Was war. Was wird.
"Und doch ist das die Eigenschaft des Geistes, dass er den Geist ewig anregt", meint, nein, nicht Hal Faber, sondern unser aller Goethe. Es gibt also noch Hoffnung, guter Herr -- trotz Viren, Stromausfällen, SCO und der Musikindustrie?
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Langsam, ganz langsam schleicht sich der Sommer seinem Ende zu. Der Künast-Weizen ist abgeräumt. Stressbedingt entlauben sich die Bäume, vereinzelt explodiert ein schwitzendes Handy, doch die heiße Zeit ist vorbei. Nicht so das Sommertheater um SCO, der absolute Renner in dieser Spielzeit. SCO und kein Ende, nein, SCO satt, ja, soviel SCO, dass auch mal andere als Shakespeare kommentieren sollen. Das jedenfalls forderten Leser dieser Fetzel letztens. Bitte sehr: "Es ist über SCO schon so viel gesagt, dass es scheinen möchte, als wäre nichts mehr zu sagen übrig, und doch ist das die Eigenschaft des Geistes, dass er den Geist ewig anregt," schrieb unser aller Goethe -- mangels SCO natürlich über Shakespeare. Ewig angeregt sind also unsere Geister, wenn sie sich SCO-Programmierer bei der Arbeit vorstellen, oder wenn sie an die verängstigten Linux-Anwender männlicher Art denken (weibliche Schock-Absorber hier). Und ist es nicht die Eigenschaft des Geistes, sich alle Höllenqualen für die Peiniger auszudenken, die wahlweise als SCO, IBM, Red Hat, als fanatische Pinguine oder gekaufte Journalisten vorgestellt werden? Code wird gemacht, es geht voran: Von 800.000 inkriminierten Codezeilen sind erst ein paar Dutzend veröffentlicht. Das Sommertheater wird uns den Herbst ertragen helfen, im Winter die Herzen erwärmen und hopplahopp ins neue Jahr rutschen.
*** In der letzten Wochenschau standen harte Worte über den Waschbrettkopf mancher Menschen, die Strom und Wurm nicht reimen können. Mittlerweile stellen auch Andere Überlegungen in diese Richtung an, zumal verspätet Geschichten auftauchen, die zeigen, dass schon der alte Slammer ein Kraftwerk empfindlich störte. Wer hinter die Kulissen des amerikanischen Stromgeschäftes schaut, findet Piraten am Werk, die Begriffe wie Instandhaltung und Sicherheit als erstes über Bord werfen, wenn sie eine neue Stromfirma kapern. Inzwischen bricht ein weiterer Schädling Geschwindigkeitsrekorde, hat aber den Vorteil, dass Strom-Relais keine Datei-Attachments öffnen. Allerdings mit grässlichen Folgen für manchen Heisetickerleser, die für die Portion Realität teuer bezahlen mussten. Aus beiden Vorfällen hat übrigens die Hessen-CDU brutalstmöglich etwas gelernt und fordert seit Freitag empfindliche Strafen für die Verbreitung von Computerviren. Der CDU-Landtagsabgeordnete und Computerexperte Axel Wintermeyer möchte potenzielle Täter wie Virenautor oder auch die Öffner von Dateianhängen abschrecken, so etwas in Deutschland ja nicht wieder zu versuchen. Ruhe also ist im Vaterland, wo der Strom ruhig fließt und die Hessen-CDU den nächsten Italien-Urlauber stellen will.
*** Doch halt. Dieses unsere Vaterland umfasst auch Bayern, wo Unruhe bei der CSU ist. Einen Laptop hat die Staatsanwaltschaft bei Rasso Graber, dem Chef der Jungen Union in München, sichergestellt. Erinnern wir uns an die hier im WWWW schon einmal behandelte Mitgliederwerbung, wobei jeder Beitritt zur CSU mit einer satten Geldspende belohnt worden sein soll. "E-Mails kann jeder fälschen", hieß es im Juli abschätzig-kennerisch auf der Seite der CSU. Richtig, sehr kompliziert ist das nicht, wenn man nur den Body einer Mail zum Ausdrucken für die Zeitung braucht. Nun aber: Eine Mail so kunstvoll in den Folder gelöschter Mails auf einem fremden JU-Laptop reinzubosseln, das würde schon zur hohen Schule des Fälschens gehören. "Nur dann, wenn ein Profi die Daten verschwinden ließ, finden wir nichts mehr", heißt es nun bei der Münchener Kripo. Also: Sind die E-Mails verschwunden, ist Rasso Graber ein Profi. Sind die E-Mails vorhanden, sind die Roten die Profis, die diese Mail in den Laptop hineinfälschten. Also diese watschelnden Plattfüße, die dauernd Beitritt und Beischlaf durcheinanderbringen. Im Bett zart, gegen die Roten hart!
