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Was war. Was wird. Kein Sommermärchen, nirgends

Plagiatsjäger möchte man nicht sein, die Arbeit nimmt bei all den Wahlprogrammen überhand, giggelt Hal Faber. Eigentlich aber ist der Sommer nicht lustig.

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Ruhe, verdammt! Wie soll man bei dem Lärm denn den Sommer genießen! Wobei Massenansammlungen ja wohl nicht nur den Sommer verderben, sondern wohl auch den Herbst, UEFA hin, Ballermann her.

(Bild: Itsmedj / Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Wahlen essen Märchen auf. Vor allem die in unserem Land so beliebten Sommermärchen. Besonders gefräßige Märchenesser sind Bundestagswahlen: 53 Parteien haben es zur nächsten Bundestagswahl geschafft, von den bekannteren Parteien haben es nur die Deutsche Kommunistische Partei (links) und Die Republikaner (ganz rechts außen) nicht geschafft, rechtzeitig bestimmte Unterlagen einzureichen. Welche Hufeisentheorie kann das erklären? Vielleicht benutzten beide Parteischatzmeister eine kaputte Kalender-App? Dennoch haben wir die Wahl der Qual. Lieber die Hiphop-Partei "Die Urbane" wählen oder die Partei, die sich schon im Titel schwer Hip gibt und blödelt: "Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Inhalte"? Lieber den Dritten Weg, den Vierten Weg oder die Fünfte Abbiegung? Was ist mit B*? Wobei das * gar kein Gendersternchen ist, sondern geschickte Gender-Tarnung, denn es steht für ein "ökoanarchistisch–realdadaistisches Sammelbecken", das die Wasserschlacht als Form der politischen Auseinandersetzung gegenüber der aktuellen Schlammschlacht favorisiert. Im Sommer ja ganz nett, aber ob das klimafreundlich ist, wo überall Wassermangel droht?

DĂĽrfte fĂĽr eine gepflegte Wasserschlacht reichen. Aber ob's der Regierungsfindung und den demokratischen Prozessen dient?

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

*** Wahlen essen nicht nur Märchen auf, auch Rätsel fallen ihnen zum Opfer. Auf unbestimmte Zeit ist deshalb das Sommerrätsel verschoben, weil der Platz nicht reicht in diesem unseren Internet. Denn es müssen dringend ganz andere Rätsel gelöst, hinterlistige Plagiate enttarnt und knifflige Matheaufgaben gelöst werden. Was ist mit der "Corona-Vermögensabgabe" der Linken, die zusätzlich zu einer neuen Vermögenssteuer mit 10 bis 30% bei den Nettovermögen über 2 Millionen Euro fällig werden soll, bei gleichzeitigem Wegfall der Schaumweinsteuer? Will sich da jemand die rote Zukunft schönsaufen? Wieso hat eine Partei, die gegen die Planwirtschaft ist, einen Guten Plan für Deutschland? Und warum plagiiert diese bräsige CDU dann ganz im Stil einer Annalena Baerbock? Ja, das wäre eigentlich ein hübsches Sommerrätsel: Woher kommt der Slogan "Gemeinsam für ein modernes Deutschland"? Natürlich kann man die Auflösung gurgeln und dann gackern: Wir schaffen das moderne Deutschland war der Slogan, mit dem die SPD 1969 in die Bundestagswahl zog. Je nach Bundesland variierte man den Slogan. Mit Tatkraft das moderne Deutschland schaffen, dazu ein Foto eines echten Machers. Tatkraft, das ist schon was anderes als ein biederer Armin Laschet, der in einem aufladbaren Unionskreis steht, mit einer Felge in Schwarz, Rot und Gold.

*** Nie war es einfacher zu kopieren. Auch bei den Freien Demokraten kann man ein hübsches Plagiat finden. Wo sie sich in ihrem Wahlprogramm mit der Rentenpolitik befassen, sprechen sie sich für eine "enkelfitte Rente" aus. Insgesamt ist das ganze Wahlprogramm ein Projekt Enkelfit, heißt es hinter einer Paywall. Dort steht, dass das Wahlprogramm nicht von Menschen aus Fleisch und Blut geschrieben sein könnte, sondern von einem ultraliberalen Algorithmus zusammengenudelt wurde. Das so produzierte Deutsch des Grauens liest sich so: "Wie es ist, darf es nicht bleiben. Das hat die Pandemie gezeigt. Gespürt haben wir es schon vorher. Denn die Welt verändert sich rasant. Daraus erwachsen Chancen und Risiken. Wenn wir nichts ändern, tragen wir die Risiken, und die Chancen ergreifen andere. Trotzdem wurde in Deutschland zu lange das trügerische Bild vermittelt, dass alles bleiben könne, wie es ist." Das ist so breiig, dass das Original kaum erkennbar ist: "Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, dann ist nötig, daß alles sich verändert."

*** Enkelfit stammt jedenfalls aus Österreich und hatte dort im Wahlkampf 2013 so ziemlich dieselbe Bedeutung wie heute bei der FDP. Bei unseren Nachbarn gewann damals das sehr spezielle Wort "frankschämen" als Ausdruck für den speziellen Umgang eines Politikers mit den Medien. 2013 war übrigens das Jahr der NSA-Enthüllungen durch Edward Snowden, weshalb in Österreich ein Wahlkampf-Slogan einen Sonderpreis bekam: "Ich wähle die NSA, die interessieren sich wenigstens für mich!"

