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Was war. Was wird. Mit einem szenischen Einstieg

Szenisch sitzt Hal Faber an einem Tisch beim Lieblingsgriechen und träumt befreit von Materie und Material von NFT-Milliarden – und ist immer noch nicht satt.

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(Bild: Shutterstock/Jack Soldano)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Natürlich muss diese kleine Wochenschau mit einem dieser szenischen Einstiege beginnen, wie sie der geniale Shengfuzianer geschrieben hat. Aus der Vorgabe Föhr, Stoiber und Ocker entstand: "Eine Ferienwohnung auf der Insel Föhr, mir gegenüber sitzt Edmund Stoiber in einem ockerfarbenen Trachtenjanker. Seine wichtigste Rede? Stoiber fängt sofort an zu deklamieren: “Wenn Sie vom Hauptbahnhof in München ... mit zehn Minuten, ohne, dass Sie am Flughafen einchecken…” So ist das eben auf der Insel Föhr, da sind sie noch bodenständig, anders als auf Sylt, wo der Strand verscherbelt wird, ehe die große Stranddränke bei steigenden Wasserständen beginnt. So sehen wir, dass auch hartgesottene Immobilienmakler die Kunst des szenischen Einstiegs beherrschen: "Die Sylter Strände sind Balsam für Herz und Seele, Lieblingsplatz für Sonnenanbeter, Paradies für kleine Abenteurer und Spielplatz für fellige Vierbeiner zugleich." Da treibt es dem unbefellten Zweibeiner Tränen der Sehnsucht in die Augen und er kratzt seine Bitcoins zusammen, um das Non-Fungible Teilstück von 43 Metern Strand auf Sylt zu erwerben.

"NFTs befreit von Materie und Material in die kybernetischen Sphären."

*** So manche Szenen, die der gelehrte Journalismus beschreibt, sind Urszenen, schwer dramatische Stücke, weitab von Fidel Castro und niederbayrischen blauen Himmeln. Leider, leider steckt das Stück über Kryptoprojekte hinter einer Paywall, aber dafür gibt es ja den Perlentaucher, eine Feuilletonrundschau mit dem sechsten Sinn für Drama, Baby: "Bunt schillernde Kunstwerke erheben sich als NFTs befreit von Materie und Material in die kybernetischen Sphären, um das Tor zum Kanon und zum Kunstmarkt für alle aufzustoßen. Investmentmilliarden schwirren durch diese Welt wie Meteoritenstaub. Und tief in der digitalen Ursuppe der Blockchains stecken die Cypherpunks, die sich von Anfang an als digitale Guerilla stilisierten. Die prophezeiten schon Anfang der Neunzigerjahre, dass nur die Kryptografie die Menschen von der Herrschaft der Staaten und Konzerne befreien kann." Sieht man von dem Unsinn ab, dass die Cypherpunks und nicht etwa Satoshi Nakamoto die Blockchain einer Kryptowährung beschrieb, ist das doch eine nette Beschreibung, mitten im aktuellen Kursgehoppel. NFT-Milliarden, die wie Meteoritenstaub durchs Digitale schwirren, da richtet sich der Blick ins Weltall. Wie war das noch, als Nakamoto schrieb, dass die Zahl der Bitcoins endlich ist, mit 21 Millionen BTC, die im Jahre 2041 erreicht werden? Um vom Umweltschutz ganz zu schweigen, wenn in China stillgelegte Kohlebergwerke eigens für den Energiebedarf von Bitcoins illegal reaktiviert werden.

*** Bleiben wir bei der Kryptographie. Als die Cypherpunks um Eric Hughes und Hal Finney in den 90er Jahren auf ihrer Mailingliste über Verschlüsselungstechnologien diskutierten, zerbrachen sie sich die Köpfe über die Frage, wie eine plausible Abstreitbarkeit aussehen könnte. Als Sinnbild wählte man den großen Schraubenschlüssel, wie ihn Automechaniker benötigen. Droht man, mit solch einem Schlüssel ein Bein zu zerschmettern, wird der Bedrohte oder schon Gefolterte schon seinen privaten Schlüssel herausrücken. Seit dieser Woche gibt es eine lustige Antwort, verschickt von den Machern der viel diskutierten Luca-App. Der Text erschien auf Twitter, somit gibt es keine Garantie für seine Echtheit, doch für den Lachsack und die Wochenschau reicht es: "Meldest du dich in deinem luca Locations-Profil an, wirst du von nun an aufgefordert, deinen Privaten Schlüssel freiwillig hochzuladen. Dein Privater Schlüssel hat eine zentrale Bedeutung bei der Ver- und Entschlüsselung und ist für die Einsicht der Tischbelegung wichtig." Was tut man nicht alles für einen Tisch beim Lieblingsgriechen! Eine mögliche Erklärung bietet LUCA, aber als Akronym. Das steht für Last Universal Common Ancestor und bezeichnet den letzten gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Affen.