*** Wer dieser Tage wissen wollte, was wirklich harte E-Mails sind, der braucht nicht Viagra, Penis, Herbal oder die Betreffs des Sobig aus der Liste der Mailtöterbegriffe zu entfernen. Mails mit Betreffs wie "Bundesrat untersagt Privatkopie!!!" oder "Letzte Chance!!", die hirnrissige Alles-Brennerpakete anpriesen, landeten Dutzendfach in meiner Mail: "Wer jetzt nicht zugreift, bekommt nie wieder die Chance zum Kopieren!" Dumm wie die Nigeria-Connection und die Artikel-Strecken im Stil von "So knacken Sie alles", zeichnen die Sonderangebote das Bild einer Welt, in der alles verboten ist, was irgendwie Kopie sein könnte. Die zugedröhnte PR-Arbeit sonst harmloser Versandfirmen macht sich die allgemeine Gedankenlosigkeit zunutze, die MP3 als illegales Dateiformat versteht und gar nicht erst auf den Gedanken kommt, dass es eine legale Privatkopie geben kann. Massiert von den Fraunhofer-Spin-Doctors kommen Journalisten so nicht einmal mehr auf die Idee, dass die Privatsphäre verletzt werden könnte und sehen überall nur noch professionelle Raubkopierer am Werke. Die etablierte Musikindustrie, die sich kaum einen Deut um Klezmetics oder jüdischen HipHop, um Brötzmanns Anfänge oder Annie Whiteheads Fortgeschrittenen-Pop kümmert, wird noch lange über ihre Verluste jammern müssen, wenn sie nur ausgelutschte Star-Kopien kübelböcken lässt. N.E.W.S. werden anderswo gemacht.
*** Wahrscheinlich ist dies ein Jubiläum, dem niemand am heutigen Sonntag entgehen kann: 40 Jahre Affentanz besagen nichts anderes, als dass die mieseste Profiliga der Welt heute mit einem Spiel und einer Unmenge Feiern sich selbst lobt. Man könnte andere Geburtstage mit besseren Comeback-Geschichten ins Feld führen, man könnte anführen, dass Adorno immer Daktari und nie die Sportschau guckte, doch es wird nichts nutzen.
Was wird.
Darum ist das große Jubiläum der 26. August 1978, als mit Sigmund Jähn der erste Deutsche als Kosmonaut in der Sojus 31 die Erde umrundete. Es war das erste und einzige Mal, dass beim "Neuen Deutschland" die Worte "deutsch" und "Deutscher" erlaubt waren, während im Westen der "Mitesser in der Russen-Rakete" gehänselt wurde. Als Ulf Merbold später bei den Amerikanern mitflog, war das ganz was anderes. Bei der katastophalen Landung verletzte sich Sigmund Jähn am Rücken und wurde teilinvalide. Die lebenslage Rente bekam er nach der Wiedervereinigung prompt vom Bundeswehrarzt gestrichen, der sich an die deutsche Schande erinnerte. Ja, so ist Deutschland, good bye, Lenin. Mit Jähn darf man sich freuen, dass der Rote Planet, Schauplatz vieler kommunistischer Utopien, uns am Jubiläumstag so nah kommt wie zuletzt vor 60.000 Jahren. So nah wie die DDR kommt uns aber selbst der Mars nicht, glaubt man all den unsäglichen Shows, in denen Mumien und solche, dies noch werden wollen, mit den ach so schicken Headsets vor allem eines zu beweisen scheinen: Die Zonis waren wirklich so doof, wie wir immer dachten. Ach, nee...
Ein weiteres wichtiges Datum führt zur EU nach Brüssel, für manche mindestens so weit entfernt wie der Mars. Umgekehrt sind die Brüsseler Parlamentarier so weit von der IT-Branche entfernt wie die DDR von einer Demokratie: Einige Politik-Vertreter glauben etwa, die anstehende Entscheidung zugunsten von Software-Patenten dämme das Ausmaß des täglichen Spam ein. Am 27. August ist daher kurz vor der Entscheidung des Europäischen Parlamentes eine Demo in Brüssel geplant, die auf die fatalen Folgen einer Pantentierbarkeit von Software-Algorithmen aufmerksam machen soll.
Nicht immer erzeugte das Drücken auf den Ein-Knopf ein Würg-Gefühl: Vor 75 Jahren erzeugte am 31. August 1928 auf der Funkausstellung der Start des Fernsehens für gehörige Spannung. Wer will, kann heute noch mitbasteln und sich als Pionier fühlen. Alles ist besser, als vor der Glotze zu sitzen und bei all der Ostalgie im Fernsehen des Würgens nicht mehr Herr werden zu können. Nun gut, manchmal hat das deutsche Fernsehen auch ein Lob verdient. Es ist wie mit dem Turing-Test im erzkatholischen Paderborn: Manchmal weiß man nicht, ob ein Mensch im HNF-Beichtstuhl haust oder ein dunpfbackener Medien-Zombie, denn nur ab und an kommt der intelligente, gutgelaunte Computer zum Zuge. So ist das, wenn es Herbst wird. (Hal Faber) / (jk)