Was war. Was wird. Mit kleinen Randnotizen am Tag der "Sonntagsfrage"
Es ist geschafft! Hal Faber jubelt. Naja, noch nicht ganz. Derweil geht die Schaumschlägerei nicht nur in der Sprache (un)lustig weiter.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Wieder einmal erscheint die kleine Wochenschau an einem Wahltag. Alles ist gesagt und wir wissen wirklich alles. Etwa, das Annalena Baerbocks Lieblingssong "Whish you were here" von Pink Floyd ist und Christian Lindner am liebsten den Soundtrack von "Das Boot" hört. Armin Laschet ("deutsche Schlager") und Olaf Scholz ("Jazz, Rock, Klassik") haben uns im Dunklen gelassen, aber das ist ja ihre Spezialität. Alles wartet jetzt auf die ersten richtigen Hochrechnungen und jeder einigermaßen mitdenkende Bürger wünscht sich dabei eine vernichtende Niederlage der Demoskopen, damit der teuflische Fetisch der "Sonntagsfrage" zu Grabe getragen werden kann. Am besten müsste man sie noch mit einem Holzpflock festnageln, diese dämliche Quizfrage. "Die sog. 'Umfrageinstitute' sind ja in Wirklichkeit Marktforschungskonzerne. Die machen die Polit-Umfragen nur zu Marketingzwecken, um auf sich selbst aufmerksam zu machen.". Ob Forsa/SPD oder Allensbach/CDU, sie alle haben ihre Hidden Agenda. Doch Schwamm drüber jetzt, wo wieder einmal ab heute abend "Versöhnen statt Spalten" angesagt wird. Den Slogan kennen wir doch? Lange vor dem Scholzomaten gab es in der SPD den Bruder Johannes, der diese Art politischer Barmherzigkeit betrieb. Er wollte die schmollende Linke und andere Kleinparteien wieder in seine Volkspartei integrieren. So etwas ähnliches wird wieder passieren, auch wenn solch salbende Worte nicht die eines Kanzlers Olaf Scholz sind. Ein Scholzomat ist nun einmal kein Phrasenmäher. Mit ihm müssen sich all die Kleinstparteien wie die Europäische Partei Liebe abfinden, aber auch die, die diesmal gar nicht zur Wahl angetreten sind und nun vier Jahre warten müssen. Dazu gibt es eine hübsche Geschichte.
*** Oben sieht man das Cover der Zeitschrift "konkret", die in dieser Woche in den Handel kam. Vorne sieht man den zerknirschten US-Präsidenten Joe Biden, hinten eine bunte Anzeige, die für den Kauf eines legalen LSD-Derivates wirbt. Wer der WWW-Spur folgt, gelangt zu Trumps LSD-Shop und damit zu einer ziemlich lustigen Geschichte über einen Stoff namens 1cP-LSD. Das ist ein legales Derivat, führt aber bei der Einnahme dazu, dass der Stoff vom menschlichen Körper in echtes LSD umgewandelt wird und ab geht der Trip. So weit, so gut oder so schlecht, wer weiß das schon. "Niemand ist immun gegen die Sucht; sie befällt Menschen aller Altersgruppen, Rassen, Klassen und Berufe", sagte einer der Kennedys. Das bringt uns zurück zu Carl Philipp Trump, denn über seinen LSD-Shop gelangt man zu den Gutmenschen, einer gGmbH, aus der in vier Jahren eine Partei werden soll: "We are the German Gutmenschen non-profit organisation of the soon to be launched Gutmenschen.Party." Blättert man im Programm, so finden sich lustige Sachen, wie den Bär auf der Berliner Flagge Richtung Zukunft zu drehen, aber auch jede Menge Stoff, der von QAnon stammen könnte. Die Spannbreite reicht vom Pizzagate bis zur Verschwörung der Satanisten und liest sich wie auf einem Drogentrip geschrieben.
*** So wandelt sich der Begriff vom Gutmenschen wieder einmal. Zuletzt war er ja ein Schimpfwort der Leute gewesen, die Flüchtlinge auf dem Mittelmeer lieber ertrinken ließen, anstatt sie retten zu wollen. Gutmenschen, das waren all die, die solche Aktionen befürworteten. Seinen ersten Start hatte der Gutmensch in der erwähnten Zeitschrift "konkret" mit den Sprachglossen von Herrmann Gremliza. Seinen Höhepunkt erreichte er in den beiden Wörterbüchern des Gutmenschen, dieser lustigen Kritik des linken Plapperjargons und der moralisch korrekten Schaumsprache. Phrasen wie "die Mauer im Kopf einreißen" gab es damals bis zum Abwinken. Auch den Querdenker gab es bekanntlich schon damals, im Duden von 1991 als jemand beschrieben, der eigenständig und originell denkt. Beim Vergleich mit den Querdenkern von heute, bei denen ein sich selbst so beschreibender "Software-Entwickler aus Leidenschaft" einen Kassierer erschießt, bleibt heute ein Kloß im Hals stecken.
*** Früher erzeugte die Selbstgerechtigkeit der linken Gutmenschen heftigen Widerspruch: "Öligkeit und Opportunismus sind Bedingung für korrektes Querdenken; bevorzugt wird diese Disziplin im Feuilleton ausgetragen, wohin sie ja auch gehört, ins ganzlich Durcheinandere, in die Heimstatt von Vagheiten aller Art", ätzte Wiglaf Droste. Wie war das noch, als 1998 Rotgrün an die Regierung kam? Der Sonntag wurde nicht als Festtag der Demokratie gefeiert, eher als ein leidenschaftsloses "Naja". Und wie war es 2005, als Schröder die Wahl vorzog und die Sache für ihn in die Hosen ging. Querdenker Ulrich Beck schireb: "Deutschland wird eine Gesellschaft, in der drei Grundbegriffe – das Risiko, die Freiheit und das Weniger – neu aufeinander abgestimmt werden müssen." Das wiederum reizte Hermann Gremliza und er schlug "Freddy, die Gitarre und das Meer" als Bonner Alternative zur Berliner GroKo vor.
