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Was war. Was wird. Vom neuen Überwachungsstaat.

Die Geschichtsschreibung der Historiker in tausend Jahren über die Coronakrise würde Hal Faber gerne lesen. Vielleicht, aber nur vielleicht brächte sie Trost.

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Was war. Was wird. Vom neuen Überwachungsstaat.

Grenzen, wohin man blickt - Grenzen, an denen Menschen festhängen, Grenzen, die Bürgerrechte einschränken, Grenzen, die das Denken verfestigen und uns verdummen lassen.

(Bild: Kodda / Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Eine Krise ist immer auch eine Chance, doch diesmal haben wir sie verpasst, und das auch noch im großen Stil: Derzeit macht ein Bild der Nachrichtenagentur dpa die Runde, dass den "Macher" Heiko Maas vor einer Wandtafel zeigt, über der Uhren die Zeiten in verschiedenen Zonen der Erde anzeigen. Auf der Tafel sind alle Länder aufgeführt, in denen sich noch deutsche Bürger aufhalten, von 36.000 in Ägypten bis 80 in der Republik Togo. Was fehlt, ist eine Tafel mit Zahlen zu den Menschen, die an Europas Grenzen festhängen. Sollte sich dort das Coronavirus im großen Stil verbreiten, so wird man den Außen- und Rückführungsminister Maas fragen können, warum keine Hilfe erfolgte. So ist die Situation pervers verdreht: Sein Ministerium warnt dringend vor Reisen in den Iran, während die Bundesregierung Privatjets chartert, um abgelehnte Asylbewerber dorthin zu fliegen. In Tausenden von Jahren ist es vielleicht egal, wenn von der Coronakrise nur eine vage Erzählung übrig geblieben ist, wie die Aussätzigen an der Grenze des Reiches lebten und dann in ein anderes Land mit neuen Göttern zogen. Doch heute ist es ein anderes Signal, wie Europa sich abschottet. Dazu kommt noch das finanzielle Äquivalent von "Schotten dicht": Die reichen Länder wie Deutschland lehnen die Eurobonds ab, die Ländern wie Italien helfen können, wieder Tritt zu fassen. Es ist ein Trauerspiel.

Die föderale Matrix, was in welchen Bundesländern wie erlaubt ist, wie sie die taz zusammengestellt hat.

(Bild: Screenshot von @tazgezwitscher )

*** Was sich noch in der Krise zeigt, kann man in der hübschen Grafik finden, die vom tazgezwitscher über Twitter verbreitet wurde. Den deutschen Föderalismus in Ehren zu halten, das haben die Bundesländer mit ihren Verordnungen und Allgemeinverfügungen doch großartig geschafft. Meckpomm und das Saarland schreiben 2 Meter Mindestabstand vor, woanders reichen 1,5 Meter. In Sachsen und Bayern ist alles verboten und mit Bußgeld verknüpft, nur seinen Personalausweis, den darf man zu Hause lassen. In Berlin muss er mitgeführt werden, allerdings wird hier auch der Presseausweis akzeptiert bzw. reicht offenbar aus, um aus "triftigem Grund" draußen zu sein. Das Sitzen auf der Parkbank ist untersagt, nur kurzzeitiges Pausieren ist erlaubt. Zur sozialen Distanz ist besonders in Bayern die soziale Isolation gekommen, denn "Kontakte zu Menschen außerhalb des eigenen Hausstandes" müssen auf ein absolut nötiges Minimum reduziert werden. Der Staat mischt sich jetzt ein in das, was früher einmal privat war. Nur in Hamburg wird die Sache mit dem Lebenspartner noch etwas lockerer gesehen. Dort darf man sich in "Begleitung der Personen, die in derselben Wohnung leben" draußen sehen lassen und kann "mit einer weiteren Person, die nicht in derselben Wohnung lebt", ein Treffen verabreden.

*** Viel ist in diesen Tagen darüber diskutiert worden, was im neuen Überwachungsstaat im Jahr 1 n.Cor. mit den Telefondaten passieren darf. Bekanntlich lehnte die Justizministerin die Handyortung ab, während andere Politiker den digitalen Handschlag verfolgen wollen, weil er dank der Standortdaten Infektionsketten abbilden könnte. Was den dabei diskutierten Datenschutz anbelangt, so ist er selbst in den Augen von Datenschützern nachrangig "weil man so Aufschluss bekommt, ob und wie sich Bewegungsströme der Gesellschaft mit den Eindämmungsmaßnahmen verändern". Noch umfassender argumentieren IT-Fachleute auf der moralischen Ebene, wenn sie im Datenschutz ein ausgesprochen niederes Gut gegenüber dem Schutz des Lebens sehen. Wahrscheinlich sehen nur die kritischen Juristen die Probleme, die sich im neuen Überwachungsstaat mit seinen ausgeweiteten Befugnissen und Verboten ergeben, während die parlamentarische Demokratie in Quarantäne geschickt wird. Irgendwo muss ja die Vorstellung herkommen, dass an den Grundrechten so ein handlicher Kippschalter angebracht ist, mit dem sie ein- und ausgeschaltet werden können. Der Rest ist schon Geschichte.

