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Was war. Was wird.

Handwerkliche Fehler? Ach, was es bei GesetzesschnellschĂĽssen in Wahlkampfzeiten so alles geben kann, wundert sich Hal Faber. FĂĽr Verwunderung hat dieser Tage aber so einiges gesorgt, wenn auch nicht Herta MĂĽller.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Jeder bereitet sich, so gut es eben geht, auf die BRDSG vor, die Bundesrepublik Schwarz-Gelb. Die einen üben das Ballen von Fäusten, die anderen gleich das Fisten, wohl in Angedenk der Zeiten von Kandesbunzler Kohl. Ehe Bunzlerin Merkel und Außenkandis Westerwelle sich ans Regieren machen können, nimmt das Üben seltsame Ausmaße an, nicht nur für Herrn Westerwelle. Selbst erfahrene Kämpen müssen etwas üben, wie man am derzeigen Innenminister Schäuble sehen kann, der handwerkliche Fehler bei der Kinderpornosperre sieht, aber offenbar keine gedanklichen. Derweil übt die Erfinderin des Budenzaubers für das Gesundheitsministerium den Umgang mit der elektronischen Gesundheitskarte, die gerade eingeführt wird – nur nicht in die Lesegeräte.

*** Ich habe auch brav geübt. Ich habe diese Woche auf alle Geschichten zu Windows 7 verzichtet und bin wieder einmal LKW gefahren, einen Gigaliner. Das gute Stück wird auch Riesen-LKW oder besonders schick Roadtrein genannt. Im Vergleich zu den Kühlzügen mit baumelnden Fleichstücken, die einstmals mein Studium finanzierten, war das eine erstaunlich leichte Sache. Die LKW von heute, zumal die Gigaliner, sind intelligent geworden, sie schalten selber und warnen, wenn man nicht Spur hält oder der Abstand nicht stimmt. Die Navigation kennt den Weg und quasselt Straßennamen vor, gibt gar Ratschläge, wenn ein Kreisverkehr kommt. Gefährlich sind eigentlich nur Überholmanöver auf Landstraßen von PKW, die sich verschätzt haben. Da muss man schon mal in die Eisen, doch selbst das wird überwacht und abgemildert, genau wie das Rangieren. Intelligenter als ein Netbook, etwas dööfer als ein Macbook sind diese Gespanne, müsste man wohl als Autotester schreiben.

*** Die Lobby der Spediteure, die meinen kleinen Ausflug möglich machte und finanzierte, Disclaimer muss auch bei großen Gadgets sein, darf sich jedenfalls schon über Schwarz-Gelb freuen: Die Gigaliner sollen zugelassen, die LKW-Maut nicht erhöht werden und Greyhoundbusse sollen über Autobahnen jagen. Bei der PKW-Maut wird noch geübt, wie man dieses spezielle Walversprechen erklären kann. Die klebrigen Hände des Finanzministers sind schon mal ein guter Ansatz. Noch jemand da in der Politik mit schmutzigen Fingern?

*** Seit dieser Woche gibt es Wahlvorsprechen. Barack Obama bekam den Friedensnobelpreis in Vorgriff auf eine gute und gerechte Regierung. Die Welt wartet darauf, dass er den Kennedy macht. Gegen Obama war Steve Ballmer chancenlos, obwohl er gerade weit mehr als Barack Obama verspricht. Da gibt es die Versprechen, mit Windows 7 für Frieden im Systemkrieg zu sorgen, 25000 Arbeitsplätze zu schaffen und 75000 neue Firmen und an jedem Rechner 61-110 Euro Geld zu sparen. Das hat alles nichts genutzt. Erst wenn der Microsoft-Chef mit einer einzigen Windows-7-Kopie die Speisung der 5000 schafft, dürfte es Ballmer auf die Stockholmer Shortlist schaffen.

*** Andere hatten es dagegen auch nicht wirklich einfach, sich einen oft geschmähten und doch immer wieder mit Spannung erwarteten und gefeierten Preis zu verdienen, dafür aber erweisen sie sich seiner tatsächlich würdig; oder, viel mehr noch, sind es Menschen wie Herta Müller, denen sich ein Preis erst würdig erweisen muss durch seine eigene Geschichte. "Selbst Pflanzen waren nicht mehr für sich da. [...] Sie waren aus der Reihe der Pflanzen übergelaufen zum Staat. [...] Die Mächtigen hatten zwar Pflanzen missbraucht, aber nur, weil diese Eigenschaften hatten, die sich missbrauchen ließen. Herrschende haben dafür einen Sinn. Was sie für sich nahmen, konnte für mich nicht mehr in Frage kommen. Und was sie bekämpften, wurde mir lieb. [...] Ich konnte immer nur auf das zurückgreifen, was die Herrschenden sich noch nicht genommen hatten." Was Herta Müller zur Verleihung des Kleist-Preises 1994 unter der Überschrift "Von der gebrechlichen Zurichtung der Welt" formuliert, ist nicht nur eine Haltung zur Diktatur, von der ich nicht weiß, ob ich in der Lage gewesen wäre, sie einzunehmen. Es gibt auch einen ersten, marginalen Eindruck, welch deutliche und doch poetische Sprache Herta Müller gegen die Diktatur gefunden hat: "Herta Müllers Sprache ist das Mikroskop, das die Wahrheiten politischer Diktaturen sichtbar macht für jeden, der lesen kann." Ein Hoch auf die Stockholmer Akademie für die diesjährige Verleihung des Literaturnobelpreises.