*** Bekanntlich ist das Ur-Smiley ":-)" für 237.500 Dollar versteigert worden, eine hübsche Summe für den sinnvollen Vorschlag von Scott Fahlman, auf Ironie und Humor hinzuweisen. Sei es, weil es viele Menschen im Netz gibt, die den entsprechenden Detektor nicht eingeschaltet haben oder sei es, weil sie schlicht nicht erkennen können, was humorvoll gemeint ist. Von Professor Fahlmann stammt auch der Spruch "Nur keinen Stress. Es ist blos ASCII", aber weder für diesen fundamentalen Satz noch für seine Forschungen wurde er berühmt. also für diese Filmbesprechung des Foundation-Universums von Isaac Asmov, eine Verfilmung, die genau in unsere Zeit passt: "Das Ende der Zivilisation ist vorstellbar geworden. Das Ende der liberalen Demokratie ist vorstellbar geworden. Amerika hat gerade wieder einen Krieg verloren. Eine Seuche wütet." Und dennoch bricht die Menschheit auf zu einem kahlen Planeten. Entsprechend gibt es eins auf den Deckel für diese öde Verfilmung: "Die Verfilmung von Isaac Asimovs berühmter Science-Fiction-Triologie ist jedenfalls unfassbar öde, die Ausstattung ist toll, die Musik ist banal und die Kameraführung dann auch schon egal."
*** Interessant ist dabei, wie die von Asimov erfundene Psychohistorik gesehen wird, denn auch sie hat eine wechselvolle Geschichte. Asimov hat seine Geschichte geschrieben, nachdem er H.G. Wells Vorhersagen im Buch The Shape of Things to Come gelesen hatte. In dem Buch sagte Wells den Ausbruch des II. Weltkrieges für das Jahr 1942 bevor – der allerdings erst in den 60er-Jahren mit dem Ausbruch einer Seuche beendet werden konnte. Dann aber sollte der Fortschritt durch die neue Wissenschaft einer "science of social nucleation" gesteuert werden, durch eine internationale Technikerelite die beim Aufbau des technokratisch organisierten Weltstaates sich modernster statistischer Verfahren und Rechenmittel bedient und die Erkenntnisse von Psychologie, Soziologie und Pädagogik. Für die Quelle seiner Psychohistorik verwies der Chemiker Asimov zunächst auf die kinetische Gastheorie, später bezeichnete er sie als eine rein literarische Erfindung. 1983 revidierte er diese Haltung und meinte, dass mit starken Computern und mathematischen Fortschritten auf dem Gebiet der Synergetik doch so etwas wie eine Psychohistorik möglich werde.
Was wird.
Wenn die Wahl verdaut ist und die stillen Kämmerlein überfüllt sind, in denen Koalitionsgespräche geführt werden, kommt der goldene Oktober. Das ist der einerseits der Europäische Monat der Cybersicherheit mit dem Blick nach vorn. Andererseits könnte man zurückblicken. Seit 10 Jahren versucht sich die Europäische Union an einer Verordnung für einheitliche Ladekabel, um den Elektroschrott einzudämmen. Prompt kommt Kritik vom rührigen Branchenverband Bitkom, den die Angst antreibt mögliche Innovationen a.k.a. Extraprofite zu verpassen. Man könnte übrigens noch weiter zurückschauen: vor 40 Jahren wurde auf einem Schweizer Bauernhof am 2. Oktober 1981 die Firma Logitech gegründet, die den Unsinn mit dem Ladegerät dadurch überwand, dass man den Strom aus der RS-232-Schnittstelle bezog: so wurde auch das allererste Handy von Motorola geladen. Fortschritt kann auch manchmal ein ordentlicher Rückschritt sein, wenn nur die Schrittlänge groß genug ist. Das kann man am Beispiel der Bundeswehr sehen, wo das Projekt der Digitalisierung der Funkkommunikation auf der Basis von Software Defined Radio (SDR) mit integrierter Datenübertragung für das gläserne Gefechtsfeld stockt. Bauen wir doch einfach die Funkkisten der 80er-Jahre nach! Die kann dann auch der beste russische Ghostwriter nicht stoppen. Dieser tolle Move in Sachen Cybersicherheit kostet nur 20.000 Euro pro Gerät und gibt uns einen hübschen Anschauungsunterricht darüber, wie raffiniert die technologische Souveränität von Deutschland aufgebaut wird. RS-232, wir kommen!
Und vor 81 Jahren starb Walter Benjamin. Er starb an Hoffnungslosigkeit. Vielleicht hatte er ein zu realistisches Bild von dem, was Politik ist: "Alle Bemühungen um die Ästhetisierung der Politik gipfeln in einem Punkt. Dieser eine Punkt ist der Krieg." Wir dürfen uns glücklich schätzen, das dies kein Kommentar zur heute anstehenden Bundestagswahl ist. Auch wenn Leute wie Marc Jongen so etwas als Ansporn betrachten dürften, damit aber nicht durchkommen werden. Auch nicht bei dieser Bundestagswahl.
(jk)