*** Um beim Thema zu bleiben: CovPass ist da. In Berlin-Tempelhof und in Potsdam wurde der bundesweite Feldversuch mit dem digitalen Covid-Impfnachweis gestartet. 30 Zertifikate werden tagtäglich produziert und auf das passende Smartphone transportiert. Jetzt beginnt das hübsche Verwirrspielchen wie bei den Diskussionen um die Corona-Warn-Apps. Denn CovPass ist nicht der digitale Impfnachweis, den die Gematik für die Ärzteschaft als MIO (medizinisches Informations-Objekt) entwickelt. Er ist auch nicht der grüne digitale Impfnachweis, der von der EU für das Reisen spezifiziert wurde. Und dann gibt es noch ganz andere Sachen wie etwa die Immunkarte, die Apotheker:innen ausstellen sollen. Ein Blick zu den Nachbarn ist auch nicht schlecht. Da soll in Österreich ein hübsches Zentralregister entstehen und die britische Variante ist auch nicht von schlechten Eltern. Dann gibt es noch eine Schweizer Spezialität.

*** Wenn diese kleine Wochenschau um Mitternacht erscheint und sich der Mond nicht lumpen lässt, gibt es was zu sehen: "Nachts, im Mondschein, lag auf einem Blatt ein kleines Ei." Und dann geht es los mit einer der schönsten Kindergeschichten: "Und als an einem schönen Sonntagmorgen, die Sonne aufging, hell und warm, da schlüpfte aus dem Ei – knack – eine kleine hungrige Raupe." Oft musste ich diese Geschichte vorlesen, noch öfter wurden im Kinderladen bunte Raupen gebastelt. Die kleine Raupe Nimmersatt fraß sich durch wenig proteinhaltiges, aber eben gesundes Obst, bis es eskalierte im ultimativen Kindergeburtstagswunsch: "Am Sonnabend fraß sie sich durch: Ein Stück Schokoladenkuchen, eine Eiswaffel, eine saure Gurke, eine Scheibe Käse, ein Stück Wurst, einen Lolli, ein Stück Früchtebrot, ein Würstchen, ein Törtchen und ein Stück Melone. An diesem Tag hatte sie Bauchschmerzen." Eric Carle, der als Kind 1935 aus den USA nach Deutschland auswandern und dann im Land der Scharlatane aufwachsen musste, ist im Alter von 91 Jahren gestorben. Ein Kunstlehrer namens Krauss rettete ihm die geistige Gesundheit, wie Carle es später erzählte. Daran muss erinnert werden, gerade in Zeiten, in denen eine Partei mit dem höhnischen, brutalen Slogan "Deutschland. Aber normal." in den Wahlkampf zieht. Gegen alles anormale und abnormale wie Migration, Klimawandel und eben Corona.

Eine andere Partei von Knallchargen profiliert sich gerade damit, dass sie das Gendern verbieten lassen will, weil sie die Benutzung bestimmter Satzzeichen als unschön und übergriffig empfindet. Die Argumente sind so platt, dass Linguist:innen darüber nur lachen können. Prompt tauchen in den Kommentaren Männer auf, die der Professorin allen Ernstes den Besuch eines Proseminars über wissenschaftliches Arbeiten empfehlen. Sprache ändert sich, wie sich die Gesellschaft ändert und so ist das Gendern ein Versuch, die Änderungen abzubilden, von mir aus mit dem Glottal Stop, als kurzer Pause beim Sprechen über Linguist:innen oder Programmierer:innen. Glottal Stop oder Glottal-Stop? Wie idiotisch manche Diskussionen sind, wird man erst im Abstand vieler Jahre sehen können: Bis 1890 wurde New York New-York geschrieben, New Jersey New-Jersey. Dann hielt Theodore Roosevelt seine berühmte Rede, in der er den Trennstrich oder Bindestrich für "unamerikanisch" erklärte. So hatte der Kampf um den Trennstrich einen nationalistischen Unterton, der später angestimmt werden konnte, als die USA in den Ersten Weltkrieg zogen.

Bis der Arzt kommt – mit Maske oder Schnelltest.

Nach dem Maskenskandal ist vor dem Schnelltestskandal, der in der nächsten Woche für Wirbel sorgen wird. Ob Bundesgesundheitsminister Jens Spahn dafür verantwortlich gemacht werden kann, dass die Abrechnungen nicht ordentlich geprüft wurden, wird sich zeigen. Ganz sicher wird es wieder einmal der Datenschutz sein, der an allen möglichen Skandalen schuld ist. Deshalb schließt diese kleine Wochenschau mit dem Schluss des Buches "Apps vom Arzt", an dem Jens Spahn als Mitautor geschrieben hat: "Am Ende des Buches möchten wir feststellen, dass unsere – zugegeben etwas provokante – These, dass Datenschutz nur etwas für Gesunde ist, nicht ganz stimmt. Er ist in der heutigen überdrehten Form auch nichts für Gesunde."

(bme)