4W

Was war. Was wird.

Trolle, Unix-Besitzer und Marketing-Giganten machen uns das Leben schwer. Und mit dem sozialdemokratischen Popbeauftragten wird uns unser Dasein dann endgültig zum Albtraum, beschwert sich Hal Faber.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 107 Kommentare lesen
Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nun ist es heraus. Unix ist nicht nur ein gerne gelesenes Multiuser- und Multitasking-System, sondern glänzt obendrein mit Multiowner-Eigenschaften. Im Stammland der Mormonen streiten sich Novell und SCO um das Erbe der großen Unix-Tradition, und täglich ist zu befürchten, dass neue Streiter hinzukommen. Da wäre die Canopy Group, bei der all die Firmen-Konstrukte im Stil von Willows Software entstanden und der Noorda Family Trust, der an dieser Canopy Group mehrheitlich beteiligt ist. Nachgerade prophetisch wird man wohl den ursprünglichen Firmennamen Caldera bezeichnen, der von einem erloschenen Vulkan lizenziert wurde. Die größte Seifenoper der IT-Branche nach dem Streit zwischen IBM und Microsoft über OS/2 ist noch lange nicht zu Ende. Am 13. Juni soll es nach dem Willen von SCO zum Showdown kommen, aber nur wenn man vorher nicht wie dringend gewünscht aufgekauft wird. Selten war die Computerbranche näher am Show-Business: Vorgestern gab es eine Telefonkonferenz von SCO, die hoffnungslos überlastet war, während parallel bei Sun Microsystems niemand zuhören wollte. Man feierte eine IDC-Umfrage, nach der Sun der größte Unix-Distributor der Welt geworden sein soll.

*** Heute ist der Geburtstag des Mannes, der auf seine Weise für die Aktionen von SCO verantwortlich ist: Brigham Young gründete Salt Lake City und den Bundesstaat Utah, wobei er nichts unversucht ließ, die Mormonen vor den Ungläubigen zu schützen. Wer die Aktionen von SCO verstehen möchte, sollte vielleicht einen Blick auf die Zehntengelder werfen, die von Mormonen bezahlt werden und in verblichenen Firmen wie der WordPerfect Corporation einbehalten wurden. Einen Zehnten von jedem Linux, weil Linus sündigte, das ist dann nur gerecht. Wobei, wenn man sich auf die Sache mit der Ursünde einlässt, müsste eigentlich Andrew Tannenbaum mit seinem Minix vors Jüngste Gericht, weil der Finne des Bösen nicht an Minix andocken durfte. 10 Gerechte wurden nicht gefunden, was sich als ausgesprochenes Pech für Sodom erwies. Zählt man die Sippe um Noah, so waren es nur acht. Acht Gerechte, je zur Hälfte aus dem Lager der unbestechlichen Analysten und der redlichen, ehrlichen Journalisten sollen einen Blick auf jeweils 10 bis 13 Zeilen Sourcecode werfen dürfen, aus denen unmittelbar einsichtig wird, wie der große Klau aus SVR4.2 funktionierte. Ja, warum schwimmen unter Linux immer die dicken Rechtsanwaltfische?

*** Wurde hier die Bibel missbraucht, der Glauben der Leser missachtet? Entschuldigung. Feiern wir doch mit dem 1. Juni den Welttag der sozialen Kommunikationsmittel, gleich nach dem Nichtrauchertag. Denn die Medien sind keineswegs ein gebirgiges Hochland südwestl. des Kaspischen Meeres.