*** Was aus dieser Argumentationskette mit den Daten von Infektionsketten folgen kann, zeigt sich in Großbritannien. Dort, wo statt Klopapier die Eier knapp geworden sind, weil Kartons fehlen, geht es mit einer ganz besonderen Informationskette weiter. Dort steht die mit ihrer formidablen Überwachungstechnik werbende Firma Palantir bereit, zusammen mit Amazon und Microsoft die eingehenden Anrufe beim medizinischen Dienst NHS auch inhaltlich auszuwerten und mit weiteren Daten zu verknüpfen. Mit dabei ist Faculty AI, die Firma, die mit künstlicher Intelligenz nach terroristischen Inhalten im Internet sucht. Ob alle Daten dabei helfen, den maroden und ziemlich unvorbereiteten NHS besser durch die Krise zu steuern, wird sich zeigen. Der Vergleich mit dem staatlichen Gesundheitssystem im Stadtstaat Singapur ist absurd, obwohl dort das Gesundheitssystem zunächst ganz nach britischem Vorbild aufgebaut wurde. Mit Medisave, Medishield, Eldershield und Medifund hat Singapur längst drei zusätzliche Sicherungssysteme, in die Beschäftigte wie Rentner einzahlen müssen. Und was wäre eine asiatische Antwort ohne den passenden Song? Die vielzitierte App TraceTogether, die Personen in Quarantäne dazu zwingt, Bildbeweise von ihrem Aufenthalt in der Wohnung zu schicken, ist wissenschaftlich untersucht worden. Das Fazit: Der Schutz von Daten der Anwender vor anderweitiger Nutzung ist zwar gegeben, doch der staatliche Zugriff auf diese Daten kennt keine Grenzen. Du aber räumst dem Staat zuviel Macht ein, das war mal Hölderlin. Heute sind wir weiter.

*** In London, wo der politische Emigrant und Kapitalismus-Erforscher Karl Marx nur knapp einer Cholera-Epidemie entkam, muss Wikileaks-Gründer Julian Assange weiterhin im Gefängnis Belmarsh auf den Fortgang seines Auslieferungsverfahrens warten. Unter der Woche gab es nur eine kurze Verhandlung zu organisatorischen Fragen, bei der sein Anwalt einen Antrag auf GPS-überwachten Hausarrest stellte, abgesichert durch eine Kaution. Begründet war der Antrag mit der Gefahr, dass sich in Belmarsh der Coronavirus verbreiten und den gesundheitlich angeschlagenen Australier bedrohen könnte. Die Richterin lehnte den Antrag unter Verweis auf Assanges Flucht im Jahre 2012 ab und sprach davon, dass Belmarsh virenfrei sei. So liegt es jetzt am erkranken Premierminister Boris Johnson, einen Schlussstrich unter die Farce zu ziehen: Wer glaubt, dass Mitte Mai das Verfahren regulär mit der Befragung ausländischer Zeugen weitergehen kann, glaubt sicher auch an die Wunderwirkung blauer M&Ms. Möglicherweise kommt es zu einer Situation wie mit der "Corona-Regel" von deutschen Gerichten: Bei uns können ab sofort Hauptverhandlungen für 3 Monate statt für 3 Wochen ausgesetzt werden. Dann dürfte die Causa Assange frühestens im September verhandelt werden.

Wie seinerzeit vor und nach der Geburt von Jesus Christus wird sich die Welt in vor und nach dem Coronavirus aufteilen. Man denke nur an die Debatten über die heute Nacht anstehende Umstellung auf die Sommerzeit, mit allen kleinen Aufregern – und vergleiche das mit der Debatte über die "Lockerung der Corona-Regeln". Nein, dieser Ausnahmezustand geht nicht einfach vorüber, denn der neue Überwachungsstaat will erst einmal all seine Instrumente testen. Bald werden wir netflixbetäubt die ersten Filme nach Corona sehen, so wie wir heute bereits etwas fremdelnd Geschichten anschauen, in denen Leute sich umarmen und quatschend zusammenstehen. Wo man sich mit "machs gut" verabschiedete statt mit diesem "Bleiben Sie gesund".

Eine der ersten Ausgaben von Orwells "1984".

Die schlappe Summe von 1 Milliarde US-Dollar soll der US-Konzern General Motors am Donnerstag vorab von der US-amerikanischen Regierung verlangt haben, ehe er in Kooperation mit Ventec Life Systems die Produktion von Beatmungsgeräten der Marke Vocsm aufnimmt. Auf diese Art der Vorkasse muss US-Präsident Donald Trump gereizt reagiert haben und so erklärte er, dass beide Firmen unter das Kriegswirtschaftsgesetz fallen und damit das aus 700 Einzelteilen bestehende Gerät massenhaft produzieren müssen. Anschließend ließ er sich als der Chef-Durchblicker in der Coronakrise feiern, was sicher ein Fake ist, denn nur Christian "ChucK" Lindner weiß über alles Bescheid, was jetzt zu tun ist. (jk)