Was war. Was wird. Vom Besserwerden der Welt

Mancher startet als Katze und landet als Löwe. Ach, das war jetzt doch anders? Hal Faber ist enttäuscht, hofft aber weiter auf Besserung durch Anderswerden.

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"Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll." (Georg Christoph Lichtenberg, Aus den Sudelbüchern). Ich weiß nicht, wer aus der neuen Bundesregierung seinen Lichtenberg parat hat. Passend ist das Bonmot auf jeden Fall.

(Bild: canbedone / Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Dass diese Welt nun besser wird, so sprach der
Mann der Frau,
für Zimmermann und Knecht und Hirt,
das wisse er genau.

Ungläubig hörten wir's – doch gern.
Viel Jammer trug die Welt.
Es schneite stark. Und ohne Stern
ging es durch Busch und Feld.
(Peter Huchel, Die Hirtenstrophe)

*** Weihnachten wird's und eine neue Regierung hat auch schon losgelegt mit dem, was sie regieren nennen. Ob es nun besser wird, das weiß ich nicht genau, doch dass es anders werden muss, sollte jedem klar sein. Mit einer "leichten Infiltration", wie das seit anno Kimmich heißt, sind die Grünen in die neue Legislaturperiode gegangen. Nach dem Fehlstart im Wahlkampf haben sie einen satten Fehlstart in der Regierung hingelegt, weil ein fragiles männliches Ego, verdrängt von einem größeren männlichen Ego, partout bedient werden musste. Mit dem leichtfertigen Verzicht auf den Vorsitz im Innenausschuss zugunsten von Antidemokraten zeigt sich wieder einmal die hässliche Fratze der Proporz-Politik, die alle deutschen Parteien einigt. Da muss ein Hesse hin, dort fehlt ein Bayer, hier muss eine/r vom "linken" Flügel bedient werden, dort eine Frau zur Geltung kommen. Bei der sogenannten "Rückkehr zur Geschlossenheit" bekommt Anton Hofreiter den Vorsitz des Europaausschusses, während der Innenausschuss an den Islamhasser Gottfried Curio gehen könnte. Ja, allem Anfang wohnt ein Zauber inne.

*** Mein Haus, mein Auto, meine Frau, und nun sogar mein Gesetz! Während die heute show feiert, dass die neue Regierung "komplett bazifrei" ist, ist Andreas Scheuer stolz auf das autonome Fahren. Beweist es doch die Vorfahrerrolle von Deutschland, natürlich mit Taxifahrern, die so etwas nicht leiden können und mal eben ignorieren, wenn ein autonomer Bus wenden will. Schuld bekam der mitfahrende Fahrzeugführer: "Als Unfallverursacher wurde nach vorliegendem Kenntnisstand der Operateur des selbst fahrenden Kleinbusses erfasst", heißt es im besten Polizeideutsch. Andreas Scheuer verteidigt derweil die Auswirkungen "seines" Gesetzes in einer Diskussion mit Hackern. Der Fortschritt ist eben unaufhaltbar. Auch im Heiseforum steppt der Bär nach der entsprechenden Nachricht zum hochautomatisierten Fahren.

*** "Menschliche Sprache ist wie ein zerbrochener Kessel, auf dem wir rohe Rhythmen tippen, zu denen Bären tanzen können, während wir uns danach sehnen, Musik zu machen, die die Sterne zum Schmelzen bringt." So beschreibt Gustave Flaubert in seinem Roman Madame Bovary sein Schreibprojekt. Es begann heute vor 200 Jahren mit der irdischen Niederkunft des Schriftstellers, der mit der Bovary und dem "Leben als Geschwätz", der Aufzeichnung von Gemeinplätzen, seinem "Dictionnaire des idées reçues", berühmt werden sollte. Unter D wie Denken findet man den Eintrag: "Denken: Mühsam. Die Dinge, die einen dazu zwingen, gibt man im allgemeinen wieder auf." Noch bekannter ist: "Dummköpfe: denken anders als man selbst." Neben den Gemeinplätzen und Gemeinheiten enthielt sein Wörterbuch ein paar Gedanken, die auch nach 200 Jahren unvermindert aktuell sind: "Wenn die Gesellschaft so fortfährt, wird in zweitausend Jahren nichts mehr sein, kein Grashalm, kein Baum; sie wird die Natur aufgefressen haben." Besonders wütend machte ihn der deutsch-französische Krieg, nach dem er sich fragte: "Wird man noch vor Ablauf des Jahrhunderts erleben, dass sich mehrere Millionen Menschen in einem einzigen Waffengang gegenseitig umbringen?"

