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Was war. Was wird. Mit spitzen Grüßen zum Fest der Spitzen

In schwierigen Zeiten hat Hal Faber noch alle Spitzen an der Tanne. Zum Abschied eines Freundes zieht er leise den Hut und sagt: "Danke, Jürgen!"

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(Bild: FeelGoodLuck/Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Na sowas aber auch: "Aus dem alltäglichen Bild einer Hebebühne neben dem Weihnachtsbaum auf dem Pariser Platz entwickelte sich eine Straftat. Unsere Einsatzkräfte mussten entscheiden, sich und die Tatverdächtigen nicht durch ein Eingreifen, insbesondere in die Fahrzeugtechnik, in Gefahr zu bringen." Soweit die Polizeidurchsage zur Aktion der Klimaaktivisten, den Bundesweihnachtsbaum zu kürzen. Statt 17 Meter ist er nun 15 Meter hoch und irgendwie unspitz. Aufgeregte Zeitgenossen schäumen von einer "Schändung" des Baumes oder sehen gar die Verachtung der christlichen Kultur. Das ist starker Tobak und erinnert an die Verunglimpfung des deutschen Gemüts durch Heinrich Böll mit dem "Frieden, Frieden, Frieden" lallenden Weihnachtsengel. Übrigens belegen die Faktenchecker, wie neumodisch das alles ist: Der Tannenbaum kam "konfessionsübergreifend" in der Zeit der Freiheitskriege gegen Napoleon in deutsche Wohnzimmer. Das waren damals schwierige Zeiten, genau wie heute. Der Unterschied, vulgo Fortschritt genannt, besteht darin, dass heute künstliche Intelligenzen über Weihnachten schreiben und die Texte genauso lahm sind wie Schulaufsätze oder Bitkom-Meldungen über das Thema. Der Weihnachtsbaum wird nur selten online gekauft? Was da wohl das Problem ist? Jedenfalls ist das Absägen von Spitzen eine verständlichere Aktion als das Hantieren mit Kartoffelbrei und Tomatensuppe. Was ist das Absägen einer Baumspitze gegen den Klau einer Kupfer-Turmspitze? Und zur weihnachtlichen Erbauung aller Leserinnen und Leser: Bis zum 5. Januar sitzen noch 6 Aktivisten der Gruppe in bayerischer Präventivhaft, damit das "Fest" nicht gestört wird.

*** Wir leben in interessanten Zeiten. Das ist kein alter chinesischer Fluch, sondern die schlichte Realität. Soweit es die Zitatforschung ermitteln konnte, stammt die Formulierung aus einer Rede von Joseph Chamberlain, die dieser 1898 hielt. Die Formulierung wurde von weiteren Chamberlains genutzt und ausgeschmückt. Vielleicht geht sie auf eine 1627 von Feng Menglong aufgezeichnete chinesische Novelle über das Schicksal von Menschen in den Wirren eines Krieges zurück, in der es am Ende heißt: "Lieber möchte man ein Hund im Frieden als ein Mensch im Krieg sein." Wie es den Menschen im Krieg geht, davon berichtete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dem US-Kongress vor Ort. Er versicherte den Abgeordneten, dass Ukrainer sehr wohl US-Waffen bedienen und warten können. "Der Kampf wird definieren, in welcher Welt unsere Kinder und Enkelkinder leben werden, und dann ihre Kinder und Enkelkinder." Von 213 Republikanern waren nur 86 anwesend und einige von diesen spielten lieber mit ihren Mobiltelefonen und schenkten Selenskyi keine Beachtung. Dazu kamen eine Menge hasserfüllter Tweets von Putins nützlichen Idioten. Etliche empörten sich über das olivgrüne Militär-Outfit, das mit Winston Churchills Auftritt vor dem US-Kongress ein berühmtes Vorbild hatte. Der Nicht-Mehr-Politik-Darsteller Donald Trump Jr. entmannte den Ukrainer und nannte ihn in einem Tweet eine "ungrateful welfare queen". Das mag ein dummer Mensch sein, der da so vor sich hindummt. Aber ist es hier in diesem unserem Lande besser? Die Tagesschau kommentierte die Rede als verzweifelten Appell Selenskyjs mit den irrlichternden Worten "wir als Zuschauer vom Seitenrand aus". Das kann man anders sehen: "Wir sind keine Zuschauer vom Seitenrand, sondern die nächsten, die an der Reihe sind, sollte Putin siegen."

*** Weihnachten ist nicht nur Tannenbaum in diesen interessanten Zeiten, es ist auch das Fest der Geschenke und Konsumorgien. Wer jetzt noch nichts hat, steht dennoch nicht mit leeren Händen auf. Wie wäre mit einem hübsch bemalten USB-Stick mit den Songs von Tom Lehrer, die dieser auf einer Website zum allgemeinen Download freigegeben hat, bevor sie gelöscht werden? So manche und mancher erinnert sich vielleicht noch an den vom CCC popularisierten Wernher von Braun-Song mit den hübschen Zeilen, praktisch vom Seitenrand aus Richtung Ukraine gesehen:

"Once the rockets are up,
Who cares where they come down?
That's not my department,"
Says Wernher von Braun.

*** Auch für die zu Weihnachten so beliebten Basteleien ist noch Zeit, bevor man die Verwandtschaft besuchen muss. Besonders wenn dort gehustet und gekrächzt wird, dass die Tröpfchen nur so fliegen, sind selbstgebastelte Coronavirus-Schneeflocken eine bezaubernde Verschenk-Idee. Zur Abrundung in einem größeren Geschenkpaket oder zum gemeinsamen Gucken mit Glotze oder Beamer wäre dieser toll gemachte Dokumentarfilm Oh, Sister! über das Leben von Frauen in der Ukraine ein passendes Geschenk, nicht nur für TV-Kommentatorinnen mit einem leichten Hang zum Anti-Amerikanismus.

*** Ganz in unserer Nähe, also zum anderen Seitenrand hin, wird gestreikt. In Großbritannien sind die Fahrer von Rettungsdiensten, Postbeamte, Feuerwehrleute und Grenzer im Streik, weil die Löhne nicht mehr die Inflation ausgleichen können. Notgedrungen wird so das Weihnachtsfest etwas weniger schön ausfallen, zumal davor gewarnt wurde, sich sinnlos zu betrinken. Ob das aber ausreicht, die Kommentare einiger Journalisten zu rechtfertigen, die gegen die Streikenden hetzen? Die die Fahrer von Krankenwagen als "white shitbags" bezeichnen oder davon reden, dass man sie mit dem bewerfen sollte, was zivilisierte Menschen im WC wegspülen. Nach zwölf Jahren Tory-Regierung ist in diesem Land etwas eingebrochen, wenn ein sonst geachteter Moderator von Lady Megham Merkle fordert, sie müsse nackt durch die Straßen getrieben und mit Fäkalien beworfen werden. Natürlich gibt es Proteste gegen diese Obzönitäten. Natürlich gibt es auch hier wieder eine Debatte um das hohe Gut der Meinungsfreiheit. Und genau deshalb möchte ich an den Satz eines Heise-Redakteurs erinnern, der jahraus, jahrein über mehr als 20 Jahre mit Abstand die meisten meiner Wochenschauen redigiert hat. "Probleme mit der Meinungsfreiheit löst man keinesfalls mit weniger Meinungsfreiheit. Aber auch nicht mit dem Zwang, jede Meinung einfach hinnehmen zu müssen", schrieb Jürgen Kuri einstmals in einem Kommentar. Dennoch hat er viel zugelassen, wovon auch diese Zeichnung kündet. Die letzte rekordverdächtige Forumskeilerei in diesem nunmehr absaufenden Jahr gehört dazu. Bratet, ihr Mistkerle.

Wie geht es weiter? Es gibt doch noch schöne Nachrichten zum Jahresende: Deutschland liegt im europäischen Digitalisierungsindex vier Plätze weiter vorn nunmehr im Mittelfeld und ist damit besser als in der FIFA-Weltrangliste der Männer. Vergleiche ich Äpfel mit Birnen? Hätte ich die Frauen nehmen sollen mit dem aktuellen zweiten Platz? Oder den Digitalisierungsgrad der Bundesländer, wo Berlin die digitale Spitze ist – trotz des abgesägten Bundes-Weihnachtsbaumes? Zur Erläuterung: Da reicht nicht nur die aktive Startup-Szene und die vielen Hacker-Spaces, da muss schon eine ordentliche Strategie her. So will Berlin die Schulzeugnisse mit einer Blockchain absichern, diesem edelsten aller Edelprodukte der "Crypto Brothers". Ist der Nutzen nicht klar, so ist das Geld doch verballert.

Berlin ist auch der Schauplatz der Hacking in Parallel, eine der lokalen Hacker-Konferenzen, die im Umfeld des CCC zwischen den Jahren in Berlin starten, vielleicht mit dem Vorbild einer Veranstaltung, die freilich im Sommer 1997 stattfand. Dem Club wäre zu danken, dass er das Infektionsgeschehen ringsum nicht ignoriert und frühzeitig die Handbremse gezogen hat, trotz finanzieller Einbußen. Dazu rummst es natürlich auch anderswo, ganz ohne Böller. Und ja, Bill Gates ist Großvater geworden und freut sich.

(bme)