*** Welttag hin, Hochland her: Auch in der norddeutschen Tiefebene feiern wir wie hoffentlich in anderen Gegenden auch einiges, so etwa erinnern wir uns am Montag an Max Aubs hundertsten Geburtstag -- passend zur Wiederentdeckung der jüngeren spanischen Geschichte, die zwar auch schon 28 Jahre unter den Teppich gekehrt wird, aber den Spaniern doch schneller ins Bewusstsein drängt als vor 50 Jahren den ebenfalls zur Verdrängung neigenden Deutschen. Die Leichen der Republikaner, die Francos Garden während und vor allem am Ende des Spanischen Bürgerkriegs niedermetzelten, werden ausgegraben und kommen nun doch noch zu ihren Ehren -- möglicherweise ja auch die oft vergessenen und von den Stalinisten während des Bürgerkriegs fast intensiver als die Franco-Truppen bekämpften spanischen Anarchisten. Parallel dazu allerdings wird eine Rehabilitation der Falange versucht, die José Antonio Primo de Rivera, Sohn des ehemaligen spanischen Diktators Primo de Rivera und Gründer der Falange, zum Vorbild nimmt, aber auch vor dem Feiern Francos, der de Rivera viel zu intellektuell fand, nicht zurückschreckt. So gilt auch hier, dass Verdrängung nur in Energie resultiert, die irgendwann wieder freigesetzt wird. Wie's ausgeht, wird sich zeigen -- immerhin tritt erneut ins Bewusstsein, dass José Maria Aznar aus einer Familie stammt, die zum francistischen Establishment gehörte. Und damit zeigt sich auch: Wenn sich der gegenwärtige spanische Ministerpräsident so manches Mal entsprechende Herrenreiterallüren leistet, beweist dies nur, dass sich selbst in Spanien die Geschichte höchstens als Farce wiederholt. Möge diese Farce so anregend sein wie das vermeintliche Leben Jusep Torres Campalans' -- auf dass wir uns nicht im Magischen Labyrinth verirren.

*** Entkommen aus den Labyrinthen stellen wir fest: Mit Seifenopern ist es wie mit der Seife und der Oper. Der eine liebt sie, der andere hasst sie inständig. So muss es niemanden wundern, dass in den heisigen Nachrichtenforen zum Thema SCO mit Argumenten nicht gerade zimperlich umgegangen wird. Manchmal bleiben nur Args über, wenn die mens sana stiften gehen, wenn Diskutanten jenseits der 85.000 Scoville ätzen. Dies wird dann häufig von dem Vorwurf begleitet, dass der eine oder andere Tro^H^H^eilnehmer im Auftrag einer Firma arbeitet. Es ist bekannt, dass es in Deutschland PR-Firmen gibt, die entgegen der eigenen Ethik das Beobachten und die aktive Forenteilnahme für Klienten als Teil einer "ganzheitlichen PR" dem Auftraggeber in Rechnung stellen. Dass PR-Mitarbeiter in Newsticker-Foren jedoch unbeschränkt holzen dürfen, gehört zu den städtischen Legenden.

*** Holzen können andere. Nehmen wir nur Michael Robertson, dessen Firma Lindows durch einen speziellen Caldera-Segen von allen Höllen befreit ist. Mit einer Flugblattaktion versuchte Robertson, eine Rede von Bill Gates zu stören. Das kam nicht gut an, bei einem Mann, der ein Verschenkungsprogramm verkündete, bei dem pro Jahr Software im Werte von 1 Milliarde Dollar an gemeinnützige Organisationen verteilt wird. Und damit nicht das neue Lizenzmodell meinte, das in einigen Ländern von Hunderttausenden euphorisch begrüßt wird. Während Gates und seine Firma ganz ohne München das Verschenken praktizieren, dürfen wir rätseln, ob der reichste Mann der Welt das Computon als neue Leitwährung der Branche akzeptiert.