*** So, wie die NSA gerne bei den Personen mitliest, für die sie sich großflächig interessiert, so gerne lesen die Ermittler der Strafverfolgungsbehörden bei den Kriminellen mit. Ein großer Erfolg wurde Anfang Juli vor genau einem Jahr bekannt, das die Polizei drei Monate lang "direkt am Konferenztisch der Kriminellen" saß und mitschneiden konnte, was an diesem "Tisch" verhandelt wurde. Die Folgen dieser Aktion, für die man ein eigens geschriebenen "Trojaner" verwendete, der die verschlüsselten Chats in Klartext mitschnitt, führten seitdem zu zahlreichen Verhaftungen in ganz Europa. In dieser Woche veröffentliche das Bundeskriminalamt seine Bilanz der Encrochat-Ermittlungen, die sich auf den ersten Blick ganz hervorragend liest. Überschwängliches Lob kam auf Twitter von Steve Alter, seines Zeichens ein Pressesprecher des Bundesinnenministeriums, der vor Stolz platzte: "Unsere Sicherheitsbehörden sind in der Cyberabwehr Weltklasse. Sie schreiben gerade Kriminalgeschichte." Hinter Weltklasse machen wir mal ein Fragezeichen, denn da wurde nichts gecybert und abgewehrt, sondern die Ermittler bekamen ein paar DVDs mit den Chats. Natürlich ist die Auswertung solcher Chats eine Heidenarbeit, aber ob es eine Großtat war, steht noch dahin. Denn zu dieser Geschichte gehört auch die Frage, ob der anlasslose Mitschnitt der Kommunikation als Beweismittel gewertet werden kann oder einem Verwertungsverbot unterliegt. Auch wenn im Chat mit Drogen gedealt und mit Waffen gehandelt wurde, kann ein Mitschnitt helfen, Zusammenhänge aufzudecken, aber als "Beweis" muss anderes präsentiert werden. Interessanterweise wird die anlasslose Massendatenspeicherung nun auch in den Niederlanden, wo Encrochat seinen Firmensitz hatte, zum Problem. Dort muss der Generalstaatsanwalt die zuvor umstandslos als "streng geheim" deklarierte Aktion vor den Richtern erläutern. Denn die Polizei ist kein Geheimdienst.

*** Was in den verschlüsselten Chats von niederländischen Drogendealern alles zur brutalen Sprache kommt, das hat eine. beeindruckende Reportage in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung geschildert. Dass sie hinter einer Paywall steckt, ist deswegen schade, weil das Attentat auf den Kriminalreporter Peter R. de Vries mit diesem "Marengo"-Prozess in Verbindung steht: Die Schüsse auf de Vries sollen den Kronzeugen Nabil B. unter Druck setzen, für den de Vries als sogenannte Vertrauensperson tätig ist. Zuvor wurde schon Nabil B.s Bruder und dann sein Anwalt Derek Wiersum ermordet. In irgendeinem verschlüsselten Chat wird ein Auftraggeber dem Täter und seinem Fahrer den Auftrag zum Attentat auf de Vries in der Szenesprache erteilt haben. "Bestelle ein One-Way-Ticket für ..."

*** Ein One-Way-Ticket anderer Art hatte die junge Esther Loewy gezogen, als sie 1943 nach Auschwitz kam. Doch sie überlebte, weil sie im Mädchenorchester von Auschwitz spielen musste. Sie überlebte die Konzentrationslager, wanderte nach Israel aus, dann wieder nach Deutschland zurück und wurde später eine wichtige Musikerin mit Auftritten bei Ereignissen wie der Konzertreihe Künstler für den Frieden. Schließlich enkelte sie sich zwei Rapper der Microphone Mafia an und trat mit ihnen bis ins hohe Alter auf. Im Alter von 96 Jahren ist Esther in Hamburg am Samstag verstorben.

Während sich Milliardär Richard Branson mit einer Art Weltraumflug am Sonntag eine Art Große-Jungs-Wettkampf mit Milliardär Jeff Bezos liefert, fliegt und summt eine Drohne über der Erde. Sie filmt das Gefängnisschiff Vernon C. Bain im Hafen von New York, sie fliegt in "Hart Island" über die gleichnamige Insel, einem trostlosen Stück Erde, wo Gefangene die Leichen der Corona-Toten verbuddeln müssen. Schließlich versucht die Kamera in "Terror Contagion" zu zeigen, wie die Überwachungssoftware Pegasus der israelischen NSO Group funktioniert. Die Wahlberlinerin Laura Poitras, die bei den Snowden-Enthüllungen den preisgekrönten Doku-Thriller Citizen Four beisteuerte, zeigt inmitten des Reigens heiterer Sommerfilme ein Triptychon namens Circles, das sich deutlich vom "aufladbaren Unionskreis" des deutschen Wahlkampftheaters unterscheidet. Prädikat "unbedingt sehenswert".

(jk)