*** Zurück in die banale Realität der IT-Branche. Zusammen mit etwa 520 anderen Journalisten durfte ich mich über Einladung zum Start des Beta-Testes von De-Mail in Friedrichshafen freuen: Sämtliche Adressen standen im An/To:-Feld der Mail, was offenbar ein zusätzlicher Test für die Unsicherheit herkömmlicher E-Mail sein sollte. Dabei ist das grundlegende Konzept von De-Mail selbst nichts anderes als eine Vortäuschung von Sicherheit, die auf einer gemeinsamen Vereinbarung beruht, es einfach sicher zu nennen. Weil alles unter der Annahme läuft, dass beide Seiten ein Interesse daran haben, sich an die Spielregeln zu halten, ist es eben noch lange nicht sicher. Das letzte ACK in dieser Sache ist noch nicht gesprochen. Warten wir die Bürgerportale ab, die zusammen mit De-Mail errichtet werden sollen. Die Annahme, dass hier völlig neue Spamschleudern gebaut werden, ist noch nicht widerlegt.

*** Mit leichter Verspätung zum 150. Geburtstag wurde in dieser Woche Alexander Popow von der ITU in der Schweiz als Pionier des Rundfunks geehrt. Sein Pech, dass andere wie Marconi cleverer waren mit dem Patentieren. Mit Popow feierte die Sowjetunion den Tag des Radios. Was mich natürlich zu Mercedes Sosa bringt, die während der Militärdiktatur in Argentienien vor allem via Radio bei ihrem Volke blieb. Gracias a la Vida, Negrita.

Was wird.

Sie lassen einen nicht, heißt es in der letzten, wunderbaren Geschichte aus dem Hundertsechzig-Morgen-Wald. Da zog Christopher Robin weg, aufs Internet. Winnie der Pu, der Philosobär mit den Honigtöpfen und dem scharfen Verstand, blieb zurück, da an jenem verzauberten Ort ganz in der Mitte des Waldes und überlegte, wie das wohl ist, wenn man mit Faktoren kämpfen muss. Nun geht es weiter, weil es ja nicht immer der gleiche alte Content sein darf, mit einem neuen Buch, in dem der Beat fett ist und Christopher Robin auf einem Segway zurück kommt und eigens für Tieger in der Wikipedia nachschaut, was es mit Afrika auf sich hat. O.K., Korrektur: Diese moderne Variante wird noch geschrieben werden müssen, irgendwann in einer Kampfpause, wenn die elenden Faktoren besiegt sind.

Sprecher: "1945 brach der Frieden aus. Das war das Ende des Witzes. Der Einsatz von Witzen zur Kriegsführung wurde in einem besonderen Abschnitt der Genfer Konvention verboten, und die letzte verbliebene Kopie des Witzes wurde 1950 hier, auf einem Landfriedhof in Berkshire, zur ewigen Ruhe gebettet, um nie wieder erzählt zu werden." Die Kamera schwenkt zu einem Grabstein mit der Inschrift "Dem unbekannten Witz". Tja, so endete vor 40 Jahren der Start des Fliegenden Zirkus von Monty Python. Bitte, sucht euch hier den passenden Link unter den widerlichen Content-Klauern aus, noch ist robots.txt kostenlos. Wer sich jetzt fragt, warum das Datum aus der letzten Woche unter dem Rubrum Was Wird abgehandelt wird, kennt den tödlichsten Witz der Welt nicht. Der Killer-Joke wird nur von der Killer-Applikation übertroffen, deren Geburtstag in der kommenden Woche zu feiern ist.

Eigentlich ist es auch ein Witz, dass schon wieder die Big Brother Awards verliehen werden müssen, dazu noch in einer Hechelei und in – bitte keine Witze mehr – Bielefeld, zeitgleich zur Organhandelskonferenz in dieser Stadt. Denn was ist bitteschön, heute noch die Privatsphäre, eines der wichtigsten menschlichen Organe, das Recht darauf, Allein zu sein, noch wert? Was bewirkt ein Appell an Schwarz-Gelb? Wie wäre es mit einem ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent für alle Firmen, die strikten Datenschutz betreiben, wenn die Mehrwertsteuer auf 25 Prozent klettert? Ach, Mensch, darüber sollten wir einmal twittern. Manchmal ist dieses Land wirklich nicht mehr zu ertragen – ganz anders als der Jazz, nicht wahr, Herr Garbarek? (jk)