*** Deutschland wird von einer 140 Jahre alten Partei regiert, die sich in der Person von Peter Gabriel einen guten Frontman in Sachen Popkultur ausgesucht hat, der mit eigenem Angebot Real World Music spielt. Ein falscher Traum: Deutschland wird von der SPD mitregiert, die den ehemaligen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel zum Beauftragten für Popkultur ernannt hat, um "die Lebenswirklichkeit der jungen Generation stärker zu berücksichtigen". Ähnlich wie Claudia Roth mit den Scherben, so erwarb sich Gabriel seine Popkompetenz mit Udo Lindenberg. Ja, so sieht sie aus, die Lebenswirklichkeit der jungen Generation! Nehmen wir nur jenen anderen SPD-Politiker namens Jürgen Büssow, der in dieser Woche ein feines Verständnis von Lebenswirklichkeit demonstrierte und einen Gerichtsvollzieher schickte, Gelder für eine missratene Powerpoint-Präsentation einzutreiben. "Fassade! Schlag sie ein und sie wird besser sein!" Das war nun nicht der Volksmusiktreibende Lindenberg oder die Scherben, sondern eine typische NRW-Kapelle. WWWW-Leser kennen sie bereits, darum aus aktuellem Anlass ein anderes Lied.

*** "Das ist die Kraft, die im Netzwerk steckt. Jetzt." Man könnte es für den Slogan einer protestierenden Bewegung halten, aber hier, am Wasserloch aller Technik-Liebhaber, ist klar, dass es sich um die neue Werbung von Cisco handelt. Eben der Firma, die mit ihrer Technik stolz das Jubiläumskraxeln am Mount Everest sponsert. Ob auch der Nanga Parbat bejubelt wird, wenn am 3. Juli das Jubiläum mit Hermann Buhl ansteht? Am Slogan klebt ein Jetzt. So ein Jetzt soll auf das "jederzeit mögliche Steigerungspotenzial von Produktivität, Flexibilität, Mobilität und Sicherheit im Unternehmen" aufmerksam machen. Jetzt könnte auch heißen, dass man sich gleich mal die Router vorknöpft -- oder ein Betriebssystem von gestern benutzt.

*** Heute gehen bei GBLT, ähem GLBT, also GLBTQ die Symbole online, die von einem anderen Stolz künden. Ein ähnlicher Stolz soll eine Aktion von europäischen Intellektuellen erheben, die an diesem Wochenende "unsere Erneuerung" mit Artikeln in verschiedenen Zeitungen vorantreiben wollen. Im Internet ist es mit der Erneuerung nicht weit her. Die FAZ veröffentlicht nur Auszüge, die Republica stellt den Text nicht Online, El Pais will eine Jahresgebühr und La Stampa lässt nur Abonnenten zu. Rühmliche Ausnahmen sind NZZ und SZ, doch das Fazit ist zum Abtauchen.

Was wird.

Erwähnenswert ist die Initiative von Habermas und Derrida vor allem deshalb, weil eine Vielfalt aufscheint, die in anderen Bereichen längst zur Einfalt heruntergewirtschaftet wurde. Solch ein Prozess erfasst am Montag die USA, wenn die FCC eine Vorlage verabschieden wird, die die bisher wirksame Minderheiten-Klausel der Medien außer Gefecht setzt. Am Ende, glaubt Lawrence Lessig, bleiben nur drei oder vier Konzerne über, die das Denken regulieren.

In der kommenden Woche endet in Berlin mit einem internationalen Statusbericht das bisher weltgrößte Leitprojekt zur Mensch-Technik-Interaktion, ganz neckisch EMBASSI, Elektronische Multimediale Bedien- und Service Assistenz, genannt. Das interdisziplinäre Projekt sollte die Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Einzelne mit einem multimodalen Assistenzkonzept alles steuern kann, vom Auto über den Kaffeekocher bis hin zum Computer. Willkommen auf dem Buzzword-Friedhof.

Mit SCO begann die Wochenschau, mit dem Hinweis auf ein SCO-Panele endet sie. Auf der Usenix-Konferenz soll die erste sachdienliche Debatte um die Klage von SCO stattfinden, weil sich hier die Experten treffen, die von der Gegenseite benannt worden sind. Das Ganze ist schmerzlich für den Usenix-Keynoter Neal Stephenson, auf Promotionstour für seinen historischen Roman Quicksilver. Manchmal ist es spannender, in der Gegenwart, jetzt, zu leben. (Hal Faber) / (jk)