*** Woher stammt diese Prognose eines Konservativen, der sich nach dem Entsetzen über die Pariser Kommunarden eine "Regierung der Mandarine" wünschte? So etwas würde man heute vielleicht als Kabinett von Technokraten bezeichnen, was aber einen negativen Beiklang hat. Gustave Flaubert war Zeuge des ersten Wettrüstens der Moderne, das in einer Art Massenpanik im Jahre 1884 mündete. Zwischen 1859 und 1861 erzielte Frankreich beim Bau von Schlachtschiffen eine Überlegenheit. Nach dem deutsch-französischen Krieg wuchs in Großbritannien die Angst vor einer vereinten franko-preußischen Flotte, die das Empire bedrohen könnte. Diese Naval Scare führte zu einem Rüstungswettlauf, der geradewegs in den Ersten Weltkrieg führte. Zu den etwas untergegangenen Nachrichten inmitten des Regierungswechsels gehört die Meldung, dass in China Flugzeugträger 003 vor dem Stapellauf steht. Das ist, verglichen mit 20 US-amerikanischen Flugzeugträgern, noch etwas wenig, um eine Naval Scare zu erzeugen, doch die Frage des neuen Wettrüstens im asiatischen Raum werden jetzt schon diskutiert.

*** Es ist eine lange und traurige Geschichte über Reality Winner, die sich lange Zeit nicht öffentlich äußern durfte, die da hinter einer Bezahlmauer des SZ-Magazins steht. Aus der Haft entlassen, heiratete sie ihren Freund, doch die Ehe zerbrach recht schnell, da Frau Winner mit einer Fußfessel sich nur unter Kontrolle eines Bewährungshelfers vom Hausarrest entfernen durfte. Die Whistleblowerin, die durch einen amateurhaften Patzer von Journalisten schnell enttarnt und verhaftet wurde, hat drei Jahre in Gefängnissen verbracht und dort Corona überlebt. Warum sie überhaupt die Pfeife blies, die Glocken läutete, wird sie gefragt. "Wenn ich damals zufrieden gewesen wäre mit meinem Leben, dann hätte ich es wohl nicht getan. Whistleblower packen nicht aus und erwarten, dass etwas Gutes dabei herauskommt. Es ist eine Art Fatalismus, denke ich." Strafverschärfend wirkte sich aus, dass die Luftwaffen-Abhörspezialistin perfekt Arabisch und Farsi sprach und überlaufen könnte, so die richterliche Logik. Dabei hatte sie mit ihrer Abhörarbeit 120 "feindliche Kämpfer" in 734 Einsätzen enttarnt. Nun nützen ihr die Sprachkenntnisse nichts, sie lernt Java und Phython an einer Online-Schule. Das Silicon Valley soll ihr signalisiert haben, dass sie nicht willkommen ist.

Wo in der Welt ist Julian Assange willkommen? In seinem Geburtsland Australien? Dort soll er nach "Versicherung" der US-Vertreter seine Haftstrafe verbüßen können, sollte er nach seine Auslieferung in die USA dort von einem Gericht verurteilt werden. Nun steht die Frage wie ein Elefant im Raum, was von dieser Art von Versicherung zu halten ist. Besonders apart ist die Formulierung Assanges Suizidrisiko sei durch die Zusicherungen der Vereinigten Staaten ausgeschlossen. Es ist kein Geheimnis, dass nach den Belastungen durch die Aufenthaltsbedingungen in einer Botschaft und einem Gefängnis die psychischen Widerstandskräfte Assanges aufgebraucht sind, so steht es auch in einem ärztlichen Gutachten, das von den Richtern ausdrücklich gewürdigt wurde. Während in London das Urteil am internationalen Tag der Menschenrechte verkündet wurde, fand in den USA ein Demokratiegipfel statt, von dem US-Außenminister Blinken twitterte: "Media freedom plays an indispensable role in informing the public, holding governments accountable, and telling stories that otherwise would not be told. The U.S. will continue to stand up for the brave and necessary work of journalists around the world." Wie sagten es die Ureinwohner noch einmal? "Bleichgesicht spricht mit gespaltener Zunge." Oder lebt er schon im yuán yuzhòu?

(jk)