Kollegen Computer wiederhergestellt wurde. BKA-Prässident Horst Herold, der geistige Vater von PIOS wurde im Jahre 1981 abgelöst. Wie manche meinen, weil er dem Computerwahn verfallen war.

Was wird

*** Unplugged ist passend das Motto der Ars Electronica zu Linz, die seit gestern damit beschäftigt ist, das Netz neu zu knoten: "Unplugged, das ist der gerissene Faden, der Bruch in bislang kontinuierlich nach oben gedachten Entwicklungslinien, der Abgrund entlang der Pfade der Fortschrittskarawanen." Nun widmet sich die Avant-Garde "dem eigenen Unvermögen, sich mit dem Anderen über die Ausübung und Wahrnehmung der eigenen Einflusssphäre zu vernetzen". Doch was ist das eigene Unvermögen anderes als nicht zu erkennen, dass es unplugged nicht gibt. "Der Terrorismus ist nur die verzerrte negative Form der wechselseitigen Abhängigkeit, die wir in der positiven und nützlichen Form nicht anzuerkennen bereit sind", schrieb Benjamin Barber zum 11. September an seinen Präsidenten George W. Bush

*** Auch aus der Sicht eines Datenpäckchens gibt es so etwas wie Unplugged nicht. Bei uns gibt es die Bemühungen von Beamten, das Eindringen falscher Päckchen auf das deutsche Hoheitsgebiet zu verhindern. Selbst wenn das Europa-Parlament bei den so genannten Web-Blockaden besorgt ist, dass auch erlaubte Inhalte von den von oben herab verfügten Sperren betroffen sind, will man weiter machen. So warten wir gespannt auf die Filterpiloten, die gegen die Türme der Informationen und die Berge des Mülls fliegen sollen, aus denen das Netz besteht. Wenn am Ende Gesetze ignoriert, Bürgerrechte verletzt und das jugendliche Grundvertrauen in eine vernünftige Politik gründlich geschrammt worden sind, kann man es immer noch mit Gerald F. Ford halten, dem US-Präsidenten, der heute vor 28 Jahren Richard Nixon, seinem Vorgänger im Amt, ein Generalpardon gewährte.

"I do believe that the buck stops here and that I cannot rely upon public opinion polls to tell me what is right. I do believe that right makes might, and that if I am wrong ten angels swearing that I was right would make no difference. I do believe with all my heart and mind and spirit that I, not as President, but as a humble servant of God, will receive justice without mercy if I fail to show mercy." (Hal Faber